Kommentar
00:04 Uhr, 13.10.2020

"Handle nur mit Kapital, dass du auch bereit bist zu verlieren"

Über psychologisch bedingte Fallstricke im Trading sprachen wir mit Henry Philippson

Henry Philippson ist langjähriger Experte bei GodmodeTrader/Guidants und was sein Trading angeht im kurzfristen Zeitfenster unterwegs, u.a. im Forex-Bereich.

Tipp: Sie können Henry Philippson auch auf unserem Schwesterportal, der Tradingplattform Guidants folgen. Hier klicken!

Warum fällt es vielen Tradern so schwer, konsequent Verluste zu begrenzen und Gewinne mitzunehmen, wenn dies doch die goldene Regel des Tradings ist?

Das ist ja gleich mal die Kardinalfrage direkt zu Beginn des Interviews. Nein im Ernst, vielen Tradern fällt es so schwer konsequent Verluste zu begrenzen, weil es ganz einfach wider der menschlichen Natur ist.
Seit mehr als 10.000 Jahren ist, beziehungsweise wurde der Mensch darauf programmiert, Schmerzen möglichst zu vermeiden. Tradingverluste empfindet jeder Händler in gewisser Hinsicht aber als Schmerz und somit wird alles dafür getan, diese Tradingverluste zu vermeiden. Bei offenen Positionen, auch wenn diese tief im Minus sind, darf ja immerhin noch gehofft werden, dass noch ein breakeven-Trade oder sogar ein Plus draus wird. Erst bei beim Glattstellen der Position und einer Realisierung des Verlustes ist somit der tatsächliche „Schmerz“ da. Also wird das Unterbewusstsein alles Mögliche dafür tun, diesen Schmerz zu vermeiden. Der Trader kann noch so gute Absichten haben - der größte Feind des Traders sitzt im eigenen Kopf und der versucht nun einmal, Verluste zu vermeiden.

Was hat es mit den „Bias“ auf sich. Was ist das genau und wie kriegt man die Bias in den Griff?

Der bekannteste ist sicherlich der so genannte Long Bias, d.h. der typische Anleger/ Investor hält in der Regel nur Longpositionen. Viele Vermögensverwalter/ Fonds dürfen sogar nur Longpositionen halten. Der Long-Only Ansatz wird in der Regel für risikoloser erachtet als das Leerverkaufen von Aktien. Die Realität ist allerdings: Die Gefahren sind in etwa gleich, wenn man sich nicht gerade in einer Phase einer jahrelangen ultraexpansiven Geldpolitik befindet. Es wird aber auch Marktphasen geben, wo auf der Longseite nichts zu holen sein wird. Der ambitionierte Händler sollte sich daher auch mit dem "Shorten" von Aktien und Indizes vertraut machen, auch wenn das aktuell – verständlicherweise – eher unpopulär ist.

Angst ist ein ständiger Begleiter, wenn man tradet und insbesondere auch dann, wenn man auf Trading-Gewinne mehr oder weniger angewiesen ist. Kann man die Angst in den Griff bekommen und wenn ja wie?

Wenn man auf Trading-Gewinne angewiesen ist bedeutet dies eine extreme Drucksituation für den Händler. Für Anfänger und Einsteiger absolut nicht empfehlenswert. Die Angst, die hier beschrieben wird, entsteht ja durch eine gewisse Unsicherheit beim Handel. Diese kann nicht abgestellt und auch nicht in den Griff bekommen werden , die gehört einfach dazu. Bei jedem Trade gibt es eine Unsicherheit ob ein Verlierer oder ein Gewinner entstehen wird. Die Unsicherheit wird nie verschwinden und somit auch nicht die so genannte Angst, die hier beschrieben wird. Unsicherheit („Angst“) gehört dazu, genau so wie die Maske zur Corona-Pandemie.

Ist der Mensch psychologisch für Situationen wie im Trading-Business schlicht nicht geschaffen?

Eigentlich ist der Mensch psychologisch tatsächlich nicht für das Trading geschaffen. Die meisten menschlichen Instinkte sind extrem kontraproduktiv für den Börsenhandel. Um Schmerzen zu vermeiden wird das Unterbewusstsein einem sehr oft genau das Gegenteil vorschlagen als das, was tradingtechnisch eigentlich korrekt beziehungsweise angemessen wäre. Dessen sollte man sich bewusst sein, bevor man mit dem Handel anfängt.

Hattest Du in deiner Börsen-Karriere selber schon Situationen, in denen Du gerne mehr über die psychologischen Probleme im Trading gewusst hättest?

Die psychologischen Probleme im Trading sind mir schon relativ lange (auch schmerzlich) bekannt. Das spielt aber überhaupt keine Rolle, ob man sich der psychologischen Probleme im Trading bewusst ist oder nicht. Die Emotionen sind ja trotzdem da, die kann man als erfahrener Trader ja auch nicht einfach abstellen. Somit hatte ich natürlich schon solche Situationen, die hat jeder Händler in seiner Karriere, und zwar regelmäßig. Die gute Nachricht für alle Neueinsteiger: Es gibt Wege, wie man diese Emotionen („Probleme“…) halbwegs in den Griff bekommt.

Zu guter Letzt: Wie hast Du dein Trading unter Kontrolle gebracht und was kannst Du guten Gewissens aus tradingpsychologischer Sicht allen Tradern mit auf den Weg geben?

Man sollte sich einem gewissen Regelwerk unterwerfen was die Einstiege und die Ausstiege anbelangt. Dieses Regelwerk muss zu ihnen passen, das müssen Sie sich selber erarbeiten, dass kann Ihnen keiner vorgeben. Und dann sollte man versuchen, seine Gedanken zu kontrollieren, dieses Regelwerk möglichst optimal umzusetzen. Was ich allen Einsteigern mit auf den Weg geben möchte ist Folgendes: Handle nur mit Kapital, dass du auch bereit bist zu verlieren. Dies gilt für jeden einzelnen Trade. Dementsprechend sollte die Positionsgröße wahrscheinlich eher deutlich geringer ausfallen als sie denken, das erspart den Einsteigern schon einmal relativ viele Probleme im Trading.

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