Kommentar
07:50 Uhr, 17.06.2022

Fed-Zinsentscheid: Eine Überraschung gab es

Die Zinsen wurden wie erwartet um 75 Basispunkte angehoben. Die große Überraschung gab es an anderer Stelle.

Ob US-Notenbank oder EZB, sie alle machen sich Sorgen um die Inflation. Mit jedem neuen Zinsentscheid wird der Ausblick düsterer. Erst hieß es, die hohe Inflation sei vorübergehend. Dann wurde anerkannt, dass die Inflation nicht nur vorübergehend hoch ist, aber die Inflationserwartungen gut verankert sind. Man müsse sich daher keine Sorgen machen. Seit Mittwoch wissen wir, was die Fed nun beschäftigt: Sich lösende Inflationserwartungen. Dies machte die Notenbank anhand der Umfrage der Universität Michigan fest. Die vorläufigen Daten für Mai wurden Ende letzter Woche veröffentlicht. Die Sorge muss schon sehr groß sein, wenn man die Zinspolitik innerhalb von Tagen neu gestaltet und dies zum Teil auf Basis vorläufiger Daten. Tatsächlich scheinen sich die Inflationserwartungen langsam zu lösen. Verbraucher sehen auf Jahressicht eine Inflationsrate von 5,4 % und über einen Zeitraum von 5-10 Jahren eine Rate von 3 %...


Angesichts einer Inflationsrate von mehr als 8 % erscheinen die Erwartungen moderat. Sie erreichen jedoch den höchsten Stand seit Jahrzehnten. Die Erwartung spiegelt den Median wider. Die Hälfte der Verbraucher sieht also eine höhere Inflationsrate, die andere Hälfte eine tiefere.

Betrachtet man hingegen den Durchschnitt, zeigt sich ein signifikanter Anstieg. Auf Jahressicht erreicht der Wert 7,4 %. Das hat die Fed aufgeschreckt. Sind Inflationserwartungen nicht mehr verankert, droht wirtschaftliches Chaos. Es sind auch nicht nur Verbraucher, die ihre Erwartungen nach oben schrauben. Auch professionelle Prognostiker zeigen einen besorgniserregenden Trend (Grafik 2). Auch hier lösen sich die Inflationserwartungen.


Das Phänomen ist nicht nur auf die USA begrenzt. Auch die für die Eurozone zeigen sich immer höhere Erwartungen der Prognostiker (Grafik 3). Die jüngste Prognose ist dabei alles andere als frisch (letzte Umfrageergebnisse sind mehrere Monate alt).

Lösen sich erst Inflationserwartungen vom Inflationsziel von 2 %, droht volatiler Konsum, eine Lohn-Preis-Spirale, ein Einbruch der Investitionen usw. Die Fed hat Recht, wenn sie sagt, dass eine gute Wirtschaft nur möglich ist, wenn die Inflationsrate moderat ist.

Die große und negative Überraschung des gestrigen Entscheids war, dass die Fed Böses erahnt: Inflationserwartungen sind nicht mehr verankert. Bestätigt sich der Verdacht, wird es in den kommenden Monaten und Quartalen sehr unangenehm.

Das Szenario mag noch unwahrscheinlich klingen, allerdings gab Powell in der Pressekonferenz einen interessanten Hinweis. Da die Inflationsrate zuletzt vor 40 Jahren so hoch war wie jetzt, kennt mehr als die Hälfte der Bevölkerung ein solches Umfeld gar nicht. Fehlt die Erfahrung und Erinnerung, kann man nicht darauf zählen, dass die Bevölkerung an die 70er Jahre zurückdenkt und die Erwartungen rational bleiben.

Angesichts dieser Sorgen und Umstände müsste die Fed eigentlich aggressiver vorgehen. Sie will aber einen Crash verhindern. Das ist ein gefährliches Spiel auf Zeit. Geht es schief, steht sie irgendwann vor dem Problem, dass sie in einer schwachen Wirtschaft plötzlich die Zinsen nicht in Basispunkten, sondern Prozentpunkten anheben muss.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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