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10:10 Uhr, 15.06.2012

Fallen Angels: Nokia

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  • Nokia Oyj
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Weltweit steigt der Smartphone-Absatz rasant. Nokia, noch im vergangenen Jahr der weltweit größte Handyhersteller, profitiert davon bislang kaum. Zu lange haben die Finnen auf konventionelle Mobiltelefone gesetzt und zunehmend den Anschluss an Apple & Co verloren. Mit neuen Windows-Smartphones holt Nokia jetzt zum Gegenschlag aus. Ob der Rückstand aber noch aufgeholt werden kann, ist sehr zweifelhaft.

Geschichte
Nokia hat Übung darin, sich neu zu erfinden. Das Unternehmen wurde 1865 von einem finnischen Bergwerksingenieur als Papiermühle gegründet und stellte später auch Gummistiefel und Fahrradreifen her. 1967 fusionierte Nokia mit zwei anderen finnischen Unternehmen, Finnish Cable Works und Finnish Rubber Works, womit der Grundstein für den heutigen Technologiekonzern gelegt wurde. Zeitweise produzierte Nokia auch Computer und war drittgrößter Fernsehhersteller in Europa. Ende der neunziger Jahre stieg Nokia zum weltgrößten Handyhersteller auf und profitierte dabei unter anderem von der frühen Fokussierung auf die GSM-Technologie. Mit dem Handy-Boom folgten einige Jahre schnellen Wachstums für Nokia. Zwischen 1996 und 2001 konnte sich der Umsatz fast verfünffachen. Auch nachdem Apple mit seinem iPhone 2007 den Markt für mobile Telefone revolutionierte, blieb Nokia Marktführer bei Handys, verlor bei den hochpreisigen Smartphones aber zunehmend an Bedeutung. So schrumpfte Nokias Smartphone-Marktanteil zwischen dem ersten Quartal 2010 und dem dritten Quartal 2011 von knapp 40 Prozent auf unter 15 Prozent.

Das Ende als Weltmarktführer
Im ersten Quartal 2012 wurde Nokia nach 14 Jahren als weltgrößter Handyhersteller schließlich von Samsung abgelöst. Der südkoreanische Elektronikkonzern setzte nach den Berechnungen des Marktforschungsinstituts Gartner mit 86,6 Millionen Geräten und einem Marktanteil von 20,7 Prozent etwas mehr Geräte ab als Nokia mit 83,2 Millionen Geräten und einem Anteil von 19,8 Prozent. Apple ist mittlerweile der drittgrößte Handy-Hersteller der Welt und verkaufte im ersten Quartal 33,1 Millionen Geräte bei einem Marktanteil von 7,9 Prozent. Insgesamt schrumpfte der Absatz von Mobiltelefonen im ersten Quartal um zwei Prozent auf 419,1 Millionen Geräte. Verantwortlich für den Rückgang war das schlecht laufende Geschäft mit konventionellen Handys, besonders in Asien. Der weltweite Smartphone-Absatz wuchs hingegen um 45 Prozent auf 114,4 Millionen Geräte.

Auch bei normalen Handy geht es abwärts
Die Schwäche beim Verkauf konventioneller Mobiltelefone trifft Nokia besonders hart, denn hier verfügte der finnische Konzern zuletzt noch über einen deutlichen Vorsprung gegenüber den Konkurrenten. Aber auch die wachsende Mittelschicht in den Schwellenländern greift zunehmend zu teureren und höherwertigen Handys, womit Nokia in Gefahr gerät, das letzte Standbein zu verlieren. Während immer weniger konventionelle Mobiltelefone verkauft werden, verbuchen Apple mit dem iPhone und Hersteller von Android-Geräten wie Samsung einen Verkaufsrekord nach dem anderen. Bei seinen Smartphones setzte Nokia lange auf das Betriebssystem Symbian, das in der Folge der Einführung von Android stark an Bedeutung verlor. Im September 2010 übernahm der ehemalige Microsoft-Manager Stephen Elop das Ruder bei Nokia, er sollte die Innovationskraft und Effizienz befördern. Unter der Ägide von Elop kündigte Nokia die Streichung von 30.000 Arbeitsplätzen an und vereinbarte eine Partnerschaft mit Microsoft. Neue Nokia-Smartphones werden seit Ende 2011 mit dem Microsoft-Betriebssystem Windows Phone 7 ausgestattet, was aber bisher den Abwärtstrend beim Marktanteil kaum bremsen konnte.

