Dr. Spendigs Nachhaltigkeitssprechstunde – „Du kommst hier nicht rein!“: Ausschlusskriterien – die Türsteher der Nachhaltigkeit
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Servus und moin, moin allerseits aus München,
viele von uns haben Erfahrungen mit Türstehern, einigen dürfte auch schon ein „Du kommst hier nicht rein!“ entgegengeschallt sein. In meinem heutigen Blog geht es allerdings nicht um Fragen des passenden Outfits, sondern um Branchen und Unternehmen, die von nachhaltigen Fonds gemieden werden, sprich es geht um Ausschlusskriterien von nachhaltigen Fonds.
Anders als bei Clubbesuchen sind die Entscheidungen der Türsteher nicht subjektiv, sondern regelbasiert. Sie funktionieren wie ein Sieb: Alles, was durch die Löcher fällt, kommt nicht ins Portfolio. Klingt einfach, ist aber komplizierter als gedacht. Denn wer entscheidet, welche Löcher wie groß sind?
Die klassischen Ausschlusskriterien stammen noch aus der Zeit, als nachhaltige Geldanlage hauptsächlich von religiösen oder ethischen Überzeugungen geprägt war. Alkohol, Tabak, Glücksspiel und Waffen – die berühmten „Sin Stocks“ – waren die ersten Kandidaten für den Ausschluss. Heute ist die Liste in der Regel deutlich länger und differenzierter geworden. Schauen wir uns einige Beispiele etwas genauer an.
Beginnen wir mit Fossilen Brennstoffen. Diese stehen heute ganz oben auf der Ausschlussliste. Aber Vorsicht: Hier muss man genau unterscheiden. Manche Fonds schließen nur Kohle aus, andere auch Öl und Gas. Wieder andere verbieten nur die Förderung, nicht aber die Weiterverarbeitung der fossilen Brennstoffe. Ein Ölkonzern ist raus, aber die Raffinerie darf bleiben? Das ist etwa so konsequent wie ein Veganer, der eine Lederjacke trägt.
Rüstung und Waffen werden meist ausgeschlossen, aber auch hier gibt es Grauzonen. Ist ein Technologieunternehmen tabu, das zu 5% Radarsysteme für Militärflugzeuge entwickelt? Wie sieht es mit zivilen Sicherheitstechnologien aus? Die Grenzen verschwimmen schnell und seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Diskussion über die Nachhaltigkeit von Waffenproduzenten vollends entbrannt.
Atomenergie spaltet die Gemüter – im wahrsten Sinne des Wortes. Während deutsche Fonds Kernkraft meist konsequent ausschließen, sehen französische oder schwedische Anbieter das entspannter. Schließlich gilt Atomstrom in diesen Ländern als wichtiger klimafreundlicher Teil des Strommixes.
Tabak und Alkohol sind Klassiker, auch wenn die Begründung heute eher gesundheitspolitisch als moralisch erfolgt. Interessant wird es bei der Abgrenzung: Ist ein Supermarktkonzern tabu, weil er Zigaretten verkauft? Oder ein Pharmaunternehmen, das Nikotinpflaster herstellt?
Gentechnik steht auf vielen Ausschlusslisten, wobei die Definition oft schwammig bleibt. Geht es um grüne Gentechnik in der Landwirtschaft oder auch um medizinische Anwendungen? Ein Insulinhersteller nutzt heute gentechnisch veränderte Bakterien – soll er deshalb ausgeschlossen werden?
Pornografie und Prostitution werden oft mitgenannt, aber praktisch relevant ist das selten. Börsennotierte Unternehmen in diesen Bereichen sind rar, und die Abgrenzung zu harmlosen Medienunternehmen ist meist klar.
Das Umsatzschwellen-Dilemma
Hier wird es richtig spannend: Die meisten Ausschlusskriterien funktionieren über Umsatzschwellen. Ein Konzern wird erst dann ausgeschlossen, wenn er mehr als beispielsweise 5% oder 10% seines Umsatzes mit problematischen Aktivitäten macht. Das klingt pragmatisch, kann aber zu absurden Situationen führen.
Ein Energiekonzern, der zu 9% im Kohlegeschäft tätig ist, darf bleiben – einer mit 11% ist raus. Ein Mischkonzern kann sein Portfolio geschickt strukturieren, um unter der Schwelle zu bleiben. Plötzlich wird aus einem klaren ethischen Prinzip ein Buchhaltungstrick.
Besonders problematisch wird es bei großen Konzernen: Siemens baut Windräder, aber auch Gasturbinen. Amazon betreibt Rechenzentren mit Ökostrom, aber auch ein klimaschädliches Logistiknetz. Wie geht man mit solchen Grauzonen um? Strenge Ausschlussfonds setzen auf Null-Toleranz. Kohle ist Kohle, Waffen sind Waffen – fertig. Das Portfolio wird kleiner, aber dafür ethisch konsistenter. Der Preis: weniger Diversifikation und möglicherweise schlechtere Rendite.
Best-in-Class-Ansätze sind oft kompromissbereiter. Sie schließen ganze Branchen nicht aus, sondern wählen die besten Unternehmen aus jeder Branche. Das kann bedeuten, dass der sauberste Ölkonzern im Portfolio landet – immer noch ein Ölkonzern, aber wenigstens einer mit Anstand.
Nicht alle Ausschlusskriterien sind so streng, wie sie klingen. Manche Fonds nutzen „Engagement“ als Hintertür: Problematische Unternehmen werden nicht ausgeschlossen, sondern sollen durch Gespräche und Stimmrechtsausübung „verbessert“ werden. Das kann funktionieren – oder auch als Ausrede dienen, um lukrative Investments zu rechtfertigen. Andere Fonds wiederum kaufen zwar keine Aktien direkt, investieren aber in Staatsanleihen von Ländern, die genau diese Industrien fördern. Moral an der Börse, aber nicht bei den Staatsfinanzen?
Wie sieht mein Ansatz angesichts dieser Probleme aus?
Ich schaue mir die genauen Kriterien an, nicht nur die Überschriften. „Ausschluss fossiler Brennstoffe“ kann alles oder nichts bedeuten.
Ich prüfe die Top-Positionen: Wenn ein angeblich nachhaltiger Fonds voller Banken ist, die Kohleprojekte finanzieren, stimmt etwas nicht. Die größten Positionen verraten oft mehr als die Werbebroschüre.
Ich hinterfrage die Umsatzschwellen: Sind 25% oder 15% Toleranzgrenze wirklich sinnvoll? Oder ist das nur ein Feigenblatt?
Fazit: Ausschlusskriterien sind ein wichtiges Werkzeug, aber kein Allheilmittel. Sie helfen dabei, die größten Problemfälle zu meiden, können aber nicht jede ethische Frage lösen. Wichtiger als die perfekte Lösung ist die bewusste Entscheidung: Wo ziehe ich persönlich die Grenze?
Am Ende ist ein Fonds mit klaren, wenn auch nicht perfekten Ausschlusskriterien besser als gar keine nachhaltigen Überlegungen anzustellen. Und denken Sie daran: Auch der beste nachhaltige Fonds kann nur so gut sein wie die Unternehmen, die es tatsächlich gibt.
In diesem Sinne, Bleiben Sie nachhaltig gesund!
Ihr Dr. Bernd Spendig
