Kommentar
10:30 Uhr, 26.11.2015

EZB-Zinsentscheid: Zahlen wir bald alle Strafzinsen?

Der Hauptrefinanzierungssatz liegt mit 0,05% schon fast an der Nulllinie und wird wahrscheinlich am 3. Dezember nicht angetastet. Aber der Einlagesatz könnte weiter gesenkt werden. Warum?

Geschäftsbanken unterhalten bei der Zentralbank zwingend Konten. Übersteigen die dortigen Guthaben die Mindestreserveverpflichtungen, spricht man von Überschussliquidität.

Früher wurden diese Reserven positiv verzinst, seit September 2014 liegt der so genannte Einlagesatz bei -0,2%

Weil der Satz negativ ist, wird er auch als “Strafzins” bezeichnet.

Das bedeutet: Hält eine Bank mehr Zentralbankgeld vor, als zur Erfüllung der Mindestreserveverpflichtungen nötig ist, muss sie dafür Gebühren zahlen

Der Mindestreservesatz beträgt derzeit 1% und gilt für definierte Einlagen bei der Bank, z.B. täglich fällige (Girokonten) und andere kurzfristige Einlagen.

Beispiel: Ein Kunde überweist 100 TSD EUR von Bank A zu Bank B auf sein Girokonto. Dort verbleibt das Geld. Bank B hat nun ein um 100 TSD höheres Guthaben bei der Zentralbank, muss dafür aber nur 1 TSD EUR Mindestreserve (=1%)vorhalten. Daraus folgt isoliert betrachtet eine zusätzliche Überschussliquidität von 99 TSD EUR. Das Guthaben der Bank A bei der Zentralbank fällt dagegen um 100 TSD EUR.

Aus dem Beispiel geht hervor, warum sich Banken früher über Einlagen gefreut haben und dies in Zukunft immer weniger der Fall sein könnte. Kann man nämlich den Girokontoinhaber nicht zu irgendwelchen Zusatz-Geschäften mit der Bank bewegen, dann bringt der Kunde der Bank nicht nur nichts, sondern er kostet indirekt auch noch Geld - nämlich den Strafzins.
(Ausnahme: Die Bank braucht aus irgendwelchen Gründen unbedingt Zentralbankgeld und kann sich dieses nicht günstiger besorgen)

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Warum könnte die EZB nun den Einlagesatz noch weiter senken?

Will eine Geschäftsbank den Strafzins umgehen, so muss sie ihre Überschussliquidität senken. Das kann sie z.B. tun, indem sie mehr Kredite vergibt. Die Kreditvergabe selbst ist zwar eine Geldschöpfung, die nur in Höhe der zusätzlichen Mindestreserveerfordernis die Überschussliquidität senkt. Überweist der Kreditnehmer aber das Geld zu anderen Banken, dann sinkt die Überschussliquidität in voller Höhe.

Aus dieser Überlegung folgt übrigens ein weiterer möglicher Effekt der Senkung des Einlagesatzes. Tendenziell kann dies dazu führen, dass die Banken ihrerseits sogar weniger Zinsen von ihren Kunden für Kredite verlangen, während sie für Einlagen weniger bezahlen bzw. sogar selber negative Zinsen auf Guthaben erheben.Dies wird sich je nach Höhe des Strafzinses irgendwann nicht mehr vermeiden lassen.

Fällt der Einlagezins, so die Überlegung der EZB, steigt tendenziell die Kreditvergabe. Allerdings darf man es nicht übertreiben, damit das Bargeld-Halten nicht zur Alternative zum Konto wird. (Ein durchaus reales Problem, das vermutlich bei weiterer geldpolitischer Eskalation durch satte Gebühren auf die Nutzung von Bargeld "gelöst" wird)

Auswirkungen auf das Gesamtsystem

Bei einem Mindestreservesatz von 1% muss für eine systemweite “Vernichtung” von 1 Mrd. Überschussliquidität 100 Mrd. an Kredit neu geschaffen werden. Soweit Banken einfach nur Aktiva kaufen (z.B. Aktien) kommt es lediglich zu einer Verschiebung des Zentralbankgeldes, das wie eine “heiße Kartoffel” herumgereicht wird.
Tatsächlich ist es eines der Ziele der EZB natürlich die zusätzliche Kreditgenerierung. Über kleine Strafzinsen auf Girokonten wäre man im EZB-Tower wahrscheinlich auch nicht unglücklich, könnte dies doch in der Theorie dazu führen, dass mehr konsumiert und investiert wird. So könnte die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes angeheizt werden.

In der Praxis freilich könnte auch das Gegenteil passieren. Bei den einen kann es wirken wie gehofft. Andere dagegen sehen sich womöglich sogar genötigt, noch mehr zu sparen als zuvor, um Zins-Einnahmeausfälle zu kompensieren.

