Kommentar
01:00 Uhr, 09.09.2008

Die „softe“ Rezession von 2009

Ich hatte das Pech, das Licht der Welt im Jahre 1958 zu erblicken. Das war nicht nur ein schlechtes Weinjahr, sondern hatte auch zur Folge, dass mein Einstieg in den Arbeitsmarkt 1981 stattfand, zu einer Zeit, da ein scheinbar endloser Strom von Baby-Boomern den Arbeitsmarkt überflutete – inmitten einer Rezession. Ich war einer von 300 Bewerbern um eine Stelle und wurde – allen Widrigkeiten zum Trotz – eingestellt.

Inwiefern ist das relevant? Die Welt scheint jetzt wieder auf eine Verbraucherrezession zuzusteuern, die erste seit Anfang der 1990er und die zweite seit Anfang der 1980er Jahre. Die Rezession von 2001/2002 zählt insofern nicht, da sie letztlich durch unternehmerische Fehlinvestitionen ausgelöst wurde und nicht durch eine eindeutige Schwächung der Verbraucherausgaben und des Immobilienmarktes.

Die gegenwärtige Rezession unterscheidet sich von früheren Verbraucherrezessionen insofern, als dass das Angebot an neuen Arbeitskräften weitaus geringer ist und die Menschen länger leben. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Arbeitslosenrate vergleichsweise niedrig bleiben wird, wie es auch in Japan während der Schwächephase in den Neunzigern der Fall war. Bei all meinen Japanbesuchen in jenen Jahren hatte ich nie das Gefühl, dass die Rezession eine besondere Belastung darstellte, denn schließlich hatte jeder Arbeit. Es war eben eine „softe“ Rezession.

Das heißt allerdings nicht, dass die aktuelle Entwicklung auch vom Durchschnittsanleger als „soft“ wahrgenommen wird. Denn schließlich ist mittlerweile klar, dass die Weltwirtschaft eine mehrjährige Wachstumsschwäche durchmachen wird. Die amerikanischen Verbraucher müssen wieder das Sparen lernen und die Banken müssen eine striktere Kreditvergabepolitik fahren. Nur so kann die enorme Schuldenlast in der angloamerikanischen Welt reduziert und die Überhitzung an zahlreichen Immobilienmärkten weltweit korrigiert werden. Allein in den USA sind die Schulden der Privathaushalte und des Finanzsektors in den letzten zehn Jahren explodiert, während die Verschuldungsquote insgesamt (unter Einbezug der Unternehmensverschuldung) von 200 auf 300 Prozent gestiegen ist, den höchsten Stand aller Zeiten.

Für Investoren bedeutet das, dass das verlangsamte Wachstum zu einem Rückgang der Unternehmenserträge, höheren Zahlungsausfällen und einer „Aushöhlung" der Bilanzen führt. So lange dieser Prozess des Schuldenabbaus allmählich und geordnet stattfindet, könnte sich die schmerzvolle Korrektur auf 2008 beschränken. 2009 könnte sich dann bereits der erste Silberstreif am Horizont der Finanzmärkte abzeichnen. Aber selbst dann ist nicht damit zu rechnen, dass die kommenden Jahre ebenso lukrativ wie die Jahre im Anschluss an die Rezession der frühen 80er und 90er Jahre ausfallen werden. Damals führten fallende Anleiherenditen – trotz rückläufiger Unternehmenserträge – zu einem kräftigen Anstieg der Aktienkurse. Diesmal haben die Renditen von Staatsanleihen in den USA und der Eurozone bei einem Niveau von 4 Prozent jedoch nur wenig Spielraum, um weiter zurückzugehen. Sollte es dennoch dazu kommen, wäre dies wahrscheinlich der Startschuss zu einer massiven Wirtschaftskrise.

Wir erwarten einen allmählichen und geordneten Schuldenabbau. Es besteht jedoch immer ein geringfügiges Risiko (das sich grob mit rund 20 Prozent quantifizieren lässt), dass dieser Prozess ins Stocken gerät und eine Abwärtsspirale ausgelöst wird. Die größte Gefahr besteht insofern in einem Anstieg der Inflationsrate, die momentan – angesichts sinkender Rohstoffpreise – allerdings zu fallen scheint. Sollten die Ölpreise indessen wieder zulegen (sei es infolge von Versorgungsengpässen oder aus anderen Gründen), könnte es zu einem stagflationären Schock kommen. Desgleichen könnten weitere Verwerfungen im Finanzsektor ebenfalls die Weltwirtschaft belasten.

Dieses Krisen-Szenario ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich. Es deutet vielmehr einiges darauf hin, dass 2009 ein gutes Jahr für die Finanzmärkte sein wird, auch wenn Investoren sich auf wiederholte Gewinnwarnungen einstellen müssen. Kurzfristig könnten diese Warnungen die Kurschancen bei Aktien aber noch etwas beeinträchtigen und im weiteren Verlauf dieses Jahres für erneute Schwäche sorgen.

Kolumne von Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management

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