Kommentar
13:00 Uhr, 07.02.2014

Geldpolitik als Breitbandantibiotikum gegen alle Ansteckungseffekte

Die Lage an den Finanzmärkten der Schwellenländer bleibt angespannt. Die unselige Kombination aus Unsicherheit über deren zukünftige Wirtschaftsentwicklung und Ängsten der Anleger vor anhaltenden Liquiditätsdrosselungen der Fed schlagen sich negativ in Kapitalentzug nieder. So sind die Renditen fünfjähriger türkischer und südafrikanischer Staatstitel - beide Länder sind von ausländischem Kapital und Güterimporten abhängig - seit Jahresbeginn angestiegen. Allerdings weisen politisch stabile, über hohe Devisenreserven verfügende Staaten wie Südkorea und China eine wesentlich günstigere Renditeentwicklung ihrer Staatsanleihen auf.

Der Kapitalentzug in den Schwellenländern droht auf die Realwirtschaft überzugreifen: Es könnte längerfristig auch an realwirtschaftlichem Investitionskapital fehlen. Eine nachhaltige Konjunkturabkühlung der Schwellenländer wie ab 1997 würde sich in unserer globalisierten Weltwirtschaft über eine ausbleibende Nachfrage nach westlichem Industrie-Know How und Vorprodukten unweigerlich auch in den etablierten Industriestaaten bemerkbar machen. Als Warnsignal konnte der zweite Rückgang des offiziellen Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe in China gewertet werden, auch wenn dieser mit einem Wert von 50,5 nach wie vor auf eine sich fortsetzende Wirtschaftsexpansion hinweist.

Die Turbulenzen in den Emerging Markets haben sicherlich mit zu der massiven Stimmungseintrübung im Verarbeitenden Gewerbe der US-Wirtschaft beigetragen. Deren Neuauftragskomponente gemäß ISM Index verzeichnete zuletzt einen drastischen Rückgang von 64,4 auf 51,2 und signalisiert insofern eine verlangsamte Dynamik der US-Industrie.

Natürlich würde eine Wirtschaftsschwäche in den Schwellenländern und insbesondere in China konjunkturelle Bremsspuren auch in der deutschen Industrie hinterlassen. Der deutschen Exportindustrie geht es im europäischen vergleich deshalb gut, weil insbesondere China die Aorta für z.B. unsere Auto- und Maschinenbauer ist. Noch zeigt sich die deutsche Industrie allerdings verhältnismäßig robust. So konnten die ifo Geschäftserwartungen nach einer Stabilisierung im Vormonat zuletzt sogar weiter - wenn auch nur leicht - zulegen.

Deutschland, das über seine starke Exportwirtschaft wie kaum ein anderes Land eng mit der Weltwirtschaft verwoben ist, bekäme den konjunkturellen Gegenwind der Emerging Markets am meisten zu spüren.

Grafik der Woche: Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe in China und ifo Geschäftserwartungen

In Euroland zeigt sich bisher die Konjunkturstimmung im I. Quartal 2014 von ihrer optimistischen Seite. Setzt man die ifo Geschäftslage euroländischer Unternehmen zu den ifo Geschäftserwartungen gemäß der vier typischen Phasen eines Konjunkturzyklus zueinander in Bezug, ist eine anhaltende Stimmungsverbesserung der euroländischen Wirtschaft erkennbar. Bei fast unveränderten Geschäftserwartungen wird die -lage erneut freundlicher beurteilt. Auf der Stimmungsebene befindet sich Euroland im stabilen Aufschwung.

Die EZB hat Angst vor De- nicht Inflation

Die EZB hat auf ihrer letzten Zinssitzung zwar noch keine weiteren geldpolitischen Maßnahmen beschlossen. Aufgeschoben ist allerdings nicht aufgehoben. Denn EZB-Chef Mario Draghi wird nicht müde zu betonen, dass im Ernstfall weiterhin eine Vielzahl von auch unkonventionellen Maßnahmen bereit steht. Insbesondere die im März erstmals veröffentlichten euroländischen Konjunktur- und Inflationsprojektionen für 2016 - mit dann vermutlich gesenkten mittelfristigen Inflationserwartungen - und eine weitere Eintrübung in den schwächeren Schwellenländern dürften weitere Maßnahmen der EZB auf den Plan rufen. Die EZB wird nach heutiger Einschätzung ihre geldpolitische Offensive konsequent fortsetzen.

