Kommentar
13:21 Uhr, 05.11.2011

Global Trends: Das vermeintliche Ende der Demokratie

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Die aktuelle Lage umfasst drei zentrale Probleme, die weit über bloße finanzielle Erwägungen hinausreichen. Zum einen ist es jüngeren und meiner Generation (ich werde im nächsten Jahr 30) nicht möglich, eine Altersvorsorge aufzubauen. Ich gehe davon aus, dass die staatliche Rente mich im Alter nicht absichern wird, sodass ich gezwungen bin, eine private Altersvorsorge aufzubauen. Das ist aber wegen dem Niedrigzinsumfeld nicht möglich, wobei ich auch nicht weiß, wie wir jemals wieder aus diesem Niedrigzinsumfeld herauskommen sollen. Die Exit-Strategie fehlt. In dieser Woche hat gerade die EZB die Zinsen weiter gesenkt. In den USA werden die Zinsen bis Mitte 2013 nahe Null bleiben. Das ist die offizielle Version. Die inoffizielle lautet: Wir hätten jetzt schon negative Leitzinsen, wenn das möglich wäre. Denn das Wachstum will einfach nicht kommen.

Das erste Problem ist also jenes des Generationenvertrages. Die jungen Generationen haben keine Chance, sich Erspartes aufzubauen. Nur all jene, die mutig genug sind, auszuscheren und Gold zu kaufen, konnten in den letzten Jahren sinnvoll sparen. Alle anderen verlieren.

Das zweite Problem ist jenes unserer Demokratie. Wir haben Europa aufgebaut und hunderte Jahre gearbeitet, um den Wohlstand zu erreichen, den wir heute haben. Und nun stehen wir, nicht nur demographisch, sondern auch technologisch, vor einem wirklichen Dilemma: Wir wissen nicht, ob unsere Demokratie überhaupt ohne Wachstum funktioniert. Es ist ein Axiom, das vor dreißig Jahren in den USA formuliert wurde: Dass unser Wirtschaftssystem immerzu nur wachsen muss, sonst bricht es zusammen. Es muss also immer mehr Konsum, immer mehr Schulden, immer mehr Wachstum und immer mehr Exporte geben. Die bitte Erkenntnis, die sich nun aber langsam breit macht, ist: Die Wachstumsfähigkeit ist begrenzt, schon alleine aus ökologischen Gründen. Natürlich können wir nach Asien exportieren. Aber was sollen wir in Deutschland noch groß aufbauen, das ein Wachstum von 2-3% p.a. über die nächsten hundert Jahre sichert? Das ist meiner Meinung auch der Grund, warum die Leute auf die Straßen gehen, aber dabei nicht so recht zu wissen scheinen, was sich jetzt ändern soll. Sie spüren diese diffuse Bedrohung, die derzeit immer sichtbarer wird:

Wenn wir herausfinden, dass unsere Demokratie nicht ohne Wachstum funktioniert, dann erleben wir gerade das Ende unserer Demokratie. Oder wahlweise das Ende unseres Wirtschaftssystems. Um nichts Geringeres geht es.

Es handelt sich also um philosophische Grundsätze. Wir lassen uns von Chinas Wachstumsraten täuschen und einige Kommentatoren glauben allen Ernstes, dass Europa ein ähnliches politisches Modell übernehmen sollte, wie Peking. Was für ein Hohn! China wird noch Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte brauchen, bis sie ein ähnliches modernes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aufgebaut haben, wie wir es in Europa haben. Wenn Sie es überhaupt schaffen. Denn Chinas Wirtschaftswachstum und Streben nach dem Luxus des Westens ist die Mutter aller Beispiele, dass dem Wachstum ökologische Grenzen gesetzt sind (Warnung: jetzt wird es politisch unkorrekt). Mir ist keine Lösung untergekommen, die mir nachvollziehbar erklären könnte, wie es möglich sein soll, dass alle 1,2 Milliarden Chinesen den gleichen Pro-Kopf-Ölverbrauch erreichen wie etwa wir Deutsche. Natürlich werden mit steigenden Ölpreisen neue Quellen erschließbar und neue Mengen werden an den Markt kommen. Aber selbst wenn man annimmt, dass der chinesische Bedarf sich von derzeit zehn auf siebzig Millionen Barrels pro Tag versiebenfacht und damit den europäischen Pro-Kopf-Verbrauch erreicht, ist eine Ausweitung der Förderleistung von jetzt 85 Millionen Barrels/Tag auf dann 155 Millionen Barrels/Tag nicht gerade als besonders nachhaltig, denn als überhaupt möglich zu bezeichnen. Die Internationale Energieagentur warnt bereits seit Jahren vor Grenzen der Förderung.

