Kommentar
12:20 Uhr, 24.01.2024

EZB: Zum ersten Mal geschickter als die Fed?

In der Eurozone sind die Inflationsrate und das Wirtschaftswachstum tiefer als in den USA. Trotzdem werden weniger Zinssenkungen erwartet als in den USA. Ein Fehler oder genau der richtige Weg?

Die EZB hat es sich angewöhnt, zu unpassenden Zeiten genau den falschen Entscheid zu treffen. So hob sie etwa zur Jahrtausendwende die Zinsen noch an, obwohl sich das Wachstum bereits abschwächte. Die Inflationsrate war zugegebenermaßen mit 2,5 % höher als in den Jahren zuvor. Außer Kontrolle war die Inflation jedoch noch lange nicht. Die EZB gewichtete Preisstabilität jedoch höher als alles andere.

Das war auch 2008 so. Kurz vor dem Bankrott von Lehman Brothers wurden die Zinsen nochmals angehoben. Die US-Notenbank begann bereits ein Jahr zuvor mit Zinssenkungen. Die EZB hatte die Stabilität des Finanzsystems offenbar überhaupt nicht im Blick oder ignorierte sie. Die Inflationsrate war tatsächlich hoch. Preisstabilität übertrumpfte wieder alles andere.

Der nächste Patzer kam 2011 (Grafik 1). Wieder wurde die Preisstabilität höher gewichtet. Der griechische Staatsbankrott und ein nahender Bankrott Italiens sowie ein Flächenbrand, der Spanien, Irland und Portugal erfasste, war offenbar nicht entscheidend für die Zinspolitik. Nun hat die EZB die Chance, es beim vierten Mal besser zu machen – oder einen vierten geldpolitischen Fehler zu begehen.

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Dieses Mal besteht der Fehler darin, dass die Zinsen trotz tiefen Wachstums und einer Inflationsrate, die sich auf das Ziel zubewegt, zu spät und zu langsam gesenkt werden. Aus Sicht der EZB ist es kein Fehler. Ihr Mandat lautet Preisstabilität. Daran hat sie sich getreu gehalten. Andernfalls hätte sie wie alle anderen Notenbanken in den Jahren 2000, 2007/08 und 2011 anders agiert.


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Die Treue zur Preisstabilität erklärt auch, weshalb der EZB nur vier Zinssenkungen zugetraut werden und der Fed mindestens fünf, wenn nicht gar sechs in diesem Jahr. Im Gegensatz zu den drei bisherigen Fehlern kann es dieses Mal genau der richtige Weg sein. In der Eurozone und auch in den USA steigen die Löhne seit Jahresende 2023 schneller als die Preise. Es kommt zu einem markanten Reallohnwachstum (Grafik 2).

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Arbeitnehmer haben dieses Reallohnwachstum verdient. In den vergangenen Jahren mussten Einbußen hingenommen werden. Aus geldpolitischer Sicht ist Reallohnwachstum von zwei Prozent in der Eurozone aber problematisch. Es wird den Konsum anschieben. Konsum und Reallohnwachstum gehen Hand in Hand.

In den USA wächst die Wirtschaft solide weiter. Durch Reallohnwachstum kann es in Europa zu einem Aufschwung kommen. Beides zusammen verleiht der Inflation möglicherweise einen neuen Schub. Meint man es mit der Preisstabilität ernst, dürfen die Zinsen nicht so früh sinken, wie es vom Markt erwartet wird.

Vieles hängt von der Lohnrunde im Frühjahr ab. In Deutschland übersteigt das Lohnwachstum die Inflationsrate aktuell nur knapp (Grafik 3). Kommt es zu höheren Lohnabschlüssen in Deutschland und anderen großen Euroländern, sind Zinssenkungen bis Herbst vom Tisch. Die Rezession setzt sich dann aller Voraussicht nach fort. Rückblickend könnte es wieder als Fehler erkannt werden. Aus Sicht des Mandats der EZB ist es kein Fehler, sondern genau der richtige Weg.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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