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09:39 Uhr, 05.09.2022

Energiekrise verschärft Dilemma für die EZB

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Die Energiekrise erreicht einen neuen Höhepunkt. Russland hat die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 vorläufig komplett eingestellt, die Ampel-Koalition bringt ein 65 Mrd. Euro schweres Stützungspaket auf den Weg, Österreich plant einen Strompreisdeckel, Schweden und Finnland spannen Rettungsschirme für den Energiesektor im Volumen von (umgerechnet) mehr als 30 Mrd. Euro auf, die G7-Staaten zielen auf einen Preisobergrenze für russisches Rohöl, die EU visiert umfangreiche Eingriffe in den Strom- und Gasmarkt an, und in Tschechien demonstrieren 70.000 Menschen gegen die Folgen der Sanktionspolitik. Die Finanzmärkte in Europa stehen unter Druck. Die Aktienmärkte eröffnen mehr als 2 % schwächer, der Rentenmarkt fester, und EUR-USD rutscht auf ein neues 20-Jahres-Tief unterhalb von 0,99.

Die Versorgung Deutschlands und Europas mit Energieträgern erlebt so etwas wie einen „Perfekten Sturm“. Gaslieferungen aus Russland durch Nord Stream 1 sind auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Durch die Kopplung des Strompreises an den Energiepreis (Stichwort „Merit-Order System“) kommt es an der Strombörse zu nie zuvor erlebten Kursausschlägen. Die Atomstromproduktion in Frankreich leidet unter einem Instandhaltungsstau und zu heißem Wetter, der niedrige Rheinpegel gefährdet die Versorgung von Kraftwerken im Süden Deutschlands mit Kohle. Die Bundesregierung bringt ein drittes Entlastungspaket für Verbraucher auf den Weg, dessen Volumen sie mit 65 Mrd. Euro beziffert, wenngleich diese Summe in ihren Einzelteilen bislang nicht nachvollzogen werden kann. Schweden und Finnland spannen jeweils einen Rettungsschirm aus Krediten und Garantien, um die Folgen der Strompreisausschläge (und damit zusammenhängende Sicherheitsleistungen durch Versorgungsunternehmen) aufzufangen. Die Energieminister der EU-Staaten planen Berichten zufolge, auf einem Dringlichkeitstreffen Ende der Woche umfangreiche Eingriffe in den Energiemarkt zu vereinbaren. Die G7-Staaten haben sich grundsätzlich dafür ausgesprochen, eine Preisobergrenze für Importe russischen Rohöls einzuführen. Heute kommen die Mitgliedsstaaten der OPEC+ zu ihrem monatlichen Treffen zusammen.

In diesem Umfeld wird die Europäische Zentralbank am kommenden Donnerstag ihre Leitzinsentscheidung bekanntgeben. Lange Zeit war unklar, wie die EZB in einem Umfeld starken Inflationsdrucks und sich eintrübender Wachstumsaussichten agieren würde. In den vergangenen Tagen und Wochen wurde aber offenbar, dass die Notenbank in einem solchen Szenario an ihren Plänen einer geldpolitischen Straffung festhalten würde. Nun steht die Frage im Raum, welchen Einfluss die beschriebenen Entwicklungen der vergangenen Tage rund um die Energieversorgung auf die Leitzinsentscheidung nehmen könnten. Solange wir unterstellen, die sich zuspitzende Energiekrise würde im Zweifel den Inflationsdruck weiter erhöhen und die Wachstumsaussichten zusätzlich dämpfen, sollte die EZB auch weiterhin an ihren Straffungsplänen festhalten. Schon seit einigen Tagen wird im Markt darüber diskutiert, ob die Notenbank erneut eine Anhebung um 50 Bp beschließen wird, oder ob sie ihren Straffungszyklus sogar beschleunigt und einen Zinsschritt um 75 Bp ankündigen wird. Wir sehen eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Fortsetzung des Straffungszyklus mit 50 Bp-Schritten, der Markt ist leicht in Richtung einer 75 Bp-Anhebung geneigt. Möglicherweise erleben wir, wie auch vor der vergangenen Ratssitzung, dass Agenturmeldungen in den kommenden ein, zwei Tagen das Pendel in die eine oder andere Richtung schicken werden. Ansonsten bliebe die Frage „50 oder 75?“ wohl „fifty-fifty“, bis die Entscheidung am Donnerstag um 14.15h bekanntgegeben wird.

An den Finanzmärkten hinterlässt die sich verschärfende Energiekrise heute früh deutliche Spuren. Die europäischen Aktienmärkte starten mit deutlichen Abschlägen von rund 2½% in die Woche – nachdem sie am Freitag nach Veröffentlichung eines „perfekten“ US-Arbeitsmarktberichts noch mit Kursgewinnen von teils mehr als 3 % aus dem Handel gegangen waren. Der Bundmarkt handelt etwas fester, ohne dass sich hieraus eine entscheidende Verschiebung der Anlegererwartungen über den EZB-Zinsschritt ableiten lassen würde. Der Euro kommt stark unter Druck und fällt gegenüber dem US Dollar auf ein neues 20-Jahres-Tief von 0,9878. Es hatte sich ja abgezeichnet, dass der September an den Märkten anspruchsvoll sein würde. Die jüngsten Entwicklungen setzen hinter diese Einschätzung noch ein dickes Ausrufezeichen…

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