Kommentar
11:01 Uhr, 05.05.2004

Europa: Kursrückgang wegen Nachfragesorgen

In der letzten Woche gaben die US-Aktienmärkte nach, weil Anleger sich vor allem auf die Auswirkungen einer Zinserhöhung konzentrierten. Höher als erwartet fielen der BIP-Preisdeflator zum ersten Quartal sowie der Prices-Paid-Index des amerikanischen Institute of Supply Management (ISM) für den Monat April aus. Dies lässt zum einen auf mehr Preismacht schließen, die den Umsätzen zugute kommt, schürt auf der anderen Seite aber auch die Inflationsangst. Aus ihrer heutigen Stellungnahme zur Geldpolitik dürfte die US-Notenbank (Fed) den Hinweis auf "geduldiges Warten" streichen und das Land damit auf eine Zinserhöhung und die Anleger auf die damit einhergehende erwartete Abschwächung der Wirtschaft einstimmen. Der Einbruch zyklischer Branchen wie Informationstechnologie (IT) und Grundstoffe bescherte der Nasdaq den höchsten Wochenverlust seit zwei Jahren, während defensive Titel aus den Bereichen Energie und Gesundheit besser abschnitten. Enttäuschend für die Analysten, die mit einem Plus von 5,0% gerechnet hatten, fiel der Bericht zum BIP-Wachstum im ersten Quartal aus (annualisiert 4,2%), der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Der Index zum Verbrauchervertrauen sowie der Einkaufsmanagerindex im Großraum Chicago fielen hingegen besser aus, als von den Analysten prognostiziert. Einen leichten Rückgang verzeichnete die ISM-Umfrage im produzierenden Gewerbe, insgesamt tendierte sie aber fest: ein Ergebnis von über 60 den sechsten Monat in Folge hat es zuletzt 1983 gegeben. Inzwischen haben rund 80% der im S&P 500 vertretenen Unternehmen ihre Zahlen zum ersten Quartal vorgelegt, aus denen ein Anstieg des Gewinns je Aktie von durchschnittlich 27% hervorgeht. Die Prognose des Konsens wurde damit um das Doppelte übertroffen.

An den japanischen Aktienmärkten fielen die Kurse von Standardwerten, weil Anleger wegen der möglichen Zinserhöhung in den USA eine Abschwächung der US-Nachfrage befürchten. Der auf Nebenwerte spezialisierte Topix Second Section Index legte dank der anhaltend positiven Aussichten für die Binnennachfrage zu. Diese wurden durch die robuste Shoko Chukin-Umfrage zum Vertrauen mittelständischer Unternehmen gestützt. Ein Wermutstropfen waren jedoch die Ausgaben der Arbeitnehmerhaushalte, die im März zum zweiten Mal seit fünf Jahren um mehr als 6% zurückgingen. Im März wuchs die Industrieproduktion um 0,1%, während sich die Verbraucherpreise in Tokio (ohne frische Lebensmittel) im April erneut abschwächten.

Kursverluste gab es in der letzten Woche an den europäischen Aktienmärkten. Auslöser waren die erwartete Zinserhöhung in den USA sowie das Anziehen der Zinszügel in China. Beide Länder sind wichtige Abnehmer europäischer Produkte. Zwar verbesserten sich die Indizes zum Vertrauen der Wirtschaft und der Industrie in Euroland, Aktien der europäischen Schwerindustrie gaben angesichts der Maßnahmen der chinesischen Regierung zur Abkühlung der Wirtschaft nach. Die für Donnerstag erwartete Zinserhöhung der Bank von England um 0,25% ist inzwischen vom Markt voll eingepreist.