27 Kommentare

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  • 0815
    0815

    Ob man da was "grundfalsch" macht bezweifle ich. Es ist heute problemlos möglich ein gebührenfreies Giro mit Karten usw zu erhalten das ist richtig. Die Banken, die noch bei ihrem gebührenmodell geblieben sind haben andere Vorteile wie persönliche Beratung vor Ort und sind weniger Provisions/Verkaufsorientiert sondern beraten besser.

    Was man jetzt da bevorzugt hängt von den persönlichen Präferenzen ab, ist aber nicht grundfalsch ein paar Euro Gebühren für eine Leistung zu bezahlen, die man schätzt.

    Zudem darf man nicht vergessen, dass zB. Die Sparkassen in D über 400 T Beschäftigte haben überwiegend anständig verdienende und auch arbeitende Bankkaufleute. Irgendwer muss sich ja auch die Güter kaufen können die im System produziert werden ;) Das Risiko dass die Sparkassen durch Finanzwetten untergehen ist auch eher gering im Gegensatz zu vielen Großbanken. Ich finde mein Geld dort einfach besser aufgehoben.

    20:08 Uhr, 30.11.2015
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Erst kommen die Strafzinsen für alle, soweit so ärgerlich. Wenn die Pferde jedoch trotzdem nicht saufen wollen, was absehbar ist, dann kommt Helikopter-Mario und wirft die Euros aus dem Hubschrauber. Im Ernst, es würde mich nicht wundern, wenn wir in den nächsten Jahren zur Systemrettung tatsächlich Geld von er EZB erhalten, verbunden mit der Auflage wenigstens 50% für den Konsum zu verbrauchen

    14:00 Uhr, 26.11.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Investor
    Investor

    Wenn die EZB negative Einlagenzinsen erhebt, dann sind Banken nicht mehr daran interessiert, Kredite zu vergeben.

    Würde eine Bank Kredite vergeben, würde es seine EZB Einlagen erhöhen, denn in der Regel möchte die Bank das Geld auf ein eigenes Kto überweisen.

    Bleiben nur noch die Kreditvermittler mit der Überweisung auf eine andere Bank.

    Damit werden die Banken aus dem Kreditgeschäft herausgedrängt. Keine Spareinlagen, keine Kredite. Bleibt nur der Gang ins Risiko über den Eigenhandel, den die EZB verbietet.

    Ob dann europ. Banken eine sinnvolle Anlage sind?

    Irgendwie verstärkt sich der Eindruck, daß die EZB dabei ist, alles zu tun, um die europ. Wirtschaft herunter zu managen.

    12:54 Uhr, 26.11.2015
    2 Antworten anzeigen
  • 0815
    0815

    Das Problem ist, dass die Psychologie der Menschen in mathematischen Modellen nicht erfasst werden kann. So sagt die Theorie zwar dass sinkende Zinsen den Konsum und die Investitionen fördern und umgekehrt. Es ist aber empirisch belegt, dass steigende Realzinsen den Konsum fördern. Der gemeine Kleinsparer fühlt sich unheimlich wohlhabend wenn er 5% p.a bekommt und gönnt sich daher mehr.

    Bei den Investitionen kann man aktuell feststellen, dass Unternehmen zur Investitionsentscheidung weniger den Zins sondern viel mehr die Aussichten heranziehen.

    Geldpolitik wird zur Konjunktur Steuerung über schätzt, es bedarf eben auch fiskalischer Maßnahmen.

    12:01 Uhr, 26.11.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Unbedingt
    Unbedingt

    Ich müsste, um einen Kredit zu bekommen, mindestens 11,5%, wahrscheinlich aber mehr bezahlen. Voriges Jahr habe ich eine Kreditkarte gekündigt, da habe ich mit Jahresgebühr über 27% p.a. bezahlt. ich bezahle beispielsweise auch 7,90E monatliche Gebühren für ein gewöhnliches Girokonto. Wenn die Bank da nicht gut dran verdient, weiß ich auch nicht. Irgendwas stimmt da nicht. Sieht das denn aus Perspektive der EZB so anders aus?

    11:22 Uhr, 26.11.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Kaputtnick
    Kaputtnick

    Hi

    EZB: Die Überschussliquidität der Geschäftsbanken im Euroraum ist am Donnerstag auf €546,17 Mrd (zuletzt: €525,8 Mrd) gestiegen.

    09:28 - Echtzeitnachricht

    Wer soll denn diese Kredite nehmen ohne den Euro in die Tonne zu treten (zum verheizen)

    11:09 Uhr, 26.11.2015

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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