Die Pandemie als Wendepunkt sozialer Ungleichheit?
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„Die Frage der sozialen Ungleichheit wird für Volkswirtschaften und Investoren immer entscheidender. Pandemien verstärken Ungleichheiten eher, so auch die aktuelle Corona-Krise. Aber die steigende soziale Ungleichheit, insbesondere die Einkommensungleichheit, ist eine wirtschaftliche Tatsache, die die dritte Globalisierungswelle bereits seit Anfang der 1980er Jahre begleitet hat. Es gibt negative Auswirkungen, etwa die Gefährdung liberaler Demokratien, jedoch weltweit keinen Konsens über den Grad der Ungleichheit, der aus sozialer und wirtschaftlicher Sicht als akzeptabel angesehen wird. Zwischen Europa und der angelsächsischen Welt zum Beispiel sind die Unterschiede bei der Bewältigung der Corona-Krise massiv. Angelsächsische Länder priorisieren Wirtschaft vor Gesundheit. Und als Folge dieser Divergenzen mangelt es Anlegern an methodologischen und technischen Instrumenten, um die soziale Dimension in ihre Investitionspolitik zu integrieren.
Es gibt eine offenkundige soziale Ungleichheit, die durch Covid-19 noch betont ist. Die am stärksten benachteiligten sozialen Gruppen und Regionen zahlen den höchsten Preis, und kurzfristig steigt die soziale Ungleichheit sogar weiter: Die Arbeitslosigkeit wächst, Armut und soziale Ausgrenzung nehmen zu. Die Einkommen eines großen Teils der Bevölkerung sinken und es könnte zu einer Preisinflation kommen. Zwar könnte sich die relative Vermögensungleichheit durch den Wertverlust des Geldvermögens verringern. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass dies jahrzehntelang aufgebauten Ungleichheiten ausgleicht, insbesondere die Konvergenz zwischen hohen Arbeitseinkommen und Kapitalakkumulation.
Wir glauben jedoch, dass die Pandemie eine grundsätzliche Wende herbeiführen könnte: weg von einer sozialen Hierarchie, die auf höherer Bildung und Arbeitsplätzen mit hohem intellektuellen Wert beruht, hin zu einer sozialen Organisation, welche diejenigen Arbeitnehmer, die während der Pandemie von zentraler Bedeutung waren, stärker wertschätzt.
Politik und Wirtschaft werden wohl handeln
Eine klare politische und wirtschaftliche Antwort auf die zunehmende Ungleichheit ist möglich über mehrere Wege, darunter etwa eine Sozialpolitik mit massiven Haushaltstransfers an die am stärksten benachteiligten Gruppen, Anreize für eine Lohnaufwertung der niedrigsten Einkommen oder eine größere Steuerprogression als bisher.
Derartige Maßnahmen dürften durch die Synchronität der Krise weltweit unterstützt werden. Das Risiko eines fiskalischen "Verlusts der Wettbewerbsfähigkeit" wäre begrenzt, da alle Länder vor der gleichen Herausforderung stehen. So sollte das Argument des Kapitalfluchtrisikos nun weniger funktionieren.
Investoren haben den S-Faktor bereits seit längerem im Blick
Investoren hatten bereits vor der Coronavirus-Krise begonnen, soziale Themen in ihre Anlageentscheidungen zu integrieren. So ergab unsere Analyse, dass die "S"-Kriterien bei der Unternehmensauswahl über einen "Best-in-Class"-ESG-Ansatz einen realen Einfluss auf die Kurse, insbesondere in Europa, haben. Ein Portfolio, das Long-Positionen in den am höchsten bewerteten Unternehmen (obere 20 %) und Short-Positionen in den am niedrigsten bewerteten Unternehmen (untere 20 %) kombiniert, hätte im Zeitraum 2018-2019 annualisierte Renditen von +2,9 % in der Eurozone und +1,6 % in Nordamerika erzielt.
Amundi hat eine Auswahlmethode entwickelt, die auf einer Bewertung der relativen Beteiligung von Unternehmen basiert, wie sie soziale Ungleichheiten in ihrem Herkunftsland verringern. Ein solches Anlageuniversum bietet zumindest eine Performance, die dem breiteren Universum - in diesem Fall dem MSCI Welt Index - entspricht. Andere von uns betrachtete Studien haben einen negativen Zusammenhang zwischen der Gehaltsspanne zwischen CEOs und Mediangehältern und der Börsenperformance nachgewiesen.
Interessanterweise hat der soziale Faktor im ESG-Ansatz seit Beginn der Coronavirus-Krise, insbesondere in den USA, mehr zur finanziellen Performance beigetragen. So hat das von uns aufgebaute Anlageuniversum, das auf dem relativen Beitrag der Unternehmen zu den sozialen Ungleichheiten basiert, seinen Index von Februar bis April 2020 um 119 Basispunkte übertroffen. Dabei gilt: Je mehr ein Land vor der Krise in Ungleichheiten verstrickt war, desto massiver kann die Reaktion ausfallen: Investoren sollten daher diesen Faktor bei der Beurteilung der relativen Wirtschaftslage verschiedener Länder berücksichtigen.
Ein Konzern, dessen Modell auf einer Niedriglohnpolitik, massiven Lohnunterschieden, dem Fehlen von Mitarbeiterbeteiligungsmodellen und der massiven Gewinnoptimierung beruht, könnte zukünftig von Gesellschaften und politischen Systemen in Frage gestellt werden. Investoren können sich durch ihr Engagement und ihre Abstimmungspolitik an einer aktiven Integration sozialer Themen beteiligen. So glauben wir, dass der S-Faktor bei Anlegern noch mehr in den Mittelpunkt rücken wird.“
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