Fed-Kurswechsel nicht in Sicht
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Die Zentralbanken versuchen aktuell herauszufinden, wie weit sie mit ihrer aggressiven Straffungspolitik gehen sollen. Bei der Frage, ob die Zentralbanken einen Kurswechsel vollziehen werden, sind aus unserer Sicht vor allem vier Faktoren zu betrachten:
- Der nach wie vor starke Arbeitsmarkt spricht nicht für eine Änderung der Fed-Position. Es gibt Anzeichen für eine gewisse Abschwächung des Lohnwachstums, das jedoch nach wie vor über den Trends vor der Krise liegt, auch wenn es sich im Vergleich zum Vorjahr verlangsamt hat.
- Die Inflation ist hartnäckig und schwierig. Während der Höhepunkt der US-Inflation vermutlich bereits überschritten ist, bestätigen die jüngsten Daten, dass die Kerninflation weiter hartnäckig ist. Die Wareninflation ist rückläufig, während die Dienstleistungsinflation ein 40-Jahres-Hoch erreicht hat.
- Die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung und das Funktionieren der Märkte stehen auf dem Prüfstand. Eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums würde einen fiskalischen Impuls erfordern, insbesondere in Europa, in einer Zeit steigender Zinsen. Die Frage nach der langfristigen Tragfähigkeit der Schulden stellt sich zu einer Zeit, in der die Märkte eindeutig von der Liquidität der Zentralbanken abhängig sind. Diese ist zum Schlüssel für das Funktionieren der Märkte geworden, und das Vereinigte Königreich ist ein Beispiel dafür, wie eine falsch gewichtete Finanz- und Geldpolitik das Funktionieren der Märkte beeinträchtigen und eine Zentralbank zum Handeln zwingen kann.
- Die finanziellen Bedingungen sind angespannt, könnten sich aber noch weiter verschärfen, denn das Risiko, dass die Fed gezwungen ist, über das Ziel hinauszuschießen, bleibt hoch.
Die hohe Inflation und das niedrige Wachstum in Verbindung mit der Straffungspolitik der Zentralbanken bedeuten, dass sich nicht nur in Europa, sondern auch in den USA vermutlich eine Gewinnrezession abzeichnet, und die Wahrscheinlichkeit, dass dies bis 2023 zu einer wirtschaftlichen Rezession führen wird, steigt. Nach dem „Ausverkauf“ im September sind risikobehaftete Anlagen zwar günstiger geworden, eine Gewinnrezession ist aber noch nicht eingepreist. Es ist auch schwer abzusehen, welcher Katalysator einer Zinswende der US-Notenbank und niedrigeren Zinsen vorausgehen könnte, auch wenn nach dem jüngsten Ausverkauf eine gewisse kurzfristige Entspannung möglich ist. Daher bestätigen wir eine insgesamt vorsichtige Haltung in Bezug auf fünf Investmentüberzeugungen:
- Angesichts der Stagflationsängste, der Rezessionssorgen und der Energiekrise bleiben wir bei unserer vorsichtigen Risikohaltung. Sowohl in den USA als auch in Europa halten wir Korrekturen der Unternehmensgewinne nach unten für wahrscheinlich. Wir achten insbesondere auf kritische Punkte und Prognosen in Bezug auf steigende Inputkosten und deren Auswirkungen auf die Gewinnspannen, den stärkeren Dollar, der die internationalen Gewinne inländischer Unternehmen schmälert, und Einschränkungen in der Lieferkette. Schließlich sollten Investoren aus unserer Sicht weiterhin auf Anzeichen eines möglichen massiven Markteinbruchs bei Aktien und auf Abwärtskorrekturen der Gewinne pro Aktie achten, die den Weg für ein besseres Umfeld für Aktien ebnen könnten. Im Moment sind wir davon überzeugt, dass die verhältnismäßig bessere Inflation, das Wirtschaftswachstum und der Konsum
in den USA dazu führen sollten, dass die US-Unternehmen im Vergleich zu den europäischen Unternehmen widerstandsfähig bleiben, was unsere Präferenz für die USA gegenüber Europa bestätigt. Wir sind uns auch bewusst, dass es nach dem jüngsten Ausverkauf kurzfristig zu einer Erholung kommen könnte.
- Im Bereich der Anleihen machen die aktuellen Renditen die Bewertungen von US-Staatsanleihen attraktiv, so dass wir bei der Duration – ein Maß für die Zinssensitivität von Anleihen – in den USA neutral bleiben. Wir sind jedoch aktiv und behalten eine taktische Sichtweise bei, damit wir bereit sind, unsere Haltung je nach Entwicklung der Fed-Rhetorik und des Wirtschaftswachstums anzupassen. In Kern-Europa sind wir nahezu neutral positioniert und glauben, dass die Straffungspolitik der EZB die kurzfristigen Renditen in den Zinskurven der Eurozone bewegen könnte.
- Unternehmensrefinanzierungen sind ein wichtiger Faktor, den es zu beobachten gilt. Wir bevorzugen nach wie vor US-Anleihen hoher Bonität – also mit Investment Grade Rating –, sind aber bei Hochzinsanleihen (High Yield) vorsichtig, da die Risiken zunehmen. Während die Fundamentaldaten der Unternehmen derzeit solide sind, ist die nahe Zukunft unserer Meinung nach ungewiss, insbesondere wenn die Nachfrage nachlässt und die Margen unter Druck stehen. Dennoch waren die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung auf die Spreads (Renditeabstände) von Investment Grade- und High Yield-Anleihen in den USA und Europa bisher begrenzt, da die Unternehmen derzeit nur einen geringen Refinanzierungsbedarf und auf ihre Rücklagen zurückgegriffen haben. Dies hat jedoch in den meisten Sektoren zu einem Absinken der Liquiditätsbestände geführt, was uns dazu veranlasst, hinsichtlich der Entwicklung der Liquidität, des Betriebskapitalbedarfs der Unternehmen und der Ausfallaussichten in den Segmenten mit niedriger Qualität vorsichtig zu sein. In Europa könnte die Steuerpolitik die Unternehmen unterstützen und damit den Druck auf die Liquiditätsbestände der Unternehmen etwas abschwächen, doch schließen wir eine höhere Volatilität der Spreads nicht aus.
- Angesichts des schwachen globalen Wachstums bleiben wir gegenüber den Schwellenländern neutral eingestellt, aber die Notwendigkeit eines selektiven Vorgehens nimmt nach unserer Auffassung zu. Was China betrifft, so könnte das Land trotz der kurzfristigen Herausforderungen im nächsten Jahr dank einer akkommodierenden Politik und fiskalischer Unterstützung für lokale Regierungen eine Erholung der Nachfrage erleben. Bei den Schwellenländern bevorzugen wir nach wie vor Investments in Hartwährungen, während wir bei den lokalen Zinsen angesichts der anhaltenden US-Dollar-Stärke defensiv eingestellt sind. Die Zentralbanken exportorientierter lateinamerikanischer Länder, wie z.B. Brasilien, haben ihre Politik proaktiv gestrafft, um die Inflation einzudämmen, was ein günstiges Umfeld bieten könnte.
- Investoren sollten ihr Augenmerk nach unserer Auffassung vermehrt auf die Liquidität richten, denn jede Zunahme des Drucks an den Märkten könnte es erschweren, sich aus volatileren Anlagen zurückzuziehen.
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