Kommentar
09:56 Uhr, 21.09.2010

Eine Ära der Zweifel und Bedenken

Das V-förmige Erholungsszenario der Weltwirtschaft kam im Sommer plötzlich von der Bahn ab. US-Daten wiesen auf eine nur schleppende Verbesserung der Beschäftigungszahlen hin, was die Befürchtungen bestätigte, die Konjunkturerholung könne ohne entsprechende Erholung des Arbeitsmarktes stattfinden. Zudem brach der Immobilienmarkt ein, nachdem das staatliche Förderprogramm für den Erstkauf von Immobilien ausgelaufen war. Der Stimmungsaufschwung unter den USVerbrauchern kam ins Stocken, die Umfrageergebnisse im Fertigungssektor zeigten eine negative Tendenz. Auch in China war ein Nachlassen der Wirtschaftsentwicklung infolge der gegen die chinesische Bauindustrie gerichteten drakonischen Abkühlungsmaßnahmen erkennbar. Diese Trends werden durchweg von den jüngsten Indizes bestätigt. Auch der Rest der Welt dürfte durch die Handelsentwicklung in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei den japanischen Frühindikatoren gab es eine abrupte Trendwende. Europa scheint als einzige Region dem düsteren Ende des Sommers widerstanden zu haben. Der Mythos des soliden Bollwerks wird jedoch entzaubert werden, wenn sich das Wachstum des Welthandels auf die Hälfte des aktuellen Werts reduziert.

Wirtschaftsexperten hatten durchaus mit einer Abkühlung des globalen Wachstums gerechnet, da sich der Lagerbestandszyklus normalisiert und die haushaltspolitischen Anreizmaßnahmen nach und nach eingestellt werden. Das Ausmaß dieser Abkühlung hat die Beobachter jedoch überrascht und trotz der zunehmenden Fusions- und Übernahmeaktivitäten einen Einbruch der Märkte verursacht.

Nur noch schleppendes Wachstum

Bei unseren Analysen gehen wir eher von vorerst schweren Zeiten und nicht von einem regelrechten Rückfall in die Rezession aus. Die Trendwende beim globalen Fertigungszyklus ist zwar drastisch, steht aber im Einklang mit dem atypischen Lagerbestandszyklus, der durch die ausgeprägten Inflationsängste während der Lehman-Krise verursacht wurde. Abgesehen von diesem quasi automatischen Einbruch dürfte das Momentum der US-Endnachfrage (Zunahme um 4 % gegenüber dem Vorquartal im 2. Quartal 2010) in Kombination mit den Spätwirkungen der äußerst expansiven Geld- und Haushaltspolitik (Zinsen, Staatsausgaben) bis in das Jahr 2011 hinein anhalten, wenn auch mit einem moderateren Tempo (2,5 %), da die Entschuldung auf jeden Fall vorangetrieben werden muss. In China hat die Regierung der Immobilienblase zwar kontrolliert die Luft abgelassen, ist aber fest entschlossen, anstelle von Luxushäusern im großen Umfang erschwingliche Immobilien zu bauen. In diesem Marktsektor wird die Nachfrage derzeit durch zu hohe Preise ausgebremst. Die chinesische Regierung setzt nach wie vor die spekulativen Luxusgütermärkte unter Druck, kann aber jederzeit zu haushaltspolitischen Maßnahmen greifen, falls die erzwungene Korrektur des Immobiliensektors auf die benachbarten Sektoren (z. B. Schwerindustrie) übergreifen sollte. Schwellenländer in den Randgebieten würden über den Handel mit Industriegütern (Asien) und Rohstoffen (Lateinamerika, Russland) von einer Abkühlung der beiden globalen Konjunkturlokomotiven China und USA in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber auch hier wird ein unterstützender haushalts- und geld-politischer Strategiemix sowie die Zunahme des inländischen Kreditwachstums als Puffer dienen. Europa wird eine Zeitlang mangels Konkurrenz als Musterschüler glänzen, wobei die deutschen Verbraucherausgaben für eine positive Überraschung sorgen werden, ehe der schleppende globale Handel und der in europäischen Randländern wie Griechenland, Irland und Spanien vorherrschende Deflationsdruck auch hier die Oberhand gewinnt. Die gesamte Eurozone wird im Jahr 2011 konsequente Sparmaßnahmen umsetzen müssen. Die Trägheit des Welthandels in Verbindung mit der expansiven Geldpolitik wird in allen Regionen den Übergang zu einem schleppenden Wachstum nach der Blase (2,5 % in den USA, je 1,5 % in Europa und Japan) abfedern.

