Fundamentale Nachricht
12:00 Uhr, 30.01.2023

Europäische Aktien: Auf die Branche kommt es an

Noch ist die Gefahr für eine tiefe Rezession nicht gebannt, so die Meinung von Beatrix Ewert, Client Portfolio Managerin bei Lazard Asset Management Deutschland. Dennoch sieht sie für europäische Aktien Potenzial.

Die kräftige geldpolitische Medizin, die im vergangenen Jahr von den großen Zentralbanken einschließlich der EZB verabreicht wurde, habe nur wenige historische Präzedenzfälle. „Und die Auswirkungen dieser drastischen Straffung sind noch nicht absehbar“, betont Beatrix Ewert. Sie und ihre Kollegen betrachten die aktuellen Marktbewertungen daher kritisch: „Wir halten es für verfrüht, die Tiefe der sich abzeichnenden Rezession zu beurteilen. Vieles deutet darauf hin, dass der jüngste Aufschwung an den globalen Aktienmärkten nicht gerechtfertigt ist.“ Die Experten von Lazard erwarten nach dem stürmischen Jahr 2022 ein weiteres schwieriges Jahr. Beatrix Ewert sieht aber Licht am Horizont: „Die bevorstehenden Schwierigkeiten sind allmählich eingepreist.“

Zudem erwarten die Lazard-Experten, dass Europa als erste Region aus der Rezession herauskommen wird: „Wir glauben, dass wir den Höchststand der Inflation gesehen haben. Das stärkt unsere Ansicht, dass der aktuelle Zinserhöhungszyklus in Europa weniger streng sein wird als anderswo, und dass europäische Aktien eine relative Attraktivität bieten, die im Laufe des Jahres in den Vordergrund treten sollte.“

Vielversprechende Sektoren in Europa: Luft- und Raumfahrt und Finanzen
Die Aktienmarktbewertungen der Region seien bereits um mehr als 20 Prozent gesunken und würden nach wie vor einen beträchtlichen Abschlag gegenüber den Bewertungen von US-Aktien aufweisen. Trotz der düsteren konjunkturellen Aussichten sieht Beatrix Ewert Chancen in Branchen, die von der aktuellen Wirtschaftslage weniger betroffen sind: „Die Luft- und Raumfahrtindustrie beispielsweise verfügt derzeit über einen hohen Auftragsbestand. Ihre Kunden, die Fluggesellschaften, stellen ihre Flotten neu auf, um treibstoffeffizienter zu werden. Finanzwerte profitieren von der Rückkehr steigender Renditen – ein Rückenwind, den sie seit vielen Jahren nicht mehr gespürt haben. Darüber hinaus sehen wir jetzt Wertsteigerungen bei den zyklischen Industrie- und Konsumgütern, die bereits einen deutlichen Abschwung erlebt haben.“

Hoffnung bestehe auch wieder für die europäischen Verbrauchertitel: Sie dürften von der Wiederöffnung Chinas nach der Lockerung seiner Null-Covid-Politik profitieren. Im Vergleich zu einer Weltwirtschaft, die sich wahrscheinlich in einer Rezession befindet, könnte sich die chinesische Wirtschaft in diesem Jahr stark erholen. Dazu müsste es China gelingen, die Covid-19-Fesseln abzuwerfen, was ein willkommener Impuls für den globalen Handel wäre. Die Expertin erläutert, wer von dieser Entwicklung am stärksten profitieren könnte: „Da die im MSCI Europe Index enthaltenen Unternehmen 7 Prozent ihres Umsatzes in China erwirtschaften, sind die beliebten europäischen Verbrauchermarken besonders gut positioniert, um von einem optimistischeren chinesischen Verbraucher zu profitieren. In den USA zum Beispiel ist dieser Effekt geringer, denn im S&P 500 Index sind nur 3 Prozent der Umsätze betroffen.“

Vorteile: Kohärente Politik und ESG
Zwei aktuelle Entwicklungen könnten dazu beitragen, die langfristige Attraktivität europäischer Aktien erhöhen. Die eine sieht Beatrix Ewert in der europäischen Energiepolitik: „Eine wirksame politische Koordinierung der Europäischen Union in Bezug auf die Energieversorgung und ihre geschlossene Front gegen die Aggression Russlands hat die traditionelle Kritik, die Region sei politisch dysfunktional, in Frage gestellt. Die politische Führung in Europa erscheint nun viel kohärenter.“ Einen weiteren Vorteil sieht sie in den besseren ESG-Ratings: „Die Unternehmen und Aktienmärkte im Rest der Welt schließen in Bezug auf die Offenlegung von ESG-Kriterien und die Verfügbarkeit von Daten zu Europa auf. Daher dürften die allgemein besseren ESG-Merkmale der Unternehmen in der Region noch deutlicher zutage treten, da direkte Vergleiche einfacher werden.“ Dies sollte aus Sicht Ewerts ein positives Unterscheidungsmerkmal für europäische Aktien sein.

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