So ist die massive Unterschreitung des EZB-Inflationsziels von zwei Prozent - aktuell beträgt die Preissteigerungsrate lediglich 0,7 Prozent - gerade eine Einladung für weitere Maßnahmen. Quantitative Lockerungen, also eine weitere Notenbankzinssenkung auf 0,1 Prozent bzw. die Senkung des Einlagenzinses für von Banken bei der EZB geparktes Geld auf negatives Niveau haben abseits von Symbolpolitik über eine weitere ultralockere Geldpolitik keine bedeutende realwirtschaftliche Wirkung. Daher wird es der EZB zukünftig um quantitative Instrumente gehen. Mit Staatsanleiheaufkäufen - die Prüfung, ob der unbegrenzte Kauf von Staatsanleihen durch die EZB mit EU-Recht vereinbar ist, wird der Europäische Gerichtshof treffen, dessen Zustimmung mit verhaltenen Einschränkungen zu erwarten ist - würde sie zu einer deutlichen Reflationierung beitragen. Als Einstieg könnte die EZB im März die Sterilisierung der von ihr 2011 zur Beruhigung der euroländischen Zinsmärkte in beschränktem Umfang aufgekauften Staatstitel einstellen. Die damals bereitgestellte Liquidität wird regelmäßig von der EZB wieder aus dem Markt gezogen. Diese Maßnahme käme einer Nettoliquiditätszufuhr von rund 175 Mrd. Euro gleich.

Im Gegensatz zur Fed wird die EZB krisenbedingt die geldpolitische Geschwindigkeit nicht verringern, sondern weiter erhöhen. Ähnliches gilt für die Bank of Japan. Selbst bei Abschluss des Tapering im Sommer mit dann ausbleibender, weiterer Liquiditätszufuhr seitens der US-Notenbank wird die internationale Liquiditätsausstattung weiter spürbar ansteigen. Insgesamt bleibt die Liquiditätshausse bei Aktien - wenn auch unter zunehmender Volatilität - erhalten. Es gibt keine geldpolitische Wende der internationalen Notenbanken.

Berichtsaison mit stabilen Ausblicken

Nach einem starken Ergebnis für das IV. Quartal 2013 zeigt sich die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft trotz eines herausfordernden Marktumfelds mit hohem Preisdruck zuversichtlich. Daimler kann mit einem soliden Ausblick überzeugen, nachdem auch das Jahresergebnis besser ausfiel als erwartet. Der Autokonzern sieht die Nachfrage 2014 um vier bis fünf Prozent steigen und rechnet auch mit Zuwächsen beim operativen Ergebnis. Auch HeidelbergCement ist zuversichtlich gestimmt und erwartet weiteres Wachstum in Nordamerika, Afrika und Asien sowie eine Aufhellung m Europa-Geschäft. Grundsätzlich stellen aber 2014 negative Währungseffekte einen Belastungsfaktor dar.

Aktuelle Marktlage und Charttechnik

Die Liquiditätsängste der Anleger und die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Schwellenländer sorgen seit Anfang 2014 - in Euro gerechnet - für ein anderes Bild als noch 2013. Defensive Anlageklassen wie die Edelmetalle Gold und Silber aber auch deutsche Staatsanleihen, die risikoscheue Anleger als sichere Häfen ansteuern, sind seit Jahresbeginn die Gewinner. Die risikoreicheren, auch konjunktursensitiven Anlageklassen befinden sich hingegen in der Verlustzone. Rohöl leidet unter einem Überangebot auf dem Weltmarkt. Die internationalen Aktienmärkte bekommen die Malaise der Schwellenländer zu spüren. So müssen US-Aktien gefolgt von euroländischen und deutschen Aktien Verluste hinnehmen. Japanische Aktienunternehmen litten als direkter und großer Handelspartner unter den Eintrübungen der Emerging Markets. Die großen Verlierer seit Jahresanfang sind Aktien aus den Emerging Markets, denen die Kapitalflucht zusetzte.

