Kommentar
11:30 Uhr, 29.03.2024

Ein tauglicher digitaler Euro? "Eher wird Gladbach Meister"

Dr. Joachim Schwerin ist Blockchain-Experte der EU und wirkte entscheidend mit bei der MiCa-Regulierung. Ein Gespräch über den digitalen Euro, die größten CBDC-Schwierigkeiten und unsere monetäre Zukunft.

Viele Bürger betrachten den digitalen Euro mit Skepsis und befürchten einen Verlust an Privatsphäre. Dennoch treibt die EZB das Projekt voran und ein Start des digitalen Zentralbankengeldes (CBDC) scheint zunehmend realistisch. Der EU-Blockchain-Experte Dr. Joachim Schwerin setzt sich schon länger kritisch mit dem Thema auseinander. Im Gespräch mit BTC-ECHO erklärt er, wie es heute wirklich um den digitalen Euro steht, welche Gefahren mit dem umstrittenen CBDC-Projekt einhergehen und was für spannende monetäre Entwicklungen unsere Zukunft bestimmen werden.

BTC-ECHO: Mitte des vergangenen Monats gab es von der EZB erstmals konkrete Ausschreibungen für private Anbieter, die bei der Entwicklung von Dienstleistungen rund um einen digitalen Euro mitwirken sollen. Hat damit die offizielle CBDC-Vorbereitungsphase begonnen?

Dr. Joachim Schwerin: Das Ganze ist ein langwieriger Prozess in vielen Schritten. Wir führten ja zuletzt ein Gespräch im Sommer 2023, da waren wir noch in der Untersuchungsphase. Im Herbst fiel dann die Entscheidung, in die nächste Phase der Vorarbeiten zum digitalen Euro einzutreten. In dieser Vorbereitungsphase befinden wir uns nun seit November 2023. Im Januar 2024 folgten die von Ihnen genannten Ausschreibungen. Es ist nur logisch, dass die EZB mit diesen beabsichtigten Rahmenabkommen für bestimmte Komponenten und Dienste den nächsten praktischen Schritt macht. Gleichzeitig hat sie klargestellt, dass das noch immer keine endgültige Festlegung ist, weil man auf ein konkretes politisches Mandat wartet.

Wann, glauben Sie, kommt dieses Mandat?

Das konkrete politische Mandat wird noch auf sich warten lassen, zumal wir uns in einem Wahljahr befinden. Wir haben die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni, und danach kommt die neue EU-Kommission. Dies läutet den nächsten fünfjährigen Politikzyklus ein. Man wird zu diesem Zeitpunkt berücksichtigen müssen, wie die politischen Mehrheiten sind und wie sich die nationalen Parlamente aufstellen hinsichtlich des digitalen Euros, zumal in diesem Jahr in mindestens sechs EU-Mitgliedsstaaten ebenfalls Wahlen stattfinden. Auch nach dem Fortgang der Vorbereitungsphase wird dieses Projekt also vermutlich einige weitere Jahre in Anspruch nehmen. Aktuell sind wir noch sehr weit entfernt von der tatsächlichen Implementierung und echten Anwendungsfällen.

Befindet sich die EZB denn in ihrem Zeitplan? Und glauben Sie daran, dass der digitale Euro schon 2026 kommt oder vermuten Sie eher, dass es noch etwas länger dauern wird?

Ich denke, dass möglicherweise eher Borussia Mönchengladbach wieder deutscher Fußballmeister wird, als dass wir einen massentauglichen und breit einsatzfähigen digitalen Euro haben werden. Damit habe ich noch nichts Konkretes gesagt über den genauen Zeitrahmen.

Das Jahr 2026 wäre tatsächlich sehr ambitioniert. Aber ich denke, dass wir insofern schon im Zeitrahmen sind, weil eigentlich alle Länder, die sich mit CBDCs beschäftigen, mehr oder weniger größere Verzögerungen aufweisen bei der Umsetzung. Trotz der ehrgeizigen Ziele gibt es viele praktische Probleme, die man vielleicht am Anfang noch nicht so deutlich sehen konnte. Man könnte nun behaupten, dass der Prozess sehr langsam abläuft, aber ich würde vielmehr sagen, dass der Prozess realistisch ist, weil er eben ein Such- und Lernprozess ist. Es ist für mich eine ganz andere Frage, was genau man dann letztlich irgendwann haben wird.

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Sie meinen, wie der digitale Euro dann gestaltet sein wird?

Genau, denn Sie sagen jetzt, dass wir “den” digitalen Euro haben werden. Aber was heißt das eigentlich? Heißt das, dass wir dann eine eigenständige Zahlungsinfrastruktur haben? Heißt das, dass wir echt nachgefragte konkrete Anwendungsfälle haben? Wenn ja: welche und mit welchen Transmissionsmechanismen? Oder heißt das vielleicht eher, dass wir so eine Art Pilotprojekt haben, wo man erstmal auf freiwilliger Basis schaut, dass man genügend Leute überzeugt, um in eine erste praktische Phase einzutreten? Das heißt, es ist schon vom Begrifflichen her schwierig zu erfassen, wann man “den” digitalen Euro hat.

Worauf müssen sich die Bürger also einstellen?

Ich gehe davon aus, dass man in vier bis fünf Jahren etwas hat, was man als “einen” digitalen Euro bezeichnen kann. Ob das großflächig zur Lösung der ökonomischen Probleme beiträgt, die wir aktuell haben, und ob das insbesondere die Nachfrage der Industrie nach modernen Blockchain-basierten Zahlungssystemen abdeckt, dahinter würde ich ein Fragezeichen setzen.

Wenn ein digitaler Euro primär als Retail Euro eingeführt wird, so wird er erst einmal ein kleiner Teil eines sehr breiten Zahlungsspektrums sein und sich im Wettbewerb behaupten müssen. Dort werden neben traditionellen Produkten noch Stablecoins und zunehmend auch tokenisierte Einlagen inkludiert sein sowie andere Token-basierte Lösungen, an die wir heute noch nicht denken. Und dann hat man zwar einen digitalen Euro, aber das bedeutet ja nicht, dass man den Zahlungsverkehr in der ganzen Volkswirtschaft hierdurch digital neu justiert bekommen würde – ganz zu schweigen davon, dass Bargeld bleiben wird.

Es gibt ja auch private Lösungen, etwa von der European Payments Initiative. Wenn die nun genauso schnelle Transaktionen gewährleisten, ebenso niedrige Kosten und auch Unabhängigkeit von den amerikanischen Platzhirschen – braucht es dann überhaupt noch einen digitalen Euro von der EZB? Was wären denn überhaupt die Vorteile dieser CBDC?

Das ist die Millionenfrage bei Günther Jauch. Es hängt ganz davon ab, aus welcher Perspektive man die Fragestellung betrachtet. Wir haben hier bei der Digital Euro Conference von verschiedenen Rednern gehört, dass der digitale Euro vor allem ein politisches Projekt sei. Dass man also aus Sicht der europäischen Politik und der EZB schaut, ob man eine CBDC-Lösung gemeinsam aufbauen kann. Die politische Zielsetzung ist dabei, Europa unabhängiger und resilienter zu machen. Es gibt auch den Aspekt der geldpolitischen Steuerung mit dem digitalen Euro als zusätzlichem monetären Anker sowie den wichtigen Effekt der Lernkurve im digitalen Kontext. Jeder beschäftigt sich aktuell mit digitalem Geld, dann ist nur natürlich, dass es auch Zentralbanken tun.

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Und wenn man es aus nicht-politischer Perspektive betrachtet?

Wenn Sie darauf schauen, was die Industrie braucht, was man im Web3 nötig haben wird oder was die Konsumenten nachfragen, dann sehe ich persönlich bisher auf Basis der aktuellen Diskussionen keinen überzeugenden Anwendungsfall. Und dann denke ich, dass wir verstärkt auf den privaten Markt vertrauen werden, der viele Angebote unterschiedlichster Art kreieren wird. Wir befinden uns ohnehin in einem Marktumfeld, in dem digitale Innovationen rasant voranschreiten, aber sehr differenziert und adaptiert für den jeweiligen Kontext. Und dann kommen auch noch ungelöste Fragen im Hinblick auf den digitalen Euro hinzu, die bisher kaum diskutiert werden.

Welche Fragen meinen Sie?

Zum Beispiel: Mit wem haben Sie eigentlich einen Vertrag, wenn Sie eine Wallet für den digitalen Euro nutzen? Sie haben doch üblicherweise einen Vertrag mit Ihrem Zahlungsdienstleister, und der trägt die Verantwortung und haftet. Auf welcher rechtlichen Grundlage beruht dann etwa die Datenverarbeitung und der weitere Handlungsspielraum der Zentralbank, mit der Sie gar keinen Vertrag haben? Zudem: Wenn die Anwendungsfälle eher Konkurrenzprodukte für bereits existierende Marktlösungen sind als etwas eigenständig Neues, wofür bräuchte man die sich abzeichnende Duplizierung der Zahlungssysteme? Online stellt sich diese Frage ohnehin, aber selbst im Offline-Gebrauch sprechen wir hier von einer zentralen Lösung, die bereits vorhandene Dinge dupliziert.

Warum könnte diese zentrale Lösung problematisch sein?

Wir haben in der Finanzkrise gelernt, dass auf Finanzmärkten entstehende Probleme für die Realwirtschaft und ganze Volkswirtschaften aus der Zentralisierung von Marktstrukturen und systemischen Risiken resultieren und nicht aus dezentralisierten Marktlösungen. Gleiches gilt aus der Cybersicherheits-Perspektive. Ich war gestern bei einer Veranstaltung, da ging es um Quantum-proofing von Daten-Verschlüsselung. Damit hat der dezentrale Bereich relativ wenige Probleme, wenn Sie sich etwa Blockchainlösungen im Ethereum-Ökosystem und anderswo ansehen. Die arbeiten schon jetzt erfolgreich an Verschlüsselungsmethoden, welche auch vor Quantencomputer-Hacks sicher sind. Weshalb arbeitet man dann an Marktinfrastruktur, die im Prinzip alles noch weiter zentralisiert?

Sie würden also sagen, dass mit einer CBDC auch technologische Risiken einhergehen, die die meisten Leute noch gar nicht auf dem Schirm haben?

Ich sprach jetzt von CBDCs allgemein und nicht dem digitalen Euro im Besonderen, der aber natürlich auch eine CBDC ist. Ich denke, dass alle am digitalen Euro arbeitenden Experten mit bestem Wissen und Gewissen versuchen, die von ihnen identifizierten Risiken zu kontrollieren. Neben vielen nicht prohibitiv hohen Risiken haben wir aber insbesondere eine noch unzulängliche digitale Infrastruktur. Diese soll nun verbessert werden, damit der digitale Euro attraktiver wird. Gleichzeitig hat man aber nach aktuellem Diskussionsstand keine Verzinsung des digitalen Euros und will strikte Limits. Zudem sollen die Kosten beim technischen Betreiben des Systems niedrig sein. Die Frage wäre dann: Wo kommt das nötige Investitionsvolumen her? Woher kommen die Anreize, um das sinnvoll aufzubauen? All diese Faktoren spielen zusammen und machen es im Vorhinein schwer nachvollziehbar, warum wir in die oben skizzierte Richtung laufen.

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Halten Sie es denn für möglich, dass der digitale Euro am Ende eine Totgeburt wird? Dass also das EZB-Projekt verwirklicht wird, aber kaum jemand nimmt es an und nach einigen Jahren wird es einfach wieder eingestellt?

Das ist Spekulation, aber nicht auszuschließen. Der Staat wird kreativ sein bei der Suche nach Zielgruppen, die den digitalen Euro vielleicht verwenden werden. Wie sie sehen, kommen jetzt mit Hinblick auf die Migrationsfrage bestimmte Karten auf, auf welchen monetäre Werte gespeichert werden. Da wird man zukünftig vielleicht weitere Anwendungen finden.

Hinsichtlich tragfähiger zukünftiger Zahlungssysteme sollten wir jedoch viel mehr über Dinge wie Machine-to-Machine-Transaktionen oder über Mikro- und Sofortzahlungen im Web3 sprechen. Im Prinzip kann ohnehin alles tokenisiert werden, was irgendeinen Wert hat. Der wirkliche Anwendungsfall ist daher einer, bei dem Sie den Transfer von Werten aller Art über eine Blockchain darstellen können. Davon sind wir meilenweit entfernt, und schon heute gibt die Bevölkerung klar zu verstehen, dass sie eher auf private Lösungen als auf staatlich bereitgestellte vertraut, gerade auch zum Schutz der Privatsphäre, der wir uns mit der DSGVO verschrieben haben. Die Datenlage ist hier sehr deutlich.

Wird es dann eine staatliche Pflicht geben?

Das ist eine wichtige Frage, denn wenn der Staat zum Beispiel die Verwendung eines digitalen Euros verpflichtend macht, befänden wir uns im Widerspruch zur Freiwilligkeit, auf der unser bisheriger Ansatz beruht. Die Bevölkerung würde dies dann erst recht ablehnen. Es ist ja sogar so, dass selbst freiwilligen Lösungen, die auf staatlich geschaffene Fiatwährungen zurückgreifen, die Glaubwürdigkeit abgeht. Betrachten Sie Stablecoins, die momentan zu über 99 Prozent dollargedeckt sind. Sobald die US-Regierung regulierend eingreift, wird das die Diskussion politisieren und dominieren, weshalb sie global keine langfristige Lösung sein können. Die aus meiner Sicht einzige langfristig tragfähige Lösung ist ein offenes, Blockchain-basiertes System, wo die Verifizierung von Dokumenten möglich ist und wo man Eigentumstitel und Werte aller Art dezentral transferieren kann. Damit kann man im Prinzip Geld, aber auch alles andere abbilden. Deshalb muss man viel konsistenter und größer denken, wenn man wirklichen Fortschritt möchte.

Wenn Sie im Jahr 2030 die Wahl haben, ob Sie mit Ihrer Bitcoin Lightning Wallet, einer genauso komfortablen Wallet für den digitalen Euro oder mit dem klassischen Bargeld zahlen – wofür werden Sie sich entscheiden?

Ich werde immer mit Bargeld zahlen, ich halte sogar noch D-Mark. Ebenso gerne werde ich mit Privacy Coins zahlen, ergänzend mit Bitcoin, auch wenn mir dies eigentlich zu transparent ist. Und ich werde als Nostalgiker wohl irgendwo noch ein oder zwei Konten haben und ein Restvertrauen in private Banken bewahren, eher aus Faulheit. Aber da hört es dann auch auf. Ich stehe für möglichst dezentrale, selbst-organisierte, maximalen Schutz der Privatsphäre bietende Lösungen, und dem kommt keine mir bekannte CBDC-Lösung nahe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der zweite Teil des Interviews mit Dr. Joachim Schwerin dreht sich um Bitcoin, Krypto-Regulierung und Stablecoins. Der Beitrag erscheint nach Ostern exklusiv für BTC-ECHO Plus-Abonnenten.

Source: BTC-ECHO

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