Die Märkte warten auf ein Signal aus London
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Am heutigen Tag richten sich die Blicke der Börsianer nach London, denn dort tagt der geldpolitische Ausschuss der Bank of England (BoE) und wird über die zukünftige Zinspolitik beraten. Am Markt herrscht einvernehmlich die Meinung vor, dass die Bank Rate von 0,50 % auf 0,25 % gesenkt wird. Es wäre die erste Reduzierung nach 7 ½ Jahren und alles andere als ein solcher Beschluss wäre ein Desaster für die Finanzmärkte. Darüber hinaus sind allerdings auch weitere flankierende Maßnahmen wie Ausweitung des Funding for Lending Schemes (FLS) oder der Wertpapierankäufe vorstellbar und notwendig, um der extrem hohen Erwartungshaltung der Marktteilnehmer zu entsprechen.
Klaus Stopp: „Das Grundproblem bei solchen Entscheidungen ist allerdings, dass Notenbanken mit ihrer Geldpolitik nur agieren oder reagieren können.“
Doch das Enttäuschungspotential ist extrem hoch. Erst am 15. September würden die britischen Notenbanker wieder zusammenkommen, aber das wären weitere 6 Wochen der Spekulation und der Unsicherheit. Das Grundproblem bei solchen Entscheidungen ist allerdings, dass Notenbanken mit ihrer Geldpolitik nur agieren oder reagieren können. Manchmal ist es besser, noch abzuwarten und in anderen Situationen ist es dringend erforderlich, sofort zu reagieren. Darüber hinaus bleibt den Verantwortlichen in nicht eindeutigen Konjunkturzyklen nur, wie die amerikanische Notenbank auf die Kraft der Worte zu setzen. Und das wird auch heute nicht anders sein.
Schenkt man jüngsten britischen Konjunkturdaten Glauben, so leidet die Wirtschaft bereits jetzt massiv unter dem Brexit. Das Stimmungsbarometer des Instituts Markit ist im Juli auf 48,3 Punkte gefallen, nachdem es im Juni noch bei 52,4 Punkten und somit über der sogenannten Wachstumsschwelle von 50 Punkten gelegen hat. Hervorgerufen wird dieser sogar noch stärker als erwartete Rückgang durch die Unsicherheit bezüglich der weiteren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Großbritannien. Dies kam zum Beispiel im Teilindex für die Bestellungen überdeutlich zum Ausdruck, der so stark einbrach wie seit 1998 nicht mehr.
Vor Monaten hat man sich noch mit den USA ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert, wer zuerst die Zinsen erhöhen wird. Dass man den USA hierbei bereits im Dezember des vergangenen Jahres den Vortritt lassen musste, konnte man noch verkraften. Aber jetzt nach dem Brexit-Referendum auch noch die entgegengesetzte Richtung einschlagen zu müssen, schmerzt die Notenbanker besonders. Bei allen heute und zukünftig zu treffenden Entscheidungen gilt es, ein großes Maß an Fingerspitzengefühl zu beweisen, um nicht mit einem unbedachten Kommentar oder übertriebenem Aktionismus Panikstimmung zu erzeugen.
Klaus Stopp, Head of Market Making Bonds der Baader Bank
Das 26. Konjunkturpaket soll es richten
Bereits am vergangenen Freitag hat die japanische Notenbank (BoJ) beschlossen, die Leitzinsen nicht weiter nach unten anzupassen und zugleich angekündigt, zukünftig mehr Wertpapiere anzukaufen. Allerdings handelt es sich hierbei um börsengehandelte Fonds und nicht - wie erhofft - auch um Staatsanleihen. Mit diesen Maßnahmen legten die Notenbanker ihre Rahmenbedingungen fest, wie sie die Regierung im Kampf gegen Wirtschaftsschwäche und Deflation unterstützen wollen.
Jetzt galt es nur noch, auf die ergänzenden Erläuterungen der japanischen Regierung zu warten. Am Dienstag war es dann soweit. Das größte Konjunkturpaket seit der Finanzmarktkrise hat insgesamt ein Volumen von 28,1 Bill. Yen (ca. 248 Mrd. €), allerdings belaufen sich die eigentlichen Fiskalmaßnahmen lediglich auf 13,5 Bill. Yen. Die restlichen 14,6 Bill. Yen beruhen auf nicht direkt definierten Ausgaben und auf Maßnahmen öffentlich-privater Partnerschaften. Insgesamt hat das Maßnahmenpaket zwar die Erwartungen der Marktteilnehmer übertroffen, aber die Tatsache, dass im laufenden Haushaltsjahr lediglich 4,6 Bill. Yen veranschlagt wurden, hat zunehmend für Enttäuschung gesorgt.