Allerdings dürfte eine sich im Zeitablauf stabilisierende Anlegereinschätzung der für die Weltwirtschaft wichtigen Schwellenländer für eine allmähliche Beruhigung sorgen. Sie sind nicht mit ihrer schwachen Fundamentalsituation zur Zeit der Asien-Krise ab 1997 zu vergleichen. Entsprechend scheint der kürzliche Währungsverfall der Schwellenländer bislang nicht den verheerenden Weg wie damals zu nehmen. Außerdem werden die großen internationalen Notenbanken nicht wie im Vorfeld der damaligen Krise eine restriktive Geldpolitik zeigen.

Dieser Beruhigungs- und Erkenntnisprozess wird aber noch seine Zeit brauchen. Volatile Aktienmärkte sind vorerst der Grundtenor, bis im zweiten Halbjahr die Wogen geglättet sind und die Aktienmärkte sich wieder spürbar befestigen.

Im Falle einer Fortsetzung der aktuellen Erholung im DAX liegt aus charttechnischer Sicht ein erster Widerstand beim seit zwei Wochen bestehenden Abwärtstrend bei 9.371 Punkten. Darüber warten die nächsten Hürden zwischen 9.400 und 9.420 und bei 9.540 Punkten.

Setzt der DAX zu einer erneuten Korrektur an, findet der Aktienindex bei 9.202 und darunter bei 9.190 und 9.166 erste Unterstützungen. Darunter gibt der mittelfristige Aufwärtstrend bei aktuell 9.083 Punkten Halt. Die nächste Unterstützung folgt dann bei 8.962 Punkten. Der seit 2011 bestehende langfristige Aufwärtstrend gibt bei rund 8.890 Punkten massiven Halt.

Und das passiert in der 7. Kalenderwoche

Auf Unternehmensebene dürfte die Commerzbank trotz Fortschritten beim Konzernumbau erneut schwache Zahlen präsentieren. ThyssenKrupp dürfte erneut die Belastungen aus seinen Stahlwerken in den USA und Brasilien zu spüren bekommen.

In den USA weisen stabile Einzelhandelszahlen und ein festes Konsumentenvertrauen der University of Michigan auf einen soliden Jahresstart der Binnenwirtschaft hin. Fraglich ist, ob die US-Industrieproduktion ähnlich wie die Auftragseingänge unter dem schlechten Januarwetter zu leiden hatten.

In Euroland dürften die BIP-Zahlen für das zurückliegende Schlussquartal 2014 die leichte Stabilisierung der Euro-Wirtschaft bestätigen. Das dürfte erneut auf Deutschland zurückzuführen sein.

Halvers Woche: Liebesentzug in den Schwellenländern?

Die unbeschwerte Beziehung zwischen Anlegern und Aktienmärkten scheint Ernüchterung gewichen zu sein. Der Auslöser dieses Stimmungswechsels kommt auf den ersten Blick aus den Schwellenländern, wo nicht mehr alles so rosig auszusehen scheint.

Das ist alles andere als eine neue Erkenntnis. Auch schon 2011, 2012, 2013 - zur Hochzeit an den Aktienmärkten - zeigte die im Himmel geschlossene Verbindung zweifelhafte Momente. Das ist nichts Besonderes, denn in jeder Beziehung gibt es auch schwere Tage. Im Übergang von starkem Export und heiß gelaufenen Investitionen zu einer stabil wachsenden Binnenkonjunktur kommt es naturgemäß zu zwischenzeitlichen Schwächephasen.

Die Fed als "Lustkiller"

Nein, Ursache, sozusagen Lustkiller, ist die neue Sachlichkeit der US-Geldpolitik, die sich doch tatsächlich traut, ihre fortgesetzte Liquiditätsdrosselung egoistisch nur noch an nationalen Befindlichkeiten zu orientieren und die Schwellenländer links liegen zu lassen.

Und jetzt wird die Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Auf einmal sind die früher so begehrten Thai-Suppen, Peking-Enten oder Fajitas out. Stattdessen ist die gut bürgerliche Küche der sicheren Anleihehäfen der USA und Deutschlands gefragt.

Kapitalflucht oder vielleicht besser Liebesentzug ist leider immer ein massenpsychologisches Phänomen. Eins, zwei, drei und dann ganz viele Anleger verlassen die Schwellenländer. Denn zu Kursverlusten bei Anleihen und Aktien kommen Währungsverluste. Diesen doppelten Beziehungsstress halten kein Anleger und kein Vermögensverwalter aus.

