Kommentar
10:30 Uhr, 11.02.2022

Dr. Spendigs Nachhaltigkeitssprechstunde – Timing ist alles

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Servus und moin, moin allerseits aus München!

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, sagte einst Michail Gorbatschow und was dann folgte ist allgemein bekannt. Im Bereich der Nachhaltigkeitsregulierung kann von einem „zu spät kommen“ wohl nicht die Rede sein.

Eher überschlagen sich die Arbeitsgruppen in Brüssel mit der Publikation diverser Regulierungsdokumente und Anwendungsfahrplänen. Leider sind die Fahrpläne nicht immer aufeinander abgestimmt und wie jeder Bahnfahrer aus eigener Erfahrung weiß, kann die Verschiebung eines Zuges zu chaotischen Verhältnissen führen.

Versuchen wir etwas Licht ins Dunkel zu bekommen und die zeitlichen Zusammenhänge zu skizzieren. Ich konzentriere mich im Folgenden auf die für Investmentprodukte relevanten Regulierungen, namentlich die SFDR (Offenlegungsverordnung), die MiFID 2 (Erweiterung um Nachhaltigkeitspräferenzen), die Taxonomieverordnung (in Folge kurz als Taxonomie bezeichnet) und die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive).

Die Taxonomie ist das „Wörterbuch“ der Nachhaltigkeit und spätestens seit dem Jahreswechsel durch die Einbeziehung von Kernenergie und Erdgas auch dem Freundeskreis außerhalb der Finanzbranche bekannt. Und um eine Sprache zu lernen, sollte man ein Wörterbuch vorliegen haben und noch besser wäre es, wenn dieses Wörterbuch vollständig wäre. Nun sieht die Sache bei der Nachhaltigkeit etwas anders aus. Von den sechs Zielen der „ökologischen Taxonomie“ liegen bislang nur finale Dokumente für zwei der Ziele vor. Die anderen vier Ziele plus die sogenannte „soziale Taxonomie“ werden erst in den kommenden Monaten veröffentlicht. Kein Wunder, dass die Frage, wie hoch der Umsatzanteil von Unternehmen an Taxonomie-konformen Aktivitäten ist in den meisten Fällen nur geschätzt werden kann. Es besteht hier aus Sicht der Unternehmen auch keine Eile, denn Unternehmen sind erst ab 2023 verpflichtet diese Daten offenzulegen.

Dumm nur, dass sowohl die SFDR als auch die MiFID 2 Erweiterungen explizit auf die Taxonomie referenzieren. Die Daten, die bei Produkten offengelegt werden bzw. Grundlage des Beratungsprozesses bilden sollen, können also noch gar nicht in Gänze vorliegen. Das scheint auch dem Gesetzgeber aufgefallen zu sein, denn anders ließe sich das Konstrukt der „nachhaltigen Investitionen“ nach SFDR Art. 2 (17) nicht erklären. Taxonomie-konforme Aktivitäten werden auf hunderten von Seiten erläutert – der Begriff der nachhaltigen Investition hingegen wird eingeführt in einer Art carte blanche Definition – „alles andere (ökologisch oder sozial), was wir in der Taxonomie nicht definiert haben“. Wir dürfen sehr gespannt sein, wie die Investment-Industrie hier vorgehen wird und freuen uns bereits auf kreative Interpretationen. Hoffen wir, dass die unscharfe Definition nicht als Einladung zum Greenwashing verstanden wird.

Apropos SFDR und MiFID 2. Ein letzter Höhepunkt des Timing Kuddelmuddels war die Verschiebung der Level 2 Anwendung der SFDR auf Anfang Januar OHNE, dass die unmittelbar betroffenen MiFID 2 Anwendungen ebenfalls verschoben wurden. Wenn Timing alles ist, dann ist dieses Vorgehen im wahrsten Sinne des Wortes NICHTS. Haben wir dem letzten Akt des Verschiebungsdramas beigewohnt? Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, denn erst vor wenigen Tagen hat die Finanzindustrie eindringlich plädiert, die Anwendung der MiFID 2 Erweiterungen ins Jahr 2023 zu verschieben. Werden wir Gehör finden? Wer weiß, es bleibt auf jeden Fall spannend!

In diesem Sinne. Bleiben Sie nachhaltig gesund!

Ihr Dr. Bernd Spendig

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