Seit 1990 haben die Regierungen in Tokio 25 Konjunkturpakete ohne nachhaltigen Erfolg aufgelegt und somit sind Zweifel angebracht, ob wirklich das 26. die erhoffte Wende bringen wird. An der Börse scheint diese Hoffnung von Tag zu Tag zu schwinden. Kritisch wird inzwischen auch gesehen, dass die Bank of Japan nicht - wie von vielen Marktbeobachtern erwartet – das Anleihenkaufprogramm aufstockte. Dies ließ Spekulationen aufkommen, dass der BoJ zukünftig die finanziellen Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen werden und man dadurch gezwungen sei, die Unterstützung der heimischen Wirtschaft mehr in die Hände der japanischen Regierung zu legen.
Ob die japanische Notenbank wirklich an ihre geldpolitischen Grenzen gestoßen ist, werden die nächsten Monate zeigen. Auch wenn normalerweise die Notenbanken am längeren Hebel sitzen, so musste sogar die Schweizerische Nationalbank (SNB) im Januar 2015 am Devisenmarkt kapitulieren. Denn irgendwann ist einfach Schuss!
Entschuldung durch Schulden
Es ist schon eine verrückte Finanzwelt, die solche Auswüchse hervorbringt. In der Vergangenheit mussten Schuldner Zinsen an die Gläubiger zahlen und heute zeigen sich die Investoren finanziell erkenntlich bei den „guten“ Emittenten. In der Hoffnung ihr Geld bei Endfälligkeit zurückzuerhalten, sind viele Investoren - teilweise freiwillig, teilweise gezwungenermaßen - bereit, eine Sicherheitsprämie zu zahlen. Verantwortlich für diese Entwicklung sind neben der wirtschaftlichen Kraft Deutschlands sowie der zuverlässigen Haushaltspolitik diverse Krisen und insbesondere die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Aber nicht nur Deutschland, sondern auch die anderen Euroländer profitieren von dieser Zinspolitik. Doch einen großen Unterschied gibt es. Die anderen Staaten haben eine geringere Zinsbelastung als früher, aber nur Deutschland kehrt den Spieß um und verdient teilweise Geld mit seinen Schulden. Dies lässt andere Finanzminister neidisch nach Deutschland blicken! Doch Neid muss man sich hart erarbeiten, Mitleid hingegen wird einem geschenkt.
So haben sich die Zinsausgaben des Bundes im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 2,7 Mrd. € auf 7 Mrd. € reduziert. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass auch noch Zinsen auf Altemissionen zu zahlen sind. Aber für viele neu begebene Wertpapiere des Bundes muss nicht nur kein Zins mehr bezahlt werden, sondern die Gläubiger zahlen bereits beim Erwerb mehr als Ihnen später am Ende der Laufzeit zurückgezahlt wird. Nach Recherchen der „Bild“-Zeitung belaufen sich diese „Überzahlungen“ alleine im ersten Halbjahr 2016 auf ca. 1,5 Mrd. €.
Allerdings ist es auch in diesem Fall so, dass alles zwei Seiten hat. Den Finanzminister freut es, aber alle Privatanleger, Kapitalsammelstellen und auch die Banken stöhnen unter der Last der Negativzinsen.
Japans oberster Bankenaufseher warnt die Zentralbanken
Japan gilt als das Paradebeispiel, wie man mit einer Finanzkrise lange vor Europa und den USA sowie einer extremen Staatsverschuldung noch immer als kreditwürdig gilt. Doch das bedeutet nicht, dass Japan alles richtig gemacht hat und man den gleichen Weg beschreiten sollte.
Bereits Ende der 90er-Jahre waren die japanischen Banken infolge der hausgemachten Immobilienkrise gezwungen worden, ihre Bilanzen zu entgiften und dies hat sie in der globalen Finanzkrise vor großen Verlusten beschützt. Zumal eine Rückkehr zu alten Verhaltensmustern bei der Kreditvergabe in Japan nie wieder stattgefunden hat. Die Risikolust wurde auf ein Minimum reduziert und somit war dem Gewinnwachstum die Grundlage entzogen. Diesen Gedanken teilt auch der oberste Bankenaufseher Japans, Nobuchika Mori, und er warnt zugleich die anderen Zentralbanken davor, die gleichen Fehler zu begehen.