In der Region Asien-Pazifik brach der H-Aktien-Index der in Hongkong gelisteten chinesischen Unternehmen um weitere 10% ein, nachdem die chinesischen Behörden die Kreditvergabe dreier Großbanken für eine Woche einstellten und die anderer Banken drastisch beschränkten. Für diese Woche hat die chinesische Zentralbank Berichten zufolge eine Zinserhöhung angekündigt, die erste seit neun Jahren. Seit Jahresbeginn hat der Index der H-Aktien 20% verloren, nachdem er 2003 um 170% gestiegen war. Mehrere Emerging Markets mussten angesichts der möglichen Zinserhöhung in den USA und der damit verbundenen Auswirkungen für ihre Wirtschaft Verluste hinnehmen. Korea und Taiwan schlossen mit einem Minus von 8% bzw. 9% und auch die lateinamerikanischen Märkte gaben nach (Brasilien -9%). Boden abgeben mussten auch die Märkte in Osteuropa, denen Grundstoffwerte, für die mit einer schwächeren Nachfrage aus China gerechnet wird, die Stimmung verdarben. Die zweite Woche in Folge schwächte sich der russische Markt ab (-7%), nachdem der Ölgigant Yukos (-8%) Bankern zufolge wohl bei einigen seiner Kredite in Zahlungsverzug geraten könnte.

An den weltweiten Staatsanleihemärkten fielen die Anleihekurse erneut zurück. Auslöser waren vermehrte Hinweise auf einen Inflationsanstieg und die Erwartung auf Zinsanhebungen. Anleihen aus der Eurozone notierten schwächer, denn die sich verbessernden Stimmungsbarometer in der Eurozone machen eine Zinssenkung unwahrscheinlicher.

Wegen des erwarteten Zinsgefälles konnte der US-Dollar an den Devisenmärkten leicht gegenüber dem Yen zulegen, gegenüber dem britischen Pfund und dem Euro notierte er aber schwächer.

An den Rohstoffmärkten machte der Rohölpreis einen Sprung um 5% nach oben, denn die Ermordung fünf ausländischer Ölarbeiter in Saudi-Arabien löste Versorgungsängste in Bezug auf den weltweit größten Ölproduzenten aus. Wegen des starken US-Dollars und der Aussicht auf eine rückläufige Nachfrage aus China fiel der Goldpreis um 1,5%.

Von Spekulationen über Abschwächung in China profitieren defensivere Standardwerte

Die in der letzten Woche erwartete Nachfrageabschwächung in China löste Ängste unter den Anlegern aus und der Hang Seng China Index sowie zwei wichtige Indikatoren für die Nachfrage aus China, die Kupfer- und Transportquoten, schwächten sich ab. Dies blieb natürlich nicht ohne Wirkung auf die Performance des Marktes bzw. der Branche. Erschüttert wurden die von den Rohstoffpreisen betroffenen Märkte, allen voran Bergbau- und Industriewerte. Inzwischen tritt die Unterperformance zyklischer, kleinerer Werte sowie einiger wachstumsorientierterer Titel an allen großen Märkten offen zutage. Defensivere, größere Werte hatten die Nase vorn, angeführt von Pharmawerten, nicht zyklischen Konsumgütern und Ölwerten. Letztere profitierten von hohen und stabilen Ölpreisen. Die Verschiebung bei den Anlagestilen machte sich auch in der Performance der einzelnen Länder bemerkbar: stark zyklische Märkte wie Japan und Deutschland mussten Verluste hinnehmen. An diesem Montag wurden starke Zahlen zum Geschäftsklima veröffentlicht, so die Berichte der Einkaufsmanager aus den USA und der Eurozone. Von diesem Vertrauensbeweis konnten Zykliker allerdings nicht profitieren, so dass sich die Umschichtung in defensive Werte in den USA fortsetzte.

Quelle: Merrill Lynch Investment Managers (MLIM)

Merrill Lynch Investment Managers (MLIM) wurde 1976 gegründet und ist mittlerweile eine der größten Investmentfirmen der Welt. Das verwaltete Vermögen beträgt 471 Mrd. US-Dollar (per 30. Juni 2003). Als das Tochterunternehmen für Vermögensverwaltung von Merrill Lynch verfügt MLIM über eine breite Auswahl an prämierten Anlagefonds und umfassenden Einblick in die Märkte.

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