Kommentar
11:12 Uhr, 27.01.2005

GEX GERMAN ENTREPRENEURIAL INDEX: Alter Wein, nett verpackt in neuen Schläuchen

Richtig beeindruckt sind wir derzeit von den Marketingerfolgen der Deutschen Börse AG – kaum hat der „German Entrepreneurial Index“ (kurz: GEX) das Licht der Welt erblickt, ist der jüngste Spross der Frankfurter Index-Familie auch schon in aller Munde. Sogar die chronisch nörgeligen Redakteure vom SPIEGEL, ansonsten immer auf der Suche nach Skandalen und Skandälchen, haben sich einen ziemlich netten Artikel abgenötigt und schaut man sich die EUWAX-Umsätze der ersten GEX-Produkte an, so scheinen auch die Anleger den Neuling schon ins Herz geschlossen zu haben. Wirklich wundern sollte man sich darüber nicht, denn der GEX bietet genau das, was momentan nötig ist, um im Dickicht der Basiswerte aufzufallen: Eine griffige und irgendwie sympathische „Story“.

Im Gegensatz zu traditionellen Kursbarometern wie der DAX oder der EURO STOXX 50 basiert der GEX nämlich nicht auf Größenkriterien wie der Marktkapitalisierung oder den Handelsumsätzen; vielmehr haben wir es hier mit einem so genannten „Style Index“ zu tun, dessen Zusammensetzung vor allem von qualitativen Parametern abhängt. Andere Index-Anbieter greifen dabei gerne auf die Dividendenrendite oder das Gewinnwachstum zurück, doch nachdem die paneuropäischen Kollegen von STOXX Ltd. bereits genug von den auf diese Weise entstehenden „Value“- oder „Growth“-Indizes im Programm haben, führt die Deutsche Börse AG einen gänzlich neuen Parameter ein – die Aktionärsstruktur: Mit von der Partie sind nur Aktiengesellschaften, die zwar börsennotiert sind, sich aber trotzdem noch zu mindestens 25 Prozent (und höchstens 75 Prozent) im Besitz aktiver oder ehemaliger Vorstände und Aufsichtsräte befinden.

Diese Idee ist durchaus charmant, denn eigentümergeführte Unternehmen sind in aller Regel stark auf nachhaltige Wertschöpfung ausgerichtet, während Firmen mit hohem Streubesitz und allenfalls über Optionsprogramme beteiligtem Management gerne dem Diktat des Kapitalmarkts hinterher hecheln. Der permanente Performance-Druck externer Investoren führt oft dazu, dass mit Blick auf kurzfristige Erfolge geschäftliche Entscheidungen getroffen werden, die sich auf lange Sicht bisweilen als Fehler entpuppen. Beispiel Hoechst: 1998 soll der damalige Vorstandschef Jürgen Dormann einen Tag vor Weihnachten die US-Rechte an einem klinisch bereits weitreichend erprobten Wirkstoff zur Herzinfarkt-Prophylaxe „verscherbelt“ haben, um quasi auf den letzten Drücker noch einen goldgeränderten Jahresabschluss hinzufriemeln. Zugegeben, der Frankfurter Pharmakonzern konnte sich über einen schnellen Erlös von 322,5 Mio. Dollar freuen, hat sich damit aber ein Milliardengeschäft durch die Lappen gehen lassen – der billig aus der Hand gegebene Trumpf erzielt heute einen Jahresumsatz von 700 Mio. Dollar. Wer weiß, wie die Sache aufgegangen wäre, wenn Dormann vor sechs Jahren starke und dem Unternehmen verpflichtete Großaktionäre mit langem Atem im Rücken gehabt hätte; vielleicht wäre es dann nie zur Fusion mit Rhône-Poulenc gekommen und Hoechst wäre immer noch Hoechst und nicht ein Wurmfortsatz von Sanofi-Synthelabo…

