Kommentar
10:34 Uhr, 15.02.2006

Finanzwerte - Fusionen werden den Markt bestimmen

Dank positiver Rahmendaten schnitten europäische Finanzwerte 2005 besonders gut ab. Günstig wirkte sich hier auch eine gewisse Dynamik bei der lang erwarteten Konsolidierung der Bankenbranche aus. In Anbetracht reiferer Märkte und dem im europäischen Bankensektor vorhandenen Überschusskapital rechne ich für 2006 mit verstärkter Aktivität. Schließlich möchte sich kein Bankmanager mit dem begnügen müssen, was übrig bleibt, nachdem die „besten Spieler“ bereits weggeschnappt wurden.

Der strategische Reiz solcher Aktionen ist ohne weiteres nachzuvollziehen. In der Vergangenheit wurde frische Liquidität vor allem zur Finanzierung von Wachstum, Dividendenzahlungen und dem Rückkauf von Aktien eingesetzt. In diesem Jahr ist die Entscheidung, wie ihr Kapital anzulegen sei, jedoch weitaus weniger leicht für die Banken. Die Märkte Westeuropas sind ausgereift und organisches Wachstum ist nur schwerlich zu erreichen. Damit entfällt der primäre Verwendungszweck für Kapital. Warum also nicht einen Wettbewerber kaufen?

Fusionen können für Banken zweierlei Funktionen erfüllen. Zum einen kann eine Fusion dazu dienen, erfolgreiche Konzepte – wie beispielsweise exzellente Vermögensverwaltungskompetenzen – auf neue Regionen auszuweiten. Zum anderen sind Fusionen eine Möglichkeit, den Umfang des bestehenden Geschäfts zu erweitern, indem beispielsweise zwei Hypothekenbanken miteinander verschmelzen und gemeinsam von den daraus resultierenden Einsparungen profitieren. Und schließlich haben Fusionen auch den Zweck, überlegene Managementkompetenzen zu „exportieren“, um die Effizienz eines weniger straff geführten Unternehmens zu steigern. Bei den Fusionen der Vergangenheit kamen alle Faktoren, gemeinsam oder einzeln, zum Tragen.

Ich bin überzeugt, dass wir in Europa in den nächsten Jahren noch weitere Deals erleben werden, von denen einigen Erfolg beschieden sein wird, während andere letztendlich scheitern. Die ausschlaggebende Frage wird dabei sein, von welchen Faktoren sich die Entscheidungsträger in den Unternehmen leiten lassen und was die Winner von den Losern unterscheidet.

In Italien werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach eine zweite Konsolidierungswelle erleben. Der italienische Bankenmarkt ist recht zersplittert und bietet damit erheblichen Spielraum für Synergien. Wenn man sich viele der Banken näher anschaut, erweist sich die Erfolgsbilanz ihrer Geschäftsführungen doch als eher fragwürdig. UniCredito ist eine Ausnahme, aber der Erwerb der HVB wird den Bankkonzern wohl bis auf weiteres in Atem halten. Andere italienische Banken könnten schließlich selbst zu Übernahmezielen für inländische Konkurrenten werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass nach dem Rücktritt Antonio Fazios ausländische Gruppen wieder vermehrtes Interesse anmelden. Es gibt eine schier unbegrenzte Vielfalt an Kombinationsmöglichkeiten. Am ehesten ist wohl mit einem Übernahmeangebot von Santander für San Paulo zu rechnen. Das allerdings nicht vor 2007, wenn der bestehende Aktionärspakt abläuft. Bedenkt man, dass ABN Amro in seinen Zielmärkten häufig nach dem Motto „Doppelt hält besser“ vorgeht, könnte das Bankhaus durchaus ein weiteres Übernahmegebot abgeben. Der wahrscheinlichste Übernahmekandidat wäre dabei Capitalia. Alles in allem gibt es auf dem italienischen Bankenmarkt jedoch so viele Kreditinstitute, dass Übernahmeinteressenten die Qual der Wahl haben.

