Europäische Konsumenten entdecken wieder Luxusgüter
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Europa ist das «Zuhause» der Luxusgüterbranche und brachte eine Vielzahl von Marken hervor, welche im Laufe der Zeit einen Ikonenstatus in ihrer jeweiligen Kategorie erlangten: von Lederwaren (Hermès) über Schmuck (Cartier) bis zu Sportwagen (Ferrari). Doch der europäische Verbraucher spielte für den Absatz der in seinem Land entstandenen Marken zuletzt eher eine Nebenrolle, insbesondere im Vergleich zu den chinesischen und US-amerikanischen Verbrauchern. Sie dominierten die Gesamtausgaben für Luxusgüter mit einem Anteil von ca. 60 %.
Jüngst veröffentlichte Daten weisen aber darauf hin, dass die Pandemie zu einer unerwarteten Verschiebung der Verbraucherprioritäten in Europa geführt haben, wobei die hiesigen Verbraucher sich erneut mit Marken beschäftigen, deren Existenz sie früher als selbstverständlich betrachtet haben. Eine sich abzeichnende Vorliebe für Zeitlosigkeit und vertrauenswürdige Qualität, kombiniert mit dem Einsatz von beträchtlichen "überschüssigen" Ersparnissen, könnten dazu führen, dass der europäische Verbraucher für die Luxusgüterindustrie wieder an Bedeutung erlangt, sobald die Konjunktur anzieht. Grund ist auch das wachsende Interesse jüngerer Verbraucher an einem nachhaltigen Lebensstil: "Weniger kaufen, dafür besser".
Europäer erweisen sich als widerstandsfähig
Vor der Covid-19-Pandemie wurde der boomende Handel in europäischen Luxusgeschäften größtenteils von Touristen, insbesondere aus China, angetrieben. Dementsprechend war der Einbruch des weltweiten Tourismus im Jahr 2020 besonders schädlich für die Luxusgüterumsätze in Europa, zumal diese wichtige touristische Nachfrage für einen Großteil des Jahres entfiel. Der europäische Verbrauch hielt sich dagegen sehr widerstandsfähig: Nach Schätzungen von Bain reduzierten sich die Einkäufe der europäischen Kunden lediglich um 10-15 % (im Unterschied zu einem Rückgang von 20-22 % in der gesamten Branche). Moncler, eine italienische Outerwear-Marke, kommentierte, dass normalerweise am Ende des Jahres beinahe die Hälfte des Geschäfts von Touristen stamme, im Jahr 2020 jedoch dieser Anteil auf weniger als 10 % zurück ging. Dennoch meldete das Unternehmen nur bescheidene Einbußen in Europa (ausgenommen Italien, das den Großteil des Umsatzes mit Touristen verzeichnet) – was auf eine starke Umsatzzunahme durch lokale Verbraucher hinweist.
In ähnlicher Weise zeigt Hermès' europäischer Rückgang von -10 % im 4. Quartal, in deren eigenen Worten, die "Loyalität" ihrer europäischen Kundenbasis. Der Umsatzrückgang von Gucci in Westeuropa um 45 % im Jahr 2020 war eine Folge der übermäßigen Abhängigkeit vom Tourismus und des mangelnden Engagements bei den lokalen Verbrauchern, was das Unternehmen in Zukunft zu ändern hofft. Die vierteljährlich publizierten Informationsaktualisierungen von LVMH zeigen, dass das Gesamtvolumen des europäischen Geschäfts per Ende März 2021 "lediglich" 18 % unter dem Niveau von 2019 liegt, wobei bislang mehr als die Hälfte der Verkäufe in europäischen Ladengeschäften an die mittlerweile ausbleibenden Touristen getätigt wurden. Dies wird vom Management mit Aussagen über einen beobachteten "Anstieg der lokalen Kundenbasis in Europa" untermauert.
Wichtiger Treiber: Die Digitalisierung des Schaufensters
Was hat die Wiederentdeckung der Luxusbranche beim europäischen Verbraucher ausgelöst? Erstens das stabile bzw. wachsende verfügbare Einkommen der Konsumenten, deren Ausgaben sich gleichzeitig von Erlebnissen (Urlaub, Gastronomie) auf Waren (Schmuck, Accessoires, Haushaltswaren) verlagerten. In Krisenzeiten schneiden vertraute Marken in der Regel deutlich besser ab als neue, ungetestete Marken, bedingt durch die Vorliebe der Verbraucher für Sicherheit in einer unsicheren Welt. Einer der größten Auslöser für die Wiedergewinnung der europäischen Luxuskonsumenten ist aber die fortschreitende digitale Transformation der Einkaufsgewohnheiten. Allein in den letzten zehn Monaten des vergangenen Jahres entwickelte der «E-Commerce» eine Dynamik, die nahezu dem Entwicklungsausmaß der vorangegangen zehn Jahre entspricht.
