Frühlingsgefühle an den europäischen Finanzmärkten?
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Der IWF hat seine Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft gesenkt: Sie soll 2016 mit 3,2 statt 3,4 Prozent und 2017 mit 3,5 statt 3,6 wachsen. Immerhin wüchse sie damit stärker als 2015 mit 3,1 Prozent. Auch die Konjunkturen der Eurozone (1,5 statt 1,7 Prozent) und USA (2,4 statt 2,6 Prozent) werden für 2016 kritischer eingeschätzt. Allerdings wird für China Entwarnung vor einem Konjunkturschock gegeben. China soll in diesem Jahr mit 6,5 statt 6,3 Prozent wachsen.
Die leichte Stimmungsfestigung sowohl des offiziellen als auch des vom Finanzdatenanbieter Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe findet Niederschlag in der Stabilisierung des Shanghai Composite Aktienindex über der psychologisch wichtigen Marke von 3.000 Punkten. Seit Jahrestief Ende Januar konnte er um rund 16 Prozent zulegen. Eine weitere Aufhellung der harten Fundamentaldaten nach einer ersten Verbesserung der Exporte im März bleibt jedoch Bringschuld für eine nachhaltige real- und finanzwirtschaftliche Stabilisierung. Hierbei bleibt die planwirtschaftliche Unterstützung durch Chinas Geldpolitik eine conditio sine qua non.
Das Vertrauen in die Emerging Markets steigt wieder
Mittlerweile haben Öl und Rohstoffe insgesamt ihren Boden gefunden. Offensichtlich haben sich Russland und Saudi-Arabien bereits im Vorfeld des OPEC-Treffens am 17. April auf eine Einfrierung ihrer Ölfördermengen auch ohne iranische Beteiligung geeinigt. Offensichtlich hat die Kraft des Faktischen - Haushaltsnöte - zu dieser Einsicht geführt. Damit ist die Basis für eine fortgesetzte Erholung bei Rohöl gelegt, in dessen Windschatten auch Industriemetalle profitieren. Darüber hinaus verleiht die deutlich zurückrudernde Zinserhöhungsrhetorik der Fed und die damit verbundene Abschwächung des US-Dollars Rohstoffen Rückenwind. Die Kaufkraft der Rohstoffländer zum Wohle der Weltwirtschaft wird gestärkt.
Die Dollar-Abschwächung hat auch der Kapitalflucht von Asien in die USA über ausbleibende Währungsgewinne bzw. zu erwartende -verluste den Reiz genommen. Insgesamt haben sich die Währungen der Schwellenländer gegenüber dem US-Dollar seit den Tiefständen im Januar kräftig erholt. Damit wird auch der Schuldendienst der mehrheitlich auf US-Dollar-Basis aufgenommenen Kredite erleichtert.
Signal eines sich wiederaufbauenden Vertrauens in die Rohstoff- bzw. Schwellenländer ist nicht zuletzt die Stabilisierung der seit 2014 deutlich geschrumpften Devisenreserven. Offensichtlich hat der Druck, Buchgewinne auf ausländische Wertpapiere zu realisieren, um sie zur Stützung der Binnenkonjunktur einzusetzen, nachgelassen.
Die Stimmungsumkehr der Anleger Schwellenländern gegenüber kommt ebenso deren Aktienmärkten zugute. Insbesondere die Rohstoffländer Russland und Brasilien konnten deutlich Boden gutmachen. Aufgrund der Regierungskrise in Brasilien ist die dortige Kurserholung noch bemerkenswerter.
Insgesamt haben die Aktienmärkte der Schwellenländer seit ihrem 6-Jahres-Tief im Januar Kursgewinne von gut 20 Prozent verzeichnet. Damit befindet sich der MSCI Emerging Markets Index im Bullenmarkt. Gleichzeitig kommt durch die nachlassende Volatilität auch eine deutlich reduzierte Risikoaversion zum Ausdruck.
GRAFIK DER WOCHE
Aktienmarkt Schwellenländer - Kursentwicklung und Volatilität
Apropos Risikoaversion, ihr Rückgang zeigt sich auch in sinkenden Renditen für Staatsanleihen der Schwellenländer. Auch hier sticht Brasilien - trotz Regierungskrise - positiv hervor.
Japan kann den Währungskrieg aus eigener Kraft nicht mehr gewinnen
Die Aufwertung des Yen wird zum zunehmenden Belastungsfaktor für die japanische Wirtschaft.