Andere Transaktionen würden sich aller Wahrscheinlichkeit nach eher auf kleinere Wachstumssegmente in der EU und Osteuropa konzentrieren. In Griechenland ist das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas immer noch ein großes Thema. Die Société Générale ist bereits eine Beteiligung an der General Bank of Greece eingegangen. Es bleibt abzuwarten, ob die Société Générale dadurch ihre Präsenz auf dem griechischen Markt erhöhen und das bisherige Oligopol kräftig aufmischen wird. Meiner Ansicht nach müssen Banken, die sich auf dem griechischen Markt engagieren wollen, die möglichen Wachstumschancen und das Risiko eines erheblichen Rückgangs ihrer Margen gegeneinander abwiegen. Es wäre schließlich ausgesprochen bitter, Top-Preise für den Einstieg in einen Markt zu bezahlen, der sich dann sozusagen als ein zweites Portugal erweist. Dort folgten auf die Übernahmetätigkeit in der Bankenbranche bröckelnde Margen und zunehmend leistungsgestörte Kredite.

In den osteuropäischen Ländern haben die verbesserten Wirtschaftsbedingungen allgemein zu einer höheren Kreditaufnahme und einer gestiegenen Nachfrage nach Finanzdienstleistungen geführt. Die Margen sind in diesen Märkten in der Regel hoch, während die Marktdurchdringung von Retail-Banken noch gering ist. Für Banken in reiferen Märkten, die nach Wachstumsmöglichkeiten Ausschau halten, ist das ein geradezu paradiesisches Umfeld. Mehrere Konzerne, wie z. B. die österreichische Erste Bank und die belgische KBC Group, sind bereits dabei, sich einen beherrschenden Marktanteil an Bankenplätzen wie Polen, der Tschechischen Republik und Rumänien zu sichern. Mein Sorge dabei ist vor allem, dass die Preise wahrscheinlich zu hoch angesetzt sind. In vielen Fällen – wie beispielsweise bei der Übernahme der Banca Comerciala Romana durch die Erste Bank – gibt es eine lange Liste von Bietern. Das ist normalerweise ein schlechtes Zeichen.

Auch hier gilt, dass einige Länder bessere Rahmendaten bieten. Entsprechend konzentrieren sich Übernahmebestrebungen insbesondere auf den ungarischen Markt. Angesichts des enormen Außenhandelsdefizits und der ungesicherten Auslandsverschuldung überwiegen die Risiken meiner Meinung nach jedoch die potenziellen Erträge.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den nächsten Jahren auf jeden Fall eine Reihe von grenzübergreifenden Fusionen in Europa stattfinden werden. Zudem wird die Einführung von BIZ 2 die Geschäftsführungen zwingen, angesichts geänderter Eigenkapitalanforderungen ihren Geschäftsmix zu überdenken. Einer der wichtigsten Effekte wird die Freigabe von Mitteln sein, die gegenwärtig zur Unterlegung von Hypotheken genutzt werden. Der Reiz der so genannten Kapital-Arbitrage für Großbanken wird die M&ATätigkeit noch intensivieren.

All diese Faktoren sollten sich günstig auf die Aktienkurse auswirken. Da die Bewertungen zurzeit angemessen erscheinen, können wir uns also auf ein weiteres Jahr mit soliden Erträgen freuen. Das heißt jedoch nicht, dass alle Transaktionen erfolgreich sein werden. Insofern verweise ich auf die bereits erwähnten Problembereiche. So würden eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und ein allgemeiner Anstieg notleidender Kredite Geschäftsführungen und Aktionäre allerhand Kopfzerbrechen bereiten. Es wird sicherlich aufschlussreich sein, zum Jahreswechsel zu schauen, wer in 2006 die klügsten Anlageentscheidungen getroffen hat und wer am Ende des Jahres teure Fehler bitter bereuen wird.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2005 rund 158,2 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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