Zentralbanken als Retter

Diese neue Situation ist nicht ohne Risiken. Nach zehn Jahren sorgloser Verschuldung (US-Haushalte, OECD-Staaten), unproduktiver Überinvestitionen (u. a. Immobiliensektor in den USA und Spanien, Schwerindustrie in China) und hoher Kreditvergabe (westliche und chinesische Banken) lauern nun überall Gefahren. Der Bankkreditkanal ist trotz der Rekapitalisierungsbemühungen immer noch zum Teil verstopft. Für Großunternehmen sind die Kreditmärkte weit geöffnet, für die Sicherung von Verbraucherkrediten aber immer noch fest geschlossen. Genau hier dürfte die Fed in einer zweiten Phase ihrer quantitativen Lockerungspolitik zusätzlich zum Aufkauf von mit Krediten besicherten Anleihen (ABS) intervenieren müssen. Die EZB wird vermutlich bei neuen Monetarisierungsmaßnahmen mehr Zurückhaltung zeigen, könnte sich jedoch zu einer solchen Entscheidung gezwungen sehen, wenn die Anleihenmärkte in den Randländern der Eurozone erneut auf Talfahrt gehen. Der ursprüngliche Plan, bis Januar 2011 für unbegrenzte Liquidität zu sorgen, dürfte aller Voraussicht nach bis Mitte 2011 ausgedehnt werden. In beiden Fällen wird unserer Ansicht nach der Pragmatismus siegen. Wir gehen somit davon aus, dass der jeweilige Leitzins bis zum 4. Quartal 2011 unverändert bleibt. Gleichzeitig werden wir neue unkonventionelle Maßnahmen erleben.

USA auf Sparkurs

In Europa sind in den Brüssel vorgelegten Haushaltsplänen für 2011 nur moderate Straffungsmaßnahmen zu erwarten. Die Gefahren lauern in den USA, wo auf Bundes- und lokaler Ebene bereits mit drastischen Haushaltseinsparungen begonnen wurde. Zudem hat die Regierung von Präsident Obama durch die anhaltend hohen Arbeitslosenzahlen einen schweren Stand gegenüber den Republikanern, die jede neue Maßnahme zur Konjunkturankurbelung ablehnen. Der US-Haushalt wird im kommenden Jahr um mindestens 1,2 % des BIP schrumpfen – oder sogar um 2,1 %, wenn die noch unter der Bush- Administration beschlossenen Steuererleichterungen für die Mittelschicht nicht verlängert werden. Eine Einstellung von Anreizmaßnahmen dieser Größenordnung stellt für die Konjunkturerholung eine ernstzunehmende Gefahr dar. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt hängt weiter von einer nennenswerten Erholung des Dienstleistungssektors ab, wobei die jüngsten Trends kaum Anlass zu Hoffnung gaben. Anleger müssen daher die Entwicklung des Dienstleistungssektors und des gesamten US-Arbeitsmarktes im Auge behalten, zumal in den USA Zwischenwahlen anstehen. Ein Rückfall in die Rezession ist eher unwahrscheinlich, aber vor dem Hintergrund der politischen Spannungen lässt der Übergang Zweifel und Bedenken aufkommen.

Risikoreiche Assets werden auch weiterhin durch die veröffentlichten makroökonomischen Daten und die hierdurch ausgelöste Stimmung beeinflusst. Obwohl die jüngsten Meldungen (Indikator für den US-Fertigungssektor ISM, US-Beschäftigungszahlen) für eine gewisse Entlastung des Verkaufsdrucks sorgten, bleibt die Stimmung anfällig.

Quelle: AXA Investment Managers

AXA Investment Managers (AXA IM) ist ein Multi-Experten-Investmentmanager mit Niederlassungen in 22 Ländern, der institutionelle Investoren, Distributoren und die Versicherungsgesellschaften der AXA Group betreut. Derzeit verwaltet die Gesellschaft ein Vermögen von 524 Mrd. Euro (Stand: 30. Juni 2010).

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