Yen-stärkend wirkt vor allem, dass sich der klassische japanische Carry Trade - d.h. zinsgünstige Geldaufnahme in Yen und -anlage in höherverzinslichen ausländischen Währungen - umgekehrt hat. Denn da mittlerweile Leitzinsen und Renditen nicht mehr nur in Japan, sondern weltweit fallen, hat Japan seinen „komparativen“ Zinsvorteil im Sinne einer Währungsabschwächung verloren. Bei Vergleich der Staatsanleihen bis zur Laufzeit sieben Jahre verzeichnet Deutschland sogar noch negativere Renditen.
Die Nutzung von Carry Trades als „japanischer Golfstrom“ zur währungsseitigen Renditeerwirtschaftung lohnt sich damit nicht nur nicht mehr, sondern es lohnen sich mittlerweile sogar Carry Trades im umgekehrten Sinn, d.h. Aufnahme von noch zinsgünstigeren Finanzmitteln außerhalb Japans und Anlage in japanischen Schuldtiteln.
Im Trend anhaltende Kapitalzuflüsse nach Japan sorgen für einen sich selbst verstärkenden Effekt, der sogar bei unattraktiven, da renditenegativen japanischen Staatsanleihen - aber im Vergleich immer noch „höheren“ Renditen zur ausländischen Konkurrenz - zu deutlichen Kursgewinnen nicht zuletzt über die Währungsbefestigung führen. Ein US-Investor erzielt aktuell eine Gesamtrendite aus Kurs- und Währungsgewinnen von knapp 16 Prozent zum Vorjahr.
Angesichts der Jagd nach Rendite ist somit der japanische Yen der Leidtragende einer deutlichen Währungsaufwertung. Diesem Effekt steht die Bank of Japan hilflos gegenüber. Ohne Unterstützung von EZB und Fed kann sie im Währungsabwertungswettlauf zur Unterstützung der heimischen Exportindustrie nicht gewinnen. Auf diese Hilfe wird sie lange warten können. Auch Amerika und ohnehin Europa wissen um die Bedeutung schwächerer Handelswährungen. Entsprechend dürften selbst weitere geldpolitische Lockerungen in Japan keine nachhaltige Yen-Abschwächung bewirken.
Exportseitig ist der japanische Aktienindex Nikkei 225 im Vergleich zu anderen Leitindices in den Schwellenländern weniger attraktiv. Das fundamentale Wohl und Wehe japanischer Aktien hängen an einer konsequenten Förderung der darbenden Binnenkonjunktur.
Aktuelle Marktlage - Lässt der Frühling wieder sein blaues Band durch die Aktien-Lüfte flattern?
In den USA steht mit der Berichtsaison für das I. Quartal 2016 zwar die schlechteste seit 2009 bevor. Doch wurde dieser Dramatik im Vorfeld entgegengewirkt: So deutlich wie in den ersten drei Monaten haben Analysten - mit Unterstützung der Unternehmen selbst - ihre Gewinnschätzungen seit fünf Jahren nicht mehr gesenkt. „Positive“ Gewinnüberraschungen werden an der Tagesordnung sein. Auch dies belegt, dass eine durchweg robuste US-Konjunktur Illusion, aber nicht Realität ist.
Die Argumente für die Fortsetzung der US-Leitzinswende schwächen sich damit ab. Insofern wird die Fed, die bislang ein Störenfried an den Aktienmärkten war, wieder zu einem Befrieder. Das Jahreshoch von Dow Jones und S&P 500 ist die logische Folge.
Zur Wahrung der internationalen Finanz- und Bankenstabilität und damit zur Verhinderung einer Vertrauenskrise an den Finanzmärkten mit Auswirkungen wie 2008 - wie sie der IWF theatralisch befürchtet - kommt die globale Geldpolitik ohnehin an einer auch zukünftig eindeutigen Stimulierungspolitik nicht vorbei. Die oft auch von Politkern formulierte Kritik an zu freizügigen Notenbanken ist nur vorgeschoben. Sie wissen natürlich, dass mit Blick auf die Überschuldung, die Griechenland-Krise, sich hartnäckig haltende Bankenprobleme und Deflationstendenzen die Rückkehr zu einer normalen Geldpolitik auf lange Zeit, wenn nicht sogar permanent verbaut ist.
