Kommentar
18:56 Uhr, 08.08.2023

Die Macht der Ratingagenturen

Erwähnte Instrumente

Der Aufschrei war groß, als die Ratingagentur Fitch in der vergangenen Woche das Länderrating der USA gesenkt hat. Auch die Börse reagierte wenig erfreut auf diese Maßnahme. Aufgrund der medialen Präsenz des Downgrades gerieten die Ratingagenturen vermehrt in den Fokus. Doch was sind Ratingagenturen eigentlich? Was machen sie? Und welche Auswirkungen haben ihre Einstufungen?

Was ist eine Ratingagentur?

Eine Ratingagentur ist ein Unternehmen, das gewerbemäßig die Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen, Finanzinstrumenten und Forderungen einschätzt.

Ratingagenturen mit dem größten Einfluss – die großen Drei

Es gibt eine Vielzahl an Ratingagenturen verschiedener Größe. Die drei größten und einflussreichsten sind S&P Global Ratings, Moody’s und eben Fitch Ratings. Die drei bilden ein echtes Oligopol und haben zusammen einen Marktanteil von etwa 95 %.

S&P Global Ratings

S&P Global Ratings ist ein Geschäftsbereich der S&P Global Inc., einem Finanzdienstleistungskonzern, der neben der Erstellung von Kreditratings auch Dienstleistungen in den Bereichen Marktdatenbereitstellung und Preisinformationsdienste anbietet. Weiterhin ist S&P Global verantwortlich für die Erstellung zahlreicher amerikanischer Aktienindizes.

Im kürzlich abgelaufenen 2. Quartal 2023 erwirtschaftete der Bereich Ratings einen Umsatz von 851 Millionen USD (+7 % Wachstum im Vergleich zum Vorjahresquartal). Mit einem Anteil von 27,4 % des Umsatzes von S&P Global ist es der zweitgrößte Bereich des Konzerns.

Sie ist die größte der drei Ratingagenturen und damit Marktführer in diesem Bereich.

Moody’s

In der Moody’s Corporation sind zwei Unternehmen verankert: Moody’s Analytics (MA) und Moody’s Investors Services (MIS). Mit MIS bietet man Risikomanagement-Software und entsprechende Dienstleistungen an. Bei MA ist das Geschäft mit den Kreditratings untergebracht. Dabei tragen beide Geschäftsbereiche gleichermaßen zum Konzernumsatz bei. Für das 2. Quartal 2023 steht bei MA ein Umsatz von 747 Millionen USD. Dies bedeutet ein Umsatzwachstum von +10,7 % im Vergleich zum Vorjahresquartal.

Nach den ersten Versuchen der Erstellung von Ratings von US-Eisenbahngesellschaften Mitte der 1800er Jahre, war es John Moody, der erstmals einen systematischen Ansatz zu Grunde legte. Die ersten systematischen Ratings erfolgte um 1908 ebenfalls für Eisenbahngesellschaften. Seit 1918 vergibt Moody’s Ratings für Staatsanleihen.

John Moody, Gründer von Moody’s.

Fitch Ratings

Fitch Group ist ein Anbieter von Datenresearch, Datenanalyse und eben Kreditratings. Im Gegensatz zu den beiden anderen Unternehmen ist Fitch nicht börsennotiert und veröffentlich daher auch keine Zahlen zur Geschäftsentwicklung.

Was macht eine Ratingagentur?

Ablauf eines Ratingprozesses

Im Verlauf eines Ratingprozesses wird die Bonität eines Schuldners eingeschätzt und als Ergebnis eine Bonitätsstufe vergeben. Der Prozess ist vergleichbar mit der Bonitätsprüfung einer Bank bei der Kreditvergabe an einen privaten Haushalt.

Die Prüfung erfolgt dabei anhand von öffentlichen und nicht-öffentlich verfügbaren Informationen, wie beispielsweise der Kosten- und Ertragsstruktur, der Planung und Angaben zu den größten Kunden, Lieferanten und anderen Geschäftspartnern.

Da es sich bei den Ratingagenturen um private Unternehmen handelt, bedarf es einen Auftraggeber, der eine Beurteilung anstößt. Dies können Unternehmen selbst sein, die ihre eigene Bonität oder die eines ihrer Finanzprodukte eingeschätzt haben wollen. Es können aber auch z.B. interessierte Investoren sein, die eine unabhängige Einschätzungen wünschen. Um sicherzustellen, dass stets die aktuellste Bonitätseinschätzung gegeben ist, erfolgt in regelmäßigen Abständen, generell mindestens einmal jährlich, ein Rating-Update.

Ratingscore

Das Ergebnis eines solchen Ratingprozess ist eine Bonitätseinschätzung in Form eines Ratingscores. Bei einer Ersteinschätzung wird diese im Übrigen als erstes dem Auftraggeber vorgelegt. Dieser kann dann auch der Veröffentlichung des Ratings widersprechen. Bei den folgenden Updates einer öffentlich zugänglichen Bonitätseinschätzung erfolgt keine Rücksprache mit dem Auftraggeber.

Jede Ratingagentur hat eigene Ratingprozesse und unterscheidet bei diesen nochmals je nach Art des Schuldners und Produkts. Die einzelnen Verfahren, die verwendeten Informationen, deren Gewichtung und die Berechnung der Ratings werden nicht veröffentlicht. Die Ratingagenturen können hier also aufgrund von unterschiedlichen Verfahren auch zu unterschiedlichen Ergebnissen zu ein und demselben Schuldner kommen. Das Länderrating der USA ist hier ein gutes Beispiel: Während Fitch das Rating nun auf AA+ abänderte, vergibt S&P dieses Rating bereits seit 12 Jahren, während Moody’s noch bei einem AAA verbleibt.

Die Ratingscores von S&P, Moody’s und Fitch im Überblick. Mit den Zusätzen +/- bzw. 1/2/3 können feinere Unterscheidungen getroffen werden bevor der Wechsel einer Ratingkategorie erfolgt

Verwendung und Auswirkungen von Ratings

Ratings haben Einfluss auf Investitionsentscheidungen

Da ein gutes Rating eine gewisse Sicherheit hinsichtlich der Ausfallwahrscheinlichkeit z.B. des Emittenten einer Anleihe suggeriert, machen sich insbesondere institutionelle Investoren diese Einschätzung gerne zunutze. Speziell solche Investoren, die Geld ihrer Kunden anlegen (wie Banken oder Versicherungen) haben in ihren Anlagekriterien in der Regel ein Mindestmaß an Bonität für Investitionen hinterlegt. Oft ist z.B. ein Investmentgrade-Rating eine zwingende Voraussetzung. Zum Teil gibt es seitens der Regulierung Vorgaben, dass vor einem Investment eine angemessene Kreditwürdigkeitsprüfung durchgeführt werden muss. Da es mit den Ratings der großen Agenturen etablierte und angesehene Einschätzungen gibt und teils die eigenen Kapazitäten hinsichtlich einer selbstständigen Kreditwürdigkeitsprüfung fehlen, greifen viele auf die bestehenden Ratings zurück. Und für die Nutzungsrechte zahlen sie viel Geld.

Ratings haben Einfluss auf Finanzierungskosten

Auch auf Seite der Emittenten einer Anleihe haben Ratings einen gravierenden Einfluss. So wird bei der Konditionsfindung der allgemeine Marktzins (z.B. ESTR) um etwaige Risikoaufschläge, mit denen ein Investor für die Übernahme zusätzlicher Risiken kompensiert wird, angepasst. Ein solches Risiko ist z.B. das des Kreditausfalls, sprich die Gefahr, dass der Emittent die vertraglich fixierten Leistungen, d.h. Kuponzahlungen und Rückzahlung bei Fälligkeit, nicht leisten kann. Auch hier werden die Ratings der etablierten Ratingagenturen herangezogen. Je schlechter das Rating, desto größer der Risikoaufschlag und damit der zu zahlende Kupon. Für den Emittent steigen somit die Kosten zur Aufnahme von Liquidität.

Im Zusammenhang mit einem steigenden Zahlungsausfallrisiko meldete sich nach der Abstufung der USA auch Jamie Dimon, CEO von JPMorgan, zu Wort:

Fitch-Downgrade spielt keine große Rolle. US-Anleihen sind sicher.

Jamie Dimon, CEO JPMorgan

Was soll er auch anderes sagen? Seine Bank wird in der Bilanz große Positionen von US-Staatsanleihen halten.

In die gleiche Kerbe schlägt Warren Buffet. Mit seiner Investmentholding Berkshire Hathaway hat er grade erst um die 20 Milliarden USD in kurzlaufende US-Staatsanleihen investiert. Zum Thema Sicherheit von Anleihen sagte er:

Es gibt einige Dinge, über die sich Leute keine Sorgen machen sollten. Dies ist eines davon.

Warren Buffet

Kritikpunkte an Ratingagenturen

Fehlende Transparenz und Interessenskonflikte

Die Vorgehensweise zur Herleitung eines Ratings ist nicht öffentlich zugänglich. Es gibt lediglich ein paar kompakte verbale Erläuterungen. Daher wird auch nicht ersichtlich, welche Faktoren den größten Einfluss auf die Entscheidung hatten. Ebenso nicht offengelegt wird, welche Informationen verwendet werden. Insbesondere der Einfluss der vom Schuldner bereitgestellten, aber nicht öffentlichen Informationen ist dabei schwer abzuschätzen. Alles in allem ist die Entscheidungsfindung eine große Blackbox. Und jede Ratingagentur verwendet ihre eigene.

Hinzu kommt, dass es sich immer noch um private Unternehmen handelt, welche von einem Auftraggeber bezahlt werden. Zwar bedarf es etwa in Europa einer Zertifizierung, bevor eine Ratingagentur als solche tätig werden kann, aber diese regelt nicht die Geschäftsbeziehungen. So hat das Recht des Auftraggebers einer Veröffentlichung zu widersprechen einen mehr als faden Beigeschmack. Durch die Unterschlagung von Ratings, die dem Auftraggeber nicht gefallen, wird das Bild möglicherweise stark verzerrt. Wie oft dies in der Praxis tatsächlich vorkommt, ist nur schwer abzuschätzen.

Im Gegensatz dazu könnte die Ratingagentur ein Interesse daran haben, den Auftraggeber als Kunden nicht zu verlieren und könnte dies bewusst oder unbewusst in ihre Einschätzung mit einfließen lassen.

Teufelskreis

Ratings spielen auch eine Rolle in einem gefährlichen Teufelskreis. Eine Verschlechterung der finanziellen Situation eines Unternehmens oder eines Staates führt zu einer schlechteren Kreditwürdigkeit. Dies resultiert in einem schlechteren Rating und steigenden Finanzierungskosten. Das belastet wiederum die finanzielle Situation und so weiter und so fort.

Die oben beschrieben Anlagebedingungen mancher Investoren im Falle einer Abstufung können dazu führen, dass Investments abgestoßen werden müssen. Teilweise sind Abstufung sogar Teil der Kreditverträge oder Anleihebedingungen, die mit Sonderkündigungsrechten verknüpft sind. Auch dies hätte zur Folge, dass sich eine mögliche Schieflage weiter verstärkt.

Ein Unternehmen in Schieflage: Absturz der Social Chain AG – eine Chronologie des Scheiterns

Weltkarte mit Länderratings von S&P Ratings
Quelle: https://disclosure.spglobal.com

Regulierung der Verwendung von Ratings

Es gibt seit einigen Jahren den Versuch unterschiedlicher Behörden, den Einfluss von Ratingagenturen einzudämmen.

Im Jahr 2013 wurde von der EU eine Verordnung über Ratingagenturen veröffentlicht. In dieser wird der Umgang und die Verwendung von Ratings für bestimmte Unternehmensgruppen geregelt. Angesprochen sind hier mit Kreditinstituten, Wertpapierfirmen, (Rück-)Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften und noch ein paar ähnlichen Einrichtungen – eben die Unternehmen, die im Wesentlichen Kundengelder investieren. Solche Unternehmen dürfen zu Zwecken, welche aus regulatorischen Anforderungen resultieren, nur Ratings von Ratingagenturen verwenden, die ihren Sitz in der Union haben und entsprechend zertifiziert sind.

Die Verordnung geht aber noch einen Schritt weiter: Sie schränkt die Nutzung von Ratings derart ein, dass die genannten Einrichtungen eigene Kreditrisikobewertungen vornehmen müssen und sich bei der Bewertung der Bonität eines Unternehmens oder eines Finanzinstruments nicht mehr ausschließlich oder automatisch nur auf Ratings von Ratingagenturen stützen dürfen.

Ratingagenturen auch etwas für das eigene Depot?

Lässt man die Ratings mal Ratings sein und betrachtet S&P und Moody’s aus Investorensicht, sieht man zwei spannende Unternehmen. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten und steigenden Finanzierungskosten wird eine ausgiebige Bonitätsprüfung von Schuldnern noch wichtiger. Hiervon könnten die Branche der Ratingagenturen mit ihrem Know-how und Strukturen profitieren und mit ihr entsprechend auch die Platzhirsche.

Bei einem Blick auf die aktuellen Zahlen schneidet Moody’s etwas besser ab. Zwar hat S&P aktuell beim Umsatz die Nase noch vorne, aber Moody’s wächst schneller (+11 % vs. +4 %). Auch bei der operativen Marge liegt Moody’s vorne (36,8 % vs. 29,4 %). Das spiegelt sich auch im Ergebnis pro Aktie wider (2,05 USD vs. 1,60 USD). Mit einem für 2023 erwarteten KGV von 30,6 ist S&P, zumindest auf dem Papier, etwas attraktiver bepreist (Moody’s: 33,6).

Da das Chartbild der beiden Aktien sehr ähnlich ist, betrachten wir beispielhaft einmal den Chart von Moody‘s. Bei einem Blick auf den langfristigen Chart sieht man bei beiden Unternehmen einen Aufwärtstrend.

Die Aktie von Moody’s im Monatschart: der Chart läuft von links unten nach rechts oben.

Geht man in die kleineren Zeiteinheiten, könnte sich nun eine spannende Einstiegsmöglichkeit bieten. Anfang Juni schaffte die Aktie den Sprung über die alten Verlaufshochs und den Widerstandszone im Bereich 326 USD. Gleichzeitig bildete der Chart damit eine inverse Schulter-Kopf-Schulter Formation. Diese gilt in der Charttechnik als Umkehrformation und könnte die untergeordnete Korrektur des langfristigen Aufwärtstrends beenden. Aktuell erfolgt ein Rücksetzer, der als Re-Test des Ausbruchsniveaus gewertet werden könnte. Sollte sich der Kurs im Bereich der alten Widerstandszone stabilisieren und drehen könnte sich eine Einstiegsmöglichkeit ergeben. Nächstes Ziel wäre dann ein neues Allzeithoch.

Die Aktie von Moody’s im Tageschart: Dreht der Kurs nach dem Re-Test des Ausbruchsniveau?

Gute Aussichten auch im Bereich der Big-Techs: Apple und Amazon: Zukunftsaussichten und Analystenschätzungen

Offenlegung wegen möglicher Interessenkonflikte

Der Autor ist in den besprochenen Wertpapieren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.

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Über den Experten

Michael Flender
Michael Flender

Michael Flender ist seit dem Jahr 2007 hauptberuflich als Trader an der Börse tätig. Seine Schwerpunkte liegen auf dem Handel von Aktien mit einem meist mittelfristigen Zeithorizont. Hierbei berücksichtigt er sowohl den Nachrichtenfluss und die operative Entwicklung als auch die charttechnischen Trends. Gelegentlich führt er auch Short-Positionen oder kurzfristige Trades vor oