Experten warnen Scholz vor nachlassender Transformation und fordern mehr KI
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Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones) - Die Expertenkommission "Forschung und Innovation" hat in ihrem Jahresgutachten die Bundesregierung davor gewarnt, wegen drängender Probleme aufgrund von Kriegen, Energiekrise und schwacher Konjunktur die notwendige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu vernachlässigen. Die Kommission übergab das Gutachten am Mittag an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Sie forderte von der Bundesregierung außerdem mehr Unterstützung für die Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz, um so die technologische Souveränität Deutschlands zu stärken.
"Ein Aufschieben der Transformationsanstrengungen hätte nicht nur gefährliche ökologische Konsequenzen, sondern würde zugleich die Grundlage unseres mittel- und langfristigen Wohlstands sowie unserer gesellschaftlichen Stabilität aufs Spiel setzen", warnten die Expertenkommission unter Leitung von Uwe Cantner, Professor für Volkswirtschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in ihrem Gutachten.
Die Experten erkannten in ihrem Bericht Fortschritte an, die die Bundesregierung im Rahmen ihrer transformationsorientierten Politik erreicht hat. Sie befürchten aber, dass aufgrund zunehmender geopolitischer Zwänge sowie aufkommender innenpolitischer Spannungen - die auch aus der Umsetzung von transformationsorientierten Maßnahmen resultieren - "die langfristige Transformationsorientierung einer eher kurzfristig ausgerichteten Krisenbewältigungspolitik weichen könnte".
Die Expertenkommission empfahl daher der Bundesregierung, fünf grundlegende Überlegungen in die Konzeption und Umsetzung transformationsorientierter Politikmaßnahmen einfließen zu lassen.
Erstens sollte sie langfristigen und strukturellen Zielen in kurzfristig angelegten Maßnahmen Rechnung tragen. Zweitens sollte die Regierung von vornherein soziale Kompensation bei Maßnahmen zum transformativen Wandel mitdenken. Drittens sollte der Strukturwandel nicht ausschließlich finanziell begleitet werden.
Die Kommission machte sich viertens außerdem dafür stark, dass die Suche nach innovativen Lösungen der Wirtschaft überlassen und die Partizipation der Gesellschaft ermöglicht werden sollte. Und fünftens riet sie der Regierung, Humankapital langfristig zu sichern.
Warnung vor Abhängigkeiten bei KI
Bei der Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz soll die Bundesregierung nach Vorstellung der Experten die Forschung fördern sowie den Aufbau einer KI-Infrastruktur unterstützen.
Die Experten warnten davor, dass die USA und China den Bereich KI dominierten, während Deutschland und die anderen Länder der Europäischen Union (EU) im internationalen Vergleich zurückfielen. Deutschland und Europa liefen daher Gefahr, im Bereich der KI in technologische Abhängigkeiten zu geraten und so die technologische Entwicklung nicht mehr mitgestalten zu können.
"Deutschland und Europa sind daher gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um ihre technologische Souveränität zu stärken. Dies ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, bei der Entwicklung sowie Nutzung von KI europäische Werte wie Nichtdiskriminierung, Schutz der Privatsphäre und Datenschutz zu wahren", heißt es in dem 188-seitigen Bericht.
Um die Innovations- und Wachstumspotenziale von KI nutzen zu können, müsse KI in der Breite der Wirtschaft, also in Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größenklassen, zum Einsatz kommen. Zwar planten viele Unternehmen in Deutschland den Einsatz von KI, jedoch überwögen noch Unsicherheiten und Bedenken hinsichtlich der Reife und Zuverlässigkeit von KI.
"Zur Unterstützung eines KI-Ökosystems sollte die Bundesregierung die KI-Forschung weiter fördern und zum Auf- und Ausbau der KI-Infrastruktur in Form von Daten, Rechenkapazitäten, Wagniskapital und Kompetenzen beitragen", forderten die Experten.
Der AI Act sollte im Laufe der Zeit auf Basis der in der Regulierungspraxis gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen im Dialog mit Akteuren anderer Wirtschafts- und Werteräume angepasst werden. Dabei sei auf eine Balance zwischen Rechtssicherheit einerseits und der Schaffung und Ausschöpfung von Innovationspotenzialen andererseits zu achten.
Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com
DJG/aat/brb
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