Die hohe Volatilität beim Öl und anderen Rohstoffen ist ein Symptom der Tatsache, dass sich die derzeitige Nachfrage nahe an der Grenze der derzeitigen Produktionskapazität befindet. Betrachten Sie sich einmal den Chart von Erdgas in den USA. Die umstrittene Förderung von Schiefergas hat die Volatilität sinken lassen, da sich die Produktionskapazität dadurch weit von dem derzeitigen Bedarf entfernt hat. In folgendem Chart sehen Sie oben Henry Hub Natural Gas in der Continuous-Chart-Darstellung und unten die durchschnittliche Schwankungsbreite ATR als Proxy für die Volatilität dieses Marktes:

Sie sehen in der unteren Linie eine deutliche Beruhigung seit Frühjahr 2010. Damals begann die Inbetriebnahme von Schiefergasquellen, die Grenze der Produktion von der derzeitigen Nachfrage zu entfernen (mehr zu Schiefergas in Deutschland beim D-Radio). Die tägliche Schwankungsbreite ist zuletzt aus 12 Cents gefallen, nach 90 Cents im Dezember 2005. Beim Erdöl lässt sich eine solche Beruhigung nicht feststellen:

Das für Deutschland relevante Brent schwankt mit durchschnittlich 3,11 Dollar pro Tag und ist damit nicht weit entfernt von den durchschnittlichen Schwankungen von mehr als fünf Dollar aus dem Jahr 2008. Die Flaggenbildung im Chart deutet außerdem auf eine Fortsetzung des Aufwärtstrends hin und mein Kollege André Tiedje rechnet mit einem Anstieg bei der US-Ölsorte WTI bis auf rund 120 Dollar pro Barrel, was unter Annahme eines stabilen WTI-Brent-Spreads neue Rekordpreise für Brent bei rund 150 Dollar pro Barrel entspräche.

Das Wirtschaftswachstum erzeugt eine Ölnachfrage, die zwar durch die Förderung befriedigt werden kann, doch können gleichzeitig keine substanziellen Lagerbestände gebildet werden. Das ist der Grund, warum die Ölpreise jetzt steigen, obwohl wir in Europa und den USA möglicherweise auf Nullwachstum zusteuern. Die OPEC ist außerdem unter Anführung des Iran zerstritten, was die knappe Versorgung des Marktes unterstützt.

Dahinter verbirgt sich das dritte Problem: Die Ölpreise werden in Zukunft vermutlich immer von erhöhten Niveaus steigen, wenn das Wirtschaftswachstum sich erholt. Steigende Ölpreise würgen dann das gerade entstehende, und teuer erkaufte Wachstum wieder ab, was neue Rezessionen auslöst. In Folge der dann entstehenden Nachfrageschwäche korrigieren die Ölpreise aber nicht mehr so tief, wie bei der Rezession zuvor. Wer sich wundert, dass die heraufbeschworenen grünen Sprossen des Wachstums aus dem Jahr 2010 nicht zu nachhaltiger Expansion führten, muss nur einen Blick auf den Ölpreis werfen. Brent notiert heute dort, wo es notierte, als wir im Jahr 2007 gerade die längste Wachstumsphase der Weltwirtschaft (mit >5% Wachstum in fünf aneinander folgenden Jahren) hinter uns gebracht hatten.

Diese drei Probleme sollten zu denken geben.

Ein direktes Fazit bleibe ich Ihnen schuldig. Wie soll das gelöst werden? Was denken Sie darüber? Ich stehe jetzt für Diskussionen zur Verfügung in meinem Blog unter

http://www.godmode-trader.de/blog/rohstoff/

Autor: Jochen Stanzl, Chefredakteur Rohstoff-Report

Der Rohstoff-Report ist eine Publikation der BörseGo AG

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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