Globale Erholung in zwei Geschwindigkeiten
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Die sich abzeichnende weltweite Erholung verläuft mit zwei Geschwindigkeiten, sagt John Greenwood, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Invesco. Während die entwickelten Volkswirtschaften weiterhin am Tropf der staatlichen Konjunkturprogramme hängen, profitieren die Schwellenländer, angeführt von China und Indien, nicht nur von ihrem höheren fundamentalen Wachstumspotenzial. Zugute kommt ihnen auch „die finanzielle Situation der privaten Haushalte und des Finanzsektors, die vom Kreditboom der letzten Jahre mit seinen verheerenden Folgen für die entwickelten Volkswirtschaften unbeschadet geblieben sind.” Dadurch wirken die geld- und fiskalpolitischen Impulse in diesen Volkswirtschaften besser, schreibt Greenwood in seinem Wirtschaftsausblick für das vierte Quartal 2009.
Einen V-förmigen Aufschwung, der dem Muster der seit März kräftig haussierenden Märkte für Risikoanlagen folgt, hält der Wirtschaftsexperte für unwahrscheinlich. Stattdessen sieht er ein nennenswertes Risiko, dass eine schleppende Erholung „den ungezügelten Aufwärtsdrang der Anlagemärkte dämpfen oder sogar eine längere Korrekturphase einläuten könnte“. So handele es sich bei der jüngsten Kurserholung zu einem großen Teil auch nur um eine natürliche Gegenbewegung zur vorherigen Flucht in sichere Anlagen. Greenwood nennt eine Reihe von potenziellen Belastungen, die den Ausblick für die entwickelten Volkswirtschaften und Anlagemärkte eintrüben könnten: eine ausgedehnte Phase der Bilanzgesundung im Haushaltssektor, die Bremswirkung der fortgesetzten Verluste und Rekapitalisierungen im Bankensystem, den Unwillen der Unternehmen, ihre Lager wieder aufzufüllen, solange die Umsätze noch nicht deutlich angezogen sind, die haushaltspolitisch erforderliche Rückführung der Konjunkturmaßnahmen sowie das Risiko, dass die nächsten zur Veröffentlichung anstehenden Konjunkturdaten nach den starken Werten des Sommers enttäuschend ausfallen könnten.
Greenwood erwartet, dass die US-Wirtschaft im Jahr 2009 mit einer annualisierten Rate von 3-4% wachsen wird, gefolgt von 2,0-2,5% im Jahr 2010, wenn die fiskalpolitischen Impulse nach und nach wegfallen, die Verschuldungsbereitschaft der privaten Haushalte und Unternehmen aber weiter begrenzt bleibt und die Sparquote steigt. Dabei dürfte das inflationsarme Umfeld eine gute Ausgangssituation für Rentenmarktanlagen bietet.
Angesichts der eher vorsichtigen Konjunkturprogramme der europäischen Regierungen und der starken Exportabhängigkeit der Eurozone rechnet Greenwood genauso wie die Europäische Zentralbank hier mit einer „holprigen“ Erholung. Die EZB prognostiziert für das Jahr 2009 ein negatives Wachstum von -4,1%, gefolgt von einem leicht positiven Wachstum von 0,2% im Jahr 2010. In Abwesenheit deutlicher Anzeichen eines nachhaltigen Aufschwungs des privaten Sektors in Großbritannien prognostiziert Greenwood für die britische Wirtschaft in diesem Jahr ein negatives reales BIP-Wachstum von -4,3%.
Obwohl Japan im vierten Quartal und darüber hinaus weiter von der Erholung der asiatischen Volkswirtschaften profitieren dürfte, hält Greenwood angesichts der schwachen Inlandsnachfrage, der rekordhohen Arbeitslosigkeit und der von der neuen Regierung verfolgten Politik des starken Yen hier eine Fortsetzung der Deflation für wahrscheinlich. In China, wo es der Regierung offensichtlich gelungen ist, die Binnenwirtschaft anzukurbeln, rechnet Greenwood 2009 mit einem BIP-Wachstum von 9%, wobei die inländische Nachfrage seiner Meinung nach noch stärker – um 12-13% – zulegen dürfte.
Das größte Problem, das der Invesco-Chefvolkswirt in den asiatischen Märkten außerhalb Japans sieht, betrifft den in der überlegenen Wachstumsdynamik der Region begründeten, massiven Zufluss spekulativer Anlagegelder, der die Währungen der Region in den nächsten ein bis zwei Jahren unter Aufwertungsdruck setzen dürfte. „Die politischen Entscheider in Asien stehen vor der großen Herausforderung, diese massiven Zuflüsse zu bewältigen und zugleich die Voraussetzungen für eine anhaltend gesunde Wachstumsdynamik bei geringem Inflationsdruck zu schaffen“, so Greenwood.
Verglichen mit Asien hält der Wirtschaftsexperte die Übertragung des exportgetriebenen Wachstums auf die inländische Nachfrage in Lateinamerika für weniger einfach. Als Grund nennt er die „allgemein schlechteren fundamentalen Finanz- und Zahlungsbilanzpositionen“. In Argentinien, Chile, Kolumbien und Mexiko rechnet er im Jahr 2009 mit negativen Wachstumsraten, während sich Brasilien, Ecuador, Peru und Venezuela seiner Meinung nach im positiven Bereich halten dürften.
Obwohl Greenwood erwartet, dass sich die Emerging Markets an die Spitze der bevorstehenden Erholung setzen werden, glaubt er nicht, dass sie die nötige „Schubkraft“ aufbringen werden, um die entwickelten Volkswirtschaften aus der Rezession zu ziehen. „Auf dem Weg zu einer vollständigen Erholung im Jahr 2010 und darüber hinaus sind die Industrieländer vor allem auf ihre eigenen Anreizprogramme sowie auf die finanzielle Gesundung ihrer problematischsten Wirtschaftsbereiche angewiesen”, so sein Fazit.
Quelle: Invesco
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