Für eine fundamentale Stützung der Aktienmärkte sorgen sicherlich die sich zuletzt stabilisierende chinesische Konjunktur und steigende Rohstoffnotierungen. Selbst der zuletzt erstarkende Euro ist ein weniger starker Belastungsfaktor für deutsche Aktien als gemeinhin erwartet. So kann der MDAX als Aktienindex mit besonders industrie- und vor allem exportlastigen Aktien die seit 2015 höher notierende Gemeinschaftswährung gut parieren.
Allerdings bleibt die Verbesserung fundamentaler Daten fragil. Denn die Weltkonjunktur spricht selbst auf die lockerste Geldpolitik aller Zeiten wenig an. Aus Risikoaversion mangelt es an nachhaltiger Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Überhaupt, das Ausbleiben staatlicher Infrastrukturinvestitionen verbessert die Lage in Europa sicherlich nicht.
Auf der politischen Seite leidet die EU weiter unter Eurosklerose. Das Gemeinschaftswerk Europa zeigt nicht nur in puncto Flüchtlingskrise deutliche Risse. Vor diesem Hintergrund kommt der am 23. Juni bevorstehenden Abstimmung der Briten über Verbleib oder Ausscheiden in bzw. aus der EU große Bedeutung zu. Der Brexit würde aller (Finanz-)Welt die politischen Zerfallserscheinungen in Europa klar vor Augen führen und zu Irritationen und Verunsicherungen führen. Trotz dieser Zersetzungsgefahr scheint die Dringlichkeit einer harmonischen Zusammenarbeit in Europa nicht begriffen zu werden. Stattdessen ist die Renationalisierung auf dem Vormarsch, die als Bremsklotz für europäische Aktien wirken kann.
Anlegerstimmung - Überverkauft und damit reif für eine Erholung
Grundsätzlich ist der Aktienmarkt der Eurozone überverkauft und damit ein positiver Kontraindikator. Gemäß des von der BNP Paribas veröffentlichten Love-Panic Market Timing Indikators für den Aktienmarkt der Eurozone - er liefert Anhaltspunkte für Aktienkäufe, sobald der Index ab der Schwelle von minus 20 in den Panic-Bereich fällt bzw. für Verkäufe bei einem Überschreiten der Schwelle von 20 in den Love-Bereich - ist auf Sicht der nächsten sechs Monate im Euro Stoxx 50 mit steigenden Kursen zu rechnen.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Auf Erholungskurs
Charttechnisch setzt sich die Erholung im DAX fort, wenn der Widerstand bei 10.123 Punkten überwunden wird. Darüber tritt die Hürde bei 10.325 in den Vordergrund. Auf der Unterseite gibt zunächst die psychologisch wichtige Marke bei 10.000 Punkten Halt. Darunter liegen die nächsten Unterstützungen bei 9.947, 9.893 sowie zwischen 9.790 und 9.753.
Im Euro Stoxx 50 warten auf dem Weg nach oben die nächsten Hürden bei 2.990 Punkten, am kurzfristigen Abwärtstrend bei rund 3.000 und schließlich bei 3.090 sowie 3.137 Punkten. Auf der Unterseite verlaufen Widerstände in der Zone zwischen 2.950 und 2.930 Punkten sowie bei 2.860, 2.800 und darunter 2.756 Punkten.
Der Wochenausblick für die KW 16 - Die EZB wartet ab
Auf dem Treffen der OPEC-Staaten und Russland am Sonntag könnte es offiziell zu einer Einigung hinsichtlich der Einschränkung der Ölproduktion kommen.
In Japan setzen ein schwacher Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe und erneut schwache Exportzahlen die Bank of Japan unter dramatischen Zugzwang, auf der nächsten geldpolitischen Sitzung weitere Liquiditätsmaßnahmen zur Finanzierung von binnenwirtschaftlichen Konjunkturprogrammen zu ergreifen.
In den USA spiegelt ein schwächerer Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed für das Verarbeitende Gewerbe die schwierige Situation der US-Konjunktur wider. Immerhin setzt der US-Immobilienmarkt gemäß Daten zu Baubeginnen und -genehmigungen seinen Seitwärtstrend fort.
In der Eurozone wird sich zeigen, in wie weit die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe ihre Stabilisierungstendenzen fortsetzen. Zumindest in Deutschland dürften die ZEW Konjunkturerwartungen ihre moderate Erholung fortsetzen.
Auf ihrer Sitzung wird sich die EZB mit neuen geldpolitischen Maßnahmen zurückhalten.
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