Die globalisierte Beziehungsfalle

Die Gefahr von schlechter Finanzmarkstimmung ist deren verheerende Wirkung auf die Realwirtschaft. Leidet ein Schwellenland unter nachhaltigem Liebesentzug seiner ausländischen Anleger, gibt es früher oder später auch keinen Valentinstag mehr für das Wirtschaftswachstum. Verschmähte Liebe hat auch zur Asien-Krise ab 1997 geführt.

Und spätestens dann schnappt die globalisierte Beziehungsfalle zu. Denn die in den weltkonjunktursensitiven Aktienindizes wie DAX oder MDAX vertretenen Exportfirmen verkauften ihre Produkte nach Fernost und Südamerika bislang wie geschnitten Brot. Und so manches Industrieunternehmen schreibt nur deshalb schwarze Zahlen, weil es die Emerging Markets gibt. Geht es China & Co. gut, geht es auch den Exportunternehmen gut. Das gilt allerdings auch umgekehrt.

Haben wir es aktuell also mit den Anfängen einer Asien-Krise 2.0 zu tun, müssen wir uns auf erkaltete Liebe in der Weltkonjunktur und Trennungsgerüchte an den Weltaktienmärkten einstellen?

Wenn doch bloß diese Emotion nicht wäre

Schwellenländer mit geringer Auslandsverschuldung, Leistungsbilanzüberschüsse und politischer Stabilität haben es gegenüber denen, die auf Pump leben und politisch anfällig sind, naturgemäß einfacher. Diese Länder haben auch vergleichsweise stabile Währungen und weniger anfällige Aktienmärkte. Hierzu gehören China, Südkorea, Malaysia und auch Brasilien. Im Übrigen, dieser fundamental harte Kern der Schwellenländer stützt die Weltwirtschaft.

Aus eben diesen fundamentalen Gründen ist eine Asien-Krise 2.0 ebenso wenig zu erwarten wie aus geldpolitischen. Die kürzlich neu ins Amt eingeführte US-Notenbankpräsidentin Janet Yellen wird zwar vermutlich weiter tapern. Und wenn im Sommer der Liquiditätszufluss tatsächlich komplett beendet sein sollte, könnten aber die Überschussreserven, die die US-Geschäftsbanken bis dahin bei der Fed angehäuft haben, die gesamte US-Wirtschaft locker mehrfach finanzieren. Und die Yellen-Fed wird davon netto nichts, keinen Cent abziehen. Sie ist kein Beziehungs-Crasher.

An Zinserhöhungen - die schlimmsten Folterinstrumente der Notenbank - wird Janet Yellen nicht im Traum denken. Ansonsten hätte Frau Yellen nicht nur die Schwellenländer, sondern auch die Weltkonjunktur auf dem Gewissen. So weit wird es niemals kommen.

Aber, aber, aber, aktuell sind die Ohren der Anleger für diese rationalen Argumente stark verstopft. Die Märkte sind unruhig wie der Mann vor dem Heiratsantrag an seine Freundin.

Internationale Geldpolitik ist eine Herzensangelegenheit

In dieser angespannten Marktlage müssen die Großen Drei Fed, EZB und Bank of Japan zusammen arbeiten und als internationale Beziehungs-Kitter die psychologische Kehrtwende schaffen. Geldpolitik ist heutzutage keine rein nationale Angelegenheit mehr. In unserem globalisierten Finanzdorf muss sie auch globalen Bedürfnissen, speziell denen der Schwellenländer, genügen. Die großen Notenbanken müssen noch klarer machen, dass sie jede weltwirtschaftliche Deflation, jede erkaltete Liebe - im Keim erstickt. Und wenn es sein muss, wird die Fed eben weniger tapern oder auch gar nicht mehr. Geld hat schon oft genug zumindest die Grundlage für eine gute Vernunftehe geschaffen.

Das heißt aber auch, dass die Finanzwelt aus der geldpolitischen Beziehungsberatung zwischen Anlegern auf der einen und Konjunktur und Aktienmärkten andererseits in den nächsten langen Jahren nicht mehr heraus kommt. Sie wird schlichten bis sich wieder alle lieb haben.

So kann sich der Markt in der nächsten Zeit weiter austoben wie eine Ehe im verflixten 7. Jahr. Charttechnisch sollte aber bei 8.890 Punkten im DAX Schluss sein. Dort verläuft eine ganz dicke Unterstützung.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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