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10:30 Uhr, 14.06.2024

DIW: Signale für Erholung deutscher Wirtschaft stehen "auf Grün"

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat seine Prognosen für das Wirtschaftswachstum angehoben und erwartet für dieses Jahr eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,3 Prozent und für kommendes Jahr um 1,3 Prozent. Falle das Wachstum dieses Jahr noch mager aus - wenngleich besser als noch im Frühjahr erwartet -, "dürfte sich der Aufholprozess in der Folge beschleunigen", erklärte das Institut. "Die deutsche Wirtschaft berappelt sich - wenn auch nur langsam." Die konjunkturelle Entwicklung werde in diesem Jahr stetig an Dynamik gewinnen, wobei sich der private Konsum zur treibenden Kraft für den Aufschwung entwickle. Im kommenden Jahr gehe es weiter bergauf. "Wir sehen eigentlich alle Signale für die Erholung der deutschen Wirtschaft auf Grün", sagte DIW-Konjunkturchefin Geraldine Dany-Knedlik bei einer Pressekonferenz.

Im März hatte das DIW für 2024 ein Wachstum von 0,0 Prozent und für 2025 von 1,2 Prozent prognostiziert. Das Institut erklärte, für einen guten wirtschaftlichen Start ins laufende Jahr sorgten nun starke Exporte und überdurchschnittliche Bauinvestitionen. Der private Konsum habe im Auftaktquartal hingegen einen Dämpfer erhalten. Steigende reale Einkommen infolge solider Tarifsteigerungen und höherer Transferzahlungen, ein robuster Arbeitsmarkt und die entschleunigte Inflation hätten zwar die Kaufkraft gestärkt - anstatt mehr auszugeben, sei aber wegen anhaltender Unsicherheit über die eigene wirtschaftliche Situation gespart und Geld eher auf die hohe Kante gelegt worden.

"Inzwischen dürften die privaten Haushalte mehr Einkommenssicherheit verspüren", so Dany-Knedlik. "Für den privaten Konsum stehen alle Zeichen auf Grün, sodass er zum wichtigsten Treiber des Wachstums werden dürfte." Nach den Einmalzahlungen in vielen Branchen würden auf Dauer Tariferhöhungen wirksam, die die Einkommenssicherheit stärkten und mehr Lust auf Konsum machten. Auch einkommensschwache Haushalte dürften höhere Einkommen zur Verfügung haben. "Alles in allem dürfte der private Konsum im Jahresdurchschnitt 2024 nach dem deutlichen Rückgang im ersten Quartal um moderate 0,5 Prozent steigen, bevor er 2025 dann mit 1,2 Prozent wieder kräftiger ausgeweitet werden wird", so das DIW.

Inflation geht zurück 

Die Inflationsrate sinke und nähere sich der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 Prozent. Das DIW erwartet für 2024 eine Inflationsrate von 2,3 Prozent und für 2025 von 2,0 Prozent. Die Zinswende der EZB könnte zudem mittelfristig der Sparneigung etwas entgegenwirken, erwartete das Institut. DIW-Präsident Marcel Fratzscher betonte aber bei der Pressekonferenz, Geldpolitik und Finanzpolitik blieben "weiterhin Bremsen für eine stärkere Erholung". Das gelte insbesondere für die Geldpolitik der EZB. "Für zumindest die nächsten zwei Jahre, das ist die Annahme hinter unserer Prognose, wird die Geldpolitik nach wie vor sehr restriktiv bleiben", sagte er. "Wir preisen drei Zinsschritte nach unten ein für dieses Jahr und ähnlich für nächstes Jahr."

Die Arbeitslosenzahl sieht das Institut in diesem Jahr bei 2,731 Millionen und im kommenden bei 2,608 Millionen und die Arbeitslosenquote 2024 bei 5,9 Prozent und 2025 bei 5,6 Prozent. Die Investitionen würden voraussichtlich zunächst keinen größeren Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten. Nach einem starken Jahresbeginn bei den Bauinvestitionen dürfte vor allem der Wohnungsbau erst einmal wieder zurückgehen. Der Wiederaufbau nach dem jüngsten Hochwasser in Süddeutschland wird sich dem DIW zufolge nicht maßgeblich in zusätzlichen Investitionen niederschlagen. Auch die Ausrüstungsinvestitionen erholten sich derzeit nur langsam. Im weiteren Prognoseverlauf hellten sich die Aussichten für die Industrie auf. Das DIW prognostiziert einen Rückgang der Ausrüstungsinvestitionen um 2,4 Prozent in diesem Jahr, dann aber ein Anziehen um 3,1 Prozent im kommenden.

Belebend auswirken dürfte sich die wachsende Auslandsnachfrage. Die Exporte dürften nach der Prognose dieses Jahr um 0,9 Prozent und nächstes um 3,3 Prozent steigen, während die Importe 2024 um 0,6 Prozent sinken, 2025 aber dann um 3,4 Prozent zulegen. Deutsche Exportunternehmen profitierten davon, dass sich die Industrieproduktion rund um den Globus erhole, begünstigt durch die Zinswenden der großen Zentralbanken. Dies dürfte auch die privaten Ausrüstungsinvestitionen beleben, wenn Unternehmen in Erwartung steigender Umsätze ihre Kapazitäten ausweiteten. Impulse dürften aber insbesondere vom Staat ausgehen: So würden im Prognosezeitraum wohl aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr vermehrt Mittel für Militärausgaben abgerufen.

Impulse von der EM 

Gerade im Dienstleistungssektor, der sich besser entwickle als die Industrie, dürfte auch die Fußball-Europameisterschaft für positive Impulse sorgen. Neben dem Gastgewerbe werden nach der Erwartung des DIW vermutlich auch Konsumgüterhersteller profitieren. "Ein konjunkturelles Sommermärchen ist allerdings nicht zu erwarten", sagte Dany-Knedlik.

Voraussetzung für die von der Bundesregierung versprochene "Wirtschaftswende" wäre in der Analyse des DIW ein finanzpolitischer Kurswechsel. "In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen, in denen die deutsche Volkswirtschaft deutlich unter ihrem Potenzial bleibt, wäre eine expansive Finanzpolitik notwendig, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu unterstützen und permanenten Schaden zu verhindern", verlangte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Dies erfordere finanzielle Entlastungen genauso wie deutlich stärkere öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Innovationen. Der Haushalt 2024 bremse jedoch die Wirtschaft.

Die massiven Einsparungen im Bundeshaushalt 2025 dürften dies noch verstärken und damit die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen. "Dies ist einmal mehr ein Beleg, dass die Schuldenbremse zu einem erheblichen wirtschaftlichen Problem für Deutschland geworden ist", sagte Fratzscher. Die Bundesregierung hätte mit dem Krieg in der Ukraine jedoch eine "mehr als legitime" Begründung für eine wirtschaftliche Notlage, die eine Ausnahme von der Schuldenbremse rechtfertigen würde.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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