Auch wenn der Fall Hoechst, der mittlerweile von der Frankfurter Staatsanwaltschaft untersucht wird, sicherlich ein Extrembeispiel darstellt – von den Rahmenbedingungen haben Familienunternehmen beste Chancen haben, langfristig eine bessere Performance aufs Parkett zu legen als reine Publikumsgesellschaften. An der Rückberechnung des GEX, die leider nur bis Mitte 2002 zurückreicht, lässt sich das allerdings nur bedingt nachvollziehen: Zwar schneidet der neue Index mit einer Steigerung von knapp 30 Prozent in den letzten zweieinhalb Jahren deutlich besser ab als der DAX, der per saldo nicht vom Fleck gekommen ist. Das Frankfurter „Blue Chip“-Barometer ist allerdings auch kaum ein geeigneter Vergleichsmaßstab, denn bis auf Henkel und FMC Fresenius Medical Care erfüllt kein DAX-Wert die Aufnahmekriterien für den GEX. Denn die Aktionärsstruktur ist nicht alles; darüber hinaus darf der Börsengang der GEX-Titel maximal zehn Jahre zurück liegen.

Begründet wird diese etwas willkürlich anmutende Bedingung damit, dass die Eigenkapitalquote eines Unternehmens in diesem Zeitraum besonders stark steigt. De facto führt dies jedoch zu einer Kastration des Index, schließlich fallen auf diese Weise „Perlen“ wie SAP, BMW und Altana durchs Raster. Selbiges gilt für Porsche, wobei die Zuffenhausener ohnehin in allen Indizes der Deutschen Börse AG fehlen, weil Vorstandschef Wendelin Wiedeking sich seit Jahren beharrlich weigert, die für eine Registrierung im mit besonderen Publizitätspflichten versehenen Handelssegment „Prime Standard“ geforderten Quartalsberichte zu erstellen. Somit rekrutieren die großen der 120 GEX-Mitglieder (die Zahl ist nach oben und unten variabel) sich aus dem MDAX – und der ist in den letzten Jahren ohnehin sehr gut gelaufen. Hinzu kommen zahlreiche Werte aus dem noch eine Stufe darunter angesiedelten SDAX sowie aus dem TecDAX, was bislang dazu geführt hat, dass der GEX den „Mid Caps“ etwas hinterherhinkt.

Bei allem Respekt vor der Société Générale und HSBC Trinkaus & Burkhardt, die es trotz der schwierigen Handelbarkeit vieler GEX-Werte geschafft haben, sehr günstig gepreiste und mit voller Dividendenanrechnung ausgestattete Zertifikate auf den neuen Performance-Index aufzulegen, stellt sich somit die Frage der Daseinsberechtigung. Wer in Nebenwerte investieren will, ist mit dem MDAX (auch hier ist HSBC aktiv: ISIN DE 000 741 907 9) in der Vergangenheit hervorragend gefahren und sollte nach der Rallye der vergangenen Jahre eher einmal darüber nachdenken, seine Gewinne mitzunehmen oder zumindest mit Stopp-Kursen abzusichern; der ebenfalls etwas überhitzt anmutende SDAX leidet unter seiner Illiquidität und lässt sich aufgrund der daraus resultierenden Marktineffizienzen vielleicht am besten mit einem guten „Small Cap“-Fonds ins Depot integrieren (was momentan freilich weder unter „Timing“-Gesichtspunkten noch im Hinblick auf zusätzliche Diversifikationspotentiale sinnvoll erscheint); und der TecDAX ist ein Sammelsurium von Technologie-Werten, die von wenigen Ausnahmen abgesehen im internationalen Vergleich eher zweitklassig sind. Wo also soll der Mehrwert liegen, der aus dem GEX mehr macht als einen Marketing-Event? Denn auch Familienunternehmen bieten naturgemäß keine Outperformance-Garantie (man denke an Karstadt oder den Neuer Markt-Reinfall Winter!) und obendrein ist der GEX langfristig stark erosionsgefährdet: Viele der aktuellen Index-Mitglieder sind in den Boomjahren 1999/2000 an die Börse gekommen, werden in vier bis fünf Jahren mithin zwangsläufig aussortiert – und gleichzeitig gibt es kaum Börsen-Nachwuchs, der die Abgänge kompensieren könnte. Wenn der Trend zu Delistings und „Going Private“ anhält, beziehen die Zertifikate sich also irgendwann auf ein trauriges und völlig unstrukturiertes Häuflein von 30 oder noch weniger Aktien…

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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