Kommentar
09:20 Uhr, 21.01.2022

Furcht vor der Zinswende aus den falschen Gründen

Anleger rechtfertigten die rekordhohe Bewertung des Aktienmarktes mit tiefen Zinsen. Doch dieser Fakt wird überschätzt. Andere Entwicklungen kommen zu kurz.

Das Zinsniveau hat einen Effekt auf die Bewertung von Aktien. Der Effekt wird allerdings massiv überschätzt. Die Logik ist grundsätzlich bestechend. Vor allem junge Unternehmen, der erst in ferner Zukunft viel Umsatz und Gewinn erwirtschaften, sind heute weniger Wert, wenn die Zinsen steigen. Zukünftige Cashflows werden abgezinst und je höher der Zins ist, desto weniger bleibt übrig.

Die Theorie stimmt, die Praxis nicht. Aktuell lässt sich auf den ersten Blick ein Zusammenhang erkennen. Es sind ja vor allem Aktien von Unternehmen wie Zoom, die gerade leiden. Meiner persönlichen Meinung nach hat die Korrektur wenig mit dem Zinsumfeld zu tun. Ob der Leitzins nun bei 0 % oder 0,5 % steht, ist unerheblich.

Es macht einen sehr viel größeren Unterschied, ob Anleger von dem Unternehmen zukünftig eine Wachstumsrate von 50 % pro Jahr oder nur noch 20 % pro Jahr erwarten. Genau das ist geschehen. Das Wachstum der Anfangszeit der Pandemie setzt sich nicht fort und ein erwartetes Cashflowwachstum, welches von 50 % auf 20 % korrigiert wird, ist ein sehr viel größerer Hebel als eine Abzinsung, die von sehr wenig auf ein klein bisschen mehr steigt.

Auch historisch haben höhere Zinsen Bewertungen von jungen Unternehmen nicht unbedingt gedrückt. Zur Jahrtausendwende stiegen die Zinsen. Die Internetblase baute sich trotzdem munter auf.

Es gibt andere Gründe, weshalb Zinsen eine Rolle spielen. Dazu zählt die Verschuldung. In den USA und in vielen anderen Ländern ist diese durch die Pandemie sprunghaft angestiegen. Eine Normalisierung findet statt. Das Niveau dürfte jedoch permanent höher sein als vor der Pandemie.

Dank niedriger Zinsen ist die Zinslast nicht gestiegen, sondern gefallen (Grafik 1). Zuletzt zahlten Unternehmen in den 60er Jahren so wenig für ihre Schulden. Damals war die Verschuldung gerade einmal halb so hoch wie jetzt.

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Selbst ein minimaler Zinsanstieg bedeutet auf so tiefem Niveau wie jetzt schnell eine Verdopplung der Zinsen. Unternehmen nehmen Schulden allerdings über Anleihen und teils langlaufende Kredite auf. Steigende Zinsen wirken nicht sofort, sondern erst mit Verzögerung, wenn die Schulden refinanziert werden müssen.

Vieles beeinflusst die Marge von Unternehmen. Es ist aber kein Zufall, dass die Marge in den 70er bis Ende der 90er Jahre niedrig war. Es war die Zeit, in der die Zinslast besonders hoch war (Grafik 2).

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Es gab auch noch einen zweiten Effekt. Unternehmenssteuern wurden über die Jahrzehnte immer weiter gesenkt. Die Differenz zwischen Vor- und Nachsteuergewinn wurde immer kleiner (Grafik 3). In den kommenden Jahren steigen die Zinsen. Eine große Steuererhöhung gibt es in den USA vorerst nicht, dafür kleine Schritte. Beides zusammen wird die Margen über einen längeren Zeitraum senken. Darüber sollte man sich mehr Gedanken machen als den Abzinsungsfaktor.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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