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10:00 Uhr, 06.09.2024

DIW senkt Konjunkturprognosen und rechnet 2024 mit Stagnation

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat seine Konjunkturprognosen gesenkt und rechnet nun für 2024 wie zuvor auch bereits andere Institute mit einer wirtschaftlichen Stagnation. "Die Erholung der deutschen Wirtschaft verläuft weiterhin schleppend und wird durch eine stockende weltwirtschaftliche Entwicklung zusätzlich erschwert", erklärte das Institut. Erst in den beiden nächsten Jahren dürfte es merklich aufwärts gehen, wie aus der aktuellen Prognose des Instituts hervorgehe. Für 2025 werde ein Wachstum von 0,9 Prozent erwartet und für 2026 ein Plus von 1,4 Prozent.

Damit senkt das DIW seine Prognose für das Jahr 2024 im Vergleich zum Sommer um 0,3 Prozentpunkte und für das Jahr 2025 um 0,4 Prozentpunkte. Ausschlaggebend für die Herabsetzung der Prognose seien sowohl die Revision der abgerechneten Daten als auch die über den Sommer deutlich abgeschwächten Indikatoren für die Binnen- und die Weltwirtschaft. Die Zahl der Arbeitslosen steigt nach der Erwartung des DIW 2024 auf 2,776 Millionen und geht dann 2025 auf 2,737 Millionen und 2026 auf 2,548 Millionen zurück. Die Arbeitslosenquote wird 2024 mit 6,0 Prozent, 2025 mit 5,9 Prozent und 2026 mit 5,5 Prozent veranschlagt. Die Inflationsrate sieht das DIW dieses Jahr bei 2,2 Prozent und in den beiden kommenden bei 2,0 Prozent.

Mit einer Stagnation in diesem Jahr werde ein Rückfall in die Rezession zwar verhindert. Es verfliege aber auch die Hoffnung auf eine raschere Erholung, nachdem die leichte Aufwärtsdynamik vom Jahresbeginn wieder abgeebbt sei. Ab Ende dieses Jahres ständen die Zeichen dann wieder auf Wachstum. "Die Erholung ist aber nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben", sagte DIW-Konjunkturchefin Geraldine Dany-Knedlik. Der private Konsum dürfte sich im weiteren Prognosezeitraum als entscheidende Wachstumsstütze erweisen, auch wenn Zukunftssorgen angesichts leicht steigender Arbeitslosenzahlen und Verunsicherung über wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen die Kauflaune zuletzt etwas getrübt hätten.

"Auch die Fußball-Europameisterschaft konnte den privaten Verbrauch nicht anschieben", sagte Dany-Knedlik. Statt es auszugeben, legten die Menschen mehr von ihrem Einkommen auf die hohe Kante. Die Sparquote liege aktuell bei 10,8 Prozent. Positive Impulse für den Konsum gingen aber von weiter kräftig steigenden Reallöhnen aus. So ständen zum Jahresende Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und in der Metall- und Elektroindustrie an, die mit einem deutlichen Lohnplus enden dürften. Auch die kontinuierlich sinkende Inflation werde wohl dem Konsum bereits in diesem Jahr wieder Schwung verleihen.

Schere zwischen produzierendem Gewerbe und Dienstleistungen

Bremsspuren hinterlasse die sonst so exportstarke deutsche Industrie, die nun schon seit Jahren schwächele. Die Dienstleistungen präsentierten sich dagegen robuster und dürften die Konjunktur im weiteren Prognoseverlauf stützen. "Die Schere zwischen produzierendem Gewerbe und Dienstleistungen geht immer weiter auseinander", so Dany-Knedlik. "Die Nachfrage nach deutschen Industriegütern ist im In- und Ausland nach wie vor schwach, der Auftragsmangel wird zunehmend zum Problem." Es bleibe aber zu hoffen, dass eine langsam anziehende Investitionstätigkeit im Ausland auch die deutsche Industrieproduktion wieder etwas in Gang bringe. Die deutschen Exporte dürften allerdings im weiteren Verlauf eher von den Dienstleistungen etwa im IT-Bereich oder Reiseverkehr getragen werden.

Enttäuschend entwickelten sich auch die Investitionen. Insbesondere die privaten Ausrüstungsinvestitionen seien angesichts dünner Auftragsbücher der Unternehmen eingebrochen. Stützend hätten sich dagegen öffentliche Investitionen wie Militärausgaben ausgewirkt. Der Wohnungsbau sei weiter rückläufig, positive Impulse liefere lediglich der Tiefbau. Für eine Belebung sorgen könnten weitere Zinssenkungen, die auch Kredite verbilligen würden, und eine allmähliche Stabilisierung weiterer Baukosten.

"Die deutsche Wirtschaft hat ein erhebliches Aufholpotenzial", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. "Auch wenn Rückschläge nicht auszuschließen sind, bleiben wir bei unserem vorsichtigen Optimismus." Weltwirtschaftliche Risiken bestünden etwa in einer Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und damit verbundenen Handelskonflikten mit China und Europa sowie einer Eskalation der Kriege in der Ukraine oder im Nahen Osten. Auch hausgemachte Probleme könnten die Wirtschaft schwer treffen. Ein Risikofaktor sei das Erstarken der AfD. Der Rechtsruck und die Unklarheit nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen könnten die politische Paralyse verschärfen und vor allem die beiden Bundesländer empfindlich schwächen.

"In der wirtschaftlichen Entwicklung gibt es aber auch Lichtblicke", erklärte Fratzscher. Der Arbeitsmarkt erweise sich unter dem Strich als robust, auch wenn die Arbeitslosenzahlen zuletzt leicht gestiegen seien. Die Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgten für bessere Finanzierungsbedingungen und kurbelten die Investitionen der Unternehmen an. Allerdings bleibe die Geldpolitik deutlich zu restriktiv für die konjunkturelle Lage der Eurozone. "Die derzeitige Schwäche des privaten Konsums sollte ein Weckruf für die Politik sein", mahnte Fratzscher die Politik. "Vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen, die am meisten unter der hohen Inflation leiden, müssen stärker entlastet werden, damit sie dauerhaft höhere Realeinkommen haben."

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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