Hinzu kommt, dass die Konsumenten zunehmend Vertrauen in die Online-Zahlung von hochpreisigen Artikeln gewinnen. Die Luxusindustrie richtete ihre "Verkaufsinszenierung" und ihren Verkaufsauftritt auf die Online-Welt aus. Sie nutzte Live-Streaming-Techniken und verwandelte die Verkäufer in den Geschäften in digitale Verkäufer, welche eine persönliche Beziehung zu den Kunden aufbauen. Mit anderen Worten, die gute altmodische Kundenbetreuung wurde an die digitale Welt angepasst. Durch die Erschließung von Luxusmarken für lokale Verbraucher, welche davor nicht unbedingt in einem von Touristen überfüllten Geschäft stöbern wollten (oder konnten), gelang es den Luxusmarken, neue Kunden zu gewinnen. Der in Deutschland ansässige Online-Händler Mytheresa konnte seinen aktiven Kundenstamm im Jahr 2020 um 22 % ausbauen, indem er orchestrierte digitale Einkaufserlebnisse sowie exklusive limitierte Kollektionen u.a. von Valentino und Moncler anbot.
Das Konsumverhalten: überlegter, weniger leger
Zunehmend mehr junge Europäer entdecken Luxusmarken, auch dank der wachsenden Bedeutung von Wiederverkaufsmärkten (pre-owned oder second-hand). Die Käufer streben danach, weniger, dafür jedoch hochwertigere Produkte zu besitzen. Dies erklärt den in jüngster Zeit branchenweit zu beobachtenden Anstieg des Handels mit Spitzenmarken. Eine kürzlich durchgeführte BCG-Umfrage ergab, dass im vergangenen Jahr nahezu 50 % der Käufer von Gebrauchtartikeln eine neue Marke ausprobierten. Der Gebrauchtwarenkonsum ist insbesondere bei den jüngeren Konsumenten in den USA und Europa verbreitet. Beinahe zwei von drei Verbrauchern geben an, dass sie mehr Artikel von Modemarken kaufen würden, wenn diese mit Second-Hand-Anbietern zusammenarbeiten würden. Dies könnte ein wichtiger Treiber für die zukünftige Kundengewinnung für Luxusmarken sein.
Kein Winter hält ewig an
Die beschleunigte Einführung von Impfstoffen in den kommenden Monaten dürfte den wirtschaftlichen Aufschwung in Europa auf breiter Basis unterstützen. Die Eurozone und das Vereinigte Königreich tragen insgesamt schätzungsweise 18 % zum weltweiten privaten Konsum bei. Ausgehend von den USA, die sich in einem früheren Stadium der Konjunkturerholung befinden, könnten auch die europäischen Verbraucher beträchtliche Mengen an "überschüssigen Ersparnissen" in die Realwirtschaft fließen lassen und damit einen Katalysator für das Aufholen des im letzten Jahr aufgeschobenen Luxuskonsums darstellen.
Die Bilanzen der privaten Haushalte waren bereits vor Beginn der Pandemie in einer gesunden Verfassung. Die finanzpolitische Unterstützung durch die europäischen Regierungen hat die Sparquoten der Privathaushalte auf ein außerordentlich hohes Niveau gehoben. Selbst unter Berücksichtigung der Zurückhaltung der Konsumenten und einer höheren als der normalen Sparquote in der Erholungsphase erwarten wir einen deutlichen Anstieg der Konsumnachfrage. Obgleich Verbraucher im Zuge der wirtschaftlichen Wiederbelebung voraussichtlich mehr Ausgaben für die Freizeitgestaltung und das Gastgewerbe tätigen werden, sollte der Gesamtbetrag der verfügbaren Ausgaben im Vergleich zu der Zeit vor der Covid-19-Krise steigen, was sowohl die Ausgaben für Waren als auch für Dienstleistungen unterstützt.
Neue Wege führen nach Rom
Luxusmarken werden für eine neue Generation von Luxuskonsumenten in Europa zunehmend bedeutender – dank der breiteren Verfügbarkeit durch die digitale Transformation sowie der Einführung neuer Geschäftsmodelle. Der Wiederverkauf spricht eine zunehmend auf Nachhaltigkeit bedachte Käuferschaft an und Marken richten ihr Wertversprechen stärker auf die Wünsche der lokalen Verbraucher aus, während private Fernreisen möglicherweise für lange Zeit nur in geringem Umfang möglich sein werden. Die Pandemie hat die früheren Strategien zahlreicher Unternehmen – starke Abhängigkeit von Touristen, Fehlen von Produkten und Merchandising mit lokalem Zuschnitt – grundlegend verändert und den Anstoß gegeben, dass eine künftige Generation von europäischen Luxuskonsumenten zurück zu ihren Ursprüngen findet.
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