Lumia als Hoffungsträger
Der Befreiungsschlag sollte eigentlich mit dem Lumia 900 gelingen, einem neuen Nokia-Smartphone mit Windows-Betriebssystem, das seit Anfang Mai auf dem US-Markt verkauft und inzwischen auch in Deutschland angeboten wird. Nokia selbst sprach von „überwältigenden“ Kundenreaktionen und auch Apple-Mitgründer Steve Wozniak rührte für Nokia die Werbetrommel. Einen kleinen Schönheitsfehler hatte die Produktpremiere allerdings. Nokia musste zugeben, dass das Gerät wegen eines Software-Fehlers Probleme mit dem Aufbau von Datenverbindungen hatte, die aber durch ein Software-Update beseitigt werden. Das Unternehmen kündigte an, den Käufern in den USA über den Netzbetreiber AT&T eine Gutschrift von 100 Dollar auf der Mobilfunkrechnung zu gewähren– bei einem subventionierten Verkaufspreis (beim Abschluss eines Zwei-Jahres-Vertrages) von 99,99 Dollar. Die Rabattaktion dürfte zwar den Verkauf befeuern, gleichzeitig aber die Gewinnmargen belasten. Im zweiten Halbjahr 2012 soll die nächste Lumia-Generation erscheinen, dann mit Windows Phone 8 als Betriebssystem.

Auch im Niedrigpreisbereich setzt Nokia auf neue Produkte, um der Krise zu entkommen. Im Mai kündigte Nokia zwei neue Massenmodelle für weniger als 40 Euro an, um den Absatzrückgang bei billigeren Modellen zu stoppen. Vor allem in Asien machen lokale Konkurrenten, die vergleichsweise billige Android-Smartphones anbieten, Nokia zunehmend das Leben schwer. Dabei ist Nokia in Ländern wie Indien, Thailand und Vietnam noch immer die Marke mit der stärksten Zugkraft überhaupt. Mit einer neuen Fabrik in Vietnam will Nokia das Schrumpfen des Marktanteils auf dem asiatischen Massenmarkt aufhalten und gleichzeitig die Effizienz steigern. Im vergangenen Herbst schloss Nokia sein Handy-Werk im rumänischen Cluj, das erst 2008 von Bochum nach Rumänien verlagert worden war. Künftig soll die Smartphone-Produktion auf Asien konzentriert werden. Auf dem Tablet-Markt ist Nokia bisher überhaupt nicht vertreten. Nokia plant zwar eigene Geräte, hat bisher aber keinen Zeitplan für die Entwicklung genannt. Gut möglich, dass Nokia auch hier viel zu spät auf einen Trend aufgesprungen ist. Dauerbaustellen gibt es bei Nokia auch abseits des Kerngeschäfts, wie das Milliardengrab Nokia Siemens Networks zeigt. Im Jahr 2007 brachte Nokia seine Netzwerkausrüstungssparte in das Gemeinschaftsunternehmen mit Siemens ein. Das Joint Venture liefert sich seitdem einen harten Preiskampf mit dem chinesischen Wettbewerber Huawei und kämpft mit Verlusten, so dass Nokia und Siemens Milliardenbeträge zuschießen mussten.

Rote Zahlen
Wegen sinkender Umsätze im Mobilfunk-Kerngeschäft und hoher Aufwendungen zur Sanierung bei Nokia Siemens Networks rutschte Nokia im Gesamtjahr 2011 und im ersten Quartal 2012 tief in die roten Zahlen. Seit 2007 hat sich der Jahresumsatz um knapp ein Viertel auf 38,7 Milliarden Euro verringert. Dadurch verschlechterte sich das operative Ergebnis von plus 7,9 Milliarden Euro auf minus 1,1 Milliarden Euro. Im ersten Quartal 2012 hat sich die Talfahrt noch beschleunigt. Der operative Gewinn rutschte von plus 439 Millionen Euro im Vorjahresquartal auf minus 1,34 Milliarden Euro ab. Analysten hatten ein um eine Milliarde Euro weniger dramatisches Minus erwartet. Der Nettoverlust je Aktie lag bei minus 25 Cent je Aktie, nachdem im Vorjahresquartal noch ein Gewinn von 9 Cent je Aktie erwirtschaftet werden konnte. Der Umsatz verringerte sich innerhalb eines Jahres um ein knappes Drittel von 10,4 Milliarden Euro auf 7,4 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr rechnen die Analysten unter dem Strich mit einem mageren Gewinn, für 2013 aber erneut mit einem Verlust.

Auch die Liquiditätslage hat sich zuletzt deutlich verschlechtert. Die Barreserven schrumpften innerhalb eines Jahres um rund ein Viertel auf 4,87 Milliarden Euro, trotz kräftiger Sparbemühungen. Die Ratingagentur Fitch hat die Kreditwürdigkeit Nokias bereits auf Ramschniveau herabgestuft, bei Moody’s und S&P sind die Nokia-Anleihen noch knapp darüber eingestuft. Fitch begründete seine Neueinschätzung mit den enttäuschenden Quartalszahlen und dem mühseligen Kampf des Unternehmens, wettbewerbsfähig zu bleiben. "Um weitere Abstufungen der Kreditwürdigkeit zu vermeiden, muss das Unternehmen deutliche substanzielle Verbesserungen in der zweiten Jahreshälfte und in 2013 nachweisen", erläuterte Fitch.

Kein Wunder, dass auch Nokia-Aktionäre ihre Geduld verlieren. Ein Anteilseigner verklagte die Finnen Anfang Mai in den USA wegen Erfolglosigkeit. Der Nokia-Vorstand soll den Ernst der Lage teilweise verschwiegen und damit die Anleger getäuscht haben. Nachdem die Klage bekannt wurde, brach die Nokia-Aktie zeitweise um zehn Prozent ein. Der Kurs kennt ohnehin seit Jahren so gut wie nur eine Richtung. Den Hochpunkt erreichte das Papier Ende 2007 mit knapp 29 Euro. Zuletzt notierte die Aktie noch bei 2,236 Euro.

Jüngste Entwicklungen
Am Donnerstag senkte Nokia erneut seinen Ausblick und gab die Streichung von weltweit 10.000 Arbeitsplätzen bis Ende 2013 bekannt. Durch den Jobabbau will Nokia die Kosten um 1,6 Milliarden Euro senken. Der Entwicklungsstandort Ulm mit zuletzt 730 Mitarbeitern wird bis Ende September vollständig geschlossen. In der Gerätesparte rechnet Nokia für das zweite Quartal mit einer noch schwächeren operativen Marge als im ersten Quartal, als der Wert bereits auf minus 3,0 Prozent gerutscht war. Bisher hatte Nokia für das zweite Quartal einen "ähnlichen oder niedrigeren" Wert in Aussicht gestellt. Nokia gab am Donnerstag außerdem den Verkauf der britischen Luxushandy-Marke Vertu an den schwedischen Finanzinvestor EQT bekannt, wobei Nokia einen Minderheitsanteil von 10 Prozent behält. Zudem stellt Nokia sein Führungsteam um. Nokia-Marketingchefin Jerri DeVard, Handy-Chefin Mary McDowell und der Markt-Experte Niklas Savander müssen gehen. Nokia selbst sieht sich auf dem "klaren Weg hin zur Profitabilität", wie Finanzvorstand Timo Ihamuotila sagte. Die Anleger reagierten auf die erneute Senkung des Ausblicks aber schockiert. Die Aktien brachen als Schlusslicht im EuroStoxx um 17,81 Prozent auf 1,828 Euro ein.

Für Nokia geht es jetzt um das Ganze. Nur ein unerwartet großer Verkaufserfolg bei den neuen Lumia-Smartphones könnte den Nokia-Aktien wieder Potenzial nach oben verschaffen. Die Partnerschaft mit Microsoft könnte sich dabei als sehr wertvoll herausstellen. Microsoft hat es sich auf die Fahnen geschrieben, den Markt für Mobilfunk-Betriebssysteme aufzumischen und die Vormachtstellung von Googles Android anzugreifen. Experten halten es für wahrscheinlich, dass Microsoft längerfristig auf einen Marktanteil von 20 Prozent kommen könnte. In diesem Kampf ist Nokia der bevorzugte Partner Microsofts. Trotzdem bleibt abzuwarten, wie die Kunden reagieren. Sollten sich auch die Hoffnungen auf einen Verkaufserfolg der Lumia-Smartphones als Luftnummern herausstellen, dürfte ein weiterer Kursrückgang sehr wahrscheinlich sein.

Übernahmegerüchte und Fazit
Zu einem neuen Höhenflug könnten Nokia allerdings auch Übernahmespekulationen verhelfen. So wurde gemunkelt, dass Facebook in 18 Monaten ein eigenes Smartphone auf den Markt bringen könnte. Um das zu erreichen, so ein Marktgerücht, könnte Facebook Nokia übernehmen. Auch Samsung wurde schon als möglicher Nokia-Bieter gehandelt, die Südkoreaner dementierten diese Spekulationen aber vehement. Nicht zuletzt ist auch der Partner Microsoft immer wieder im Gespräch. Solange Nokia operativ nicht auf die Beine kommt, dürfte die Übernahmefantasie der entscheidende Treiber für steigende Kurse sein. Antizyklisch agierende Investoren und Trader müssen sich aber des Risikos bewusst sein. Alleine könnte Nokia in den kommenden Jahren auch durchaus Richtung Insolvenz steuern, wenn es nicht gelingt das Ruder herumzureißen.

Oliver Baron
Redakteur bei BoerseGo.de

Nokia
ISIN: FI0009000681
Aktienzahl: 3,74 Mrd.
Kurs: 1,86 EUR
Internet: www.nokia.com

Offenlegung gemäß §34b WpHG wegen möglicher Interessenkonflikte:Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten derzeit nicht investiert

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Oliver Baron
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Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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