Denn in den Krisen wird stets darauf geachtet, wie man Banken mit immer neuen Kapitalanforderungen und anderen Einschränkungen widerstandsfähiger machen kann. Das ist in gewissen Zinsphasen auch sinnvoll, aber wenn wie jetzt die Zinsen teilweise unter null gesenkt wurden, dann schwächt man die Banken, weil sie bei der klassischen Kreditvergabe der Möglichkeit des Geldverdienens beraubt werden. War man vor Jahren in Japan noch stolz auf die sauberen Bilanzen der Banken, so werden die Banken nun gedrängt, mehr Risiken einzugehen und das wiederum schafft Angriffspunkte für neue Krisen.
Die Kunst der Bankenaufsicht liegt also weltweit nicht im Aufoktroyieren von Vorschriften, sondern im ausgewogenen Gestalten von Kapitalanforderungen und Risiken. Auswüchse der Vergangenheit gilt es zu vermeiden und gleichzeitig stehen die Bankenmodelle vor einem Gezeitenwechsel. Aber um Wirtschaftswachstum zu erreichen, ist jede Volkswirtschaft in gewissen Grenzen auf risikobereite Banken angewiesen. Wären die deutschen Banken nach dem Zweiten Weltkrieg mit den heutigen Vorschriften konfrontiert gewesen, so hätte es kein deutsches Wirtschaftswunder gegeben! Dem Wirtschaftswachstum muss wieder mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden und nicht dem risikolosen, margenarmen Geschäft, das keinem Beteiligten nutzt.
Kommt nach der Diagnose auch die Therapie?
Der Bankenstresstest, der uns vermitteln sollte, dass die Mehrzahl der europäischen Banken gut aufgestellt ist und auch einen Schock abfedern kann, wurde nach Meinung der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) diesem Anspruch gerecht. Über die Sinnhaftigkeit eines solchen Tests kann weiterhin diskutiert werden, zumal die Prüfungen auf Szenarien von vor über einem Jahr aufbauten und die aktuelle Niedrigzinsphase außer Acht gelassen wurde.
Die Verlierer dieser Simulation, und darüber sind sich die meisten Fachleute einig, sind die deutschen Banken. Unter den 10 krisenanfälligsten Banken der 51 getesteten Kreditinstitute sind die Commerzbank und die Deutsche Bank zu finden und dies stellt kein Ruhmesblatt dar. Das Abschneiden der italienischen Banken hingegen war zu erwarten und wird von allen Vertretern der deutschen Bankenbranche gerne als Negativbeispiel verwendet, um von den eigenen Problemen abzulenken.
Ob der Stresstest das Geld wert ist, was er gekostet hat, steht auf einem anderen Papier. Denn alleine schon die Tatsache, dass die Förderbank Nordrhein-Westfalen ohne Risiko- und Kundengeschäft auf Platz 1 gelandet ist, lässt tief blicken. Grundsätzlich krankt die europäische und insbesondere die deutsche Bankenbranche an der fehlenden Profitabilität. Wo keine Gewinne erzielt werden, kann auch kein Eigenkapital aufgebaut werden. Viel wichtiger als die bekanntgegebenen Ergebnisse ist, dass auf die Diagnose auch eine Therapie folgen muss. Doch davon ist noch nichts zu spüren.
Nur noch vereinzelte Emissionsaktivitäten am Primärmarkt
Warum sollte es in diesem Jahr anders sein als in den Jahren zuvor? Trotz des für Unternehmen lukrativen Marktumfeldes halten sich die Finanzchefs in den Sommermonaten merklich zurück bei der Begebung neuer Anleihen. Insbesondere die namhaften Gesellschaften haben entweder keinen Bedarf an neuen Mitteln oder sie bedienen sich wie die Autovermittlung Sixt bzw. die Norma Group, einem führenden Anbieter von Verbindungstechnik, des wesentlich flexibleren Schuldschein-Marktes. So refinanzierte Sixt 375 Mio. € und Norma umgerechnet ca. 150 Mio. € bei institutionellen Anlegern.
Doch manche Unternehmen setzen weiterhin auf die klassische Refinanzierungsform der Anleihe und so legte das spanische Telekomunikations-Unternehmen Cellnex in dieser Woche einen am 16.01.2024 endfälligen Bond (A184QY) mit einem jährlichen Kupon von 2,375 % auf. Hierbei wurde der „Anlage-Notstand“ vieler Investoren deutlich, denn für ein Volumen von 750 Mio. € wurden Zeichnungsaufträge von ca. 4 Mrd. € aufgegeben. Gepreist wurde die Emission bei +245 bps über Mid Swap, was einem Kurs von 99,175 % entsprach.
Als Mindeststückelung wurde hierbei nominal 100.000 € gewählt und der Emittent ließ zum 16.10.2023 die bei vielen Neuemissionen zur Anwendung kommende Make-Whole-Option festschreiben. Somit richtet sich auch dieser Bond in erster Line an institutionelle Investoren und vermögende Privatkunden.
MARKTDATEN AKTUELL
Seitwärts im Niemandsland
Nachdem das Rentenbarometer in den beiden ersten Handelstagen der neuen Woche einen leichten „Schwächeanfall“ erlitten hat, wurde dieser Trend am gestrigen Mittwoch zumindest vorübergehend gestoppt. Die kleine Gegenreaktion endete allerdings bei 166,92 %, knapp oberhalb der Begrenzungslinie des kurzfristigen Abwärtstrends. In Erwartung der heutigen Zinsentscheidung aus London und der morgigen US-Arbeitsmarktdaten ist von einer Seitwärtsbewegung im Niemandsland auszugehen.
Das bedeutet unter charttechnischen Gesichtspunkten eine Tradingrange zwischen 166,38 % (Tief vom 2.8.) und 167,37 % (Hoch vom 2.8.). Erst beim Verlassen dieses Korridors kommen die Widerstandslinie bei 168 % (mehrere Hochs im Juli) und die Unterstützung bei ca. 166,00 % zum Tragen. Es ist zu befürchten, dass also auch der Euro-Bund-Future, der aktuell bei 166,75 % notiert, eine kleine Sommerpause einlegt.
Türkische Bonds im Fokus
In dieser Handelswoche waren aufgrund der jüngsten Ereignisse rund um das Thema Türkei insbesondere Handelsaktivitäten bei Anleihen auf Türkische Lira zu beobachten. Zu stark sind die Auswirkungen der „Entdemokratisierung“ auf die Wirtschaftsleistung des Landes, um diesen Faktor außer Acht zu lassen. Bereits durch den gescheiterten Putschversuches soll der Türkei ein Schaden von umgerechnet 90 Mrd. € entstanden sein. Unter diesen Voraussetzungen ist es sogar beachtlich, dass die türkische Landeswährung gegenüber dem Euro recht stabil bei ca. 3,3670 TRY gehandelt wird. Die infolge des Putschversuchs erreichten 3,4074 TRY wurden bisher nicht mehr überboten und das vorherige Niveau bei ca. 3,21 TRY gilt als realitätsfremd. Doch das kann sich in den nächsten Wochen noch ändern.
Trotz aller Sonderfaktoren ist allerdings das Währungspaar USD/EUR weiterhin das aus europäischer Sicht am meisten beobachtete und gehandelte. Nach dem jüngsten Zinsentscheid der amerikanischen Notenbank Fed und infolge diverser US-Konjunkturdaten konnte die europäische Gemeinschaftswährung von dem Tiefpunkt bei 1,0959 USD in der Spitze auf 1,1233 USD klettern. Zu groß ist die Unsicherheit, ob und wann der US-Leitzins angehoben wird, aber auch die nicht zu starke negative Auswirkung des Brexit ließen den Euro auf ein 6-Wochen-Hoch klettern. Am Tag vor den US-Arbeitsmarktdaten notiert die Währung der Euroländer aktuell bei 1,1140 USD.
Privatanleger setzen weiterhin verstärkt auf Fremdwährungsanleihen, um einerseits dem Niedrigzinsumfeld im Euroland zu entgehen und andererseits die damit verbundenen Devisenkursveränderungen bewusst in Kauf zu nehmen. Im Fokus standen insbesondere Anleihen auf Türkische Lira, US-Dollar, Brasilianische Real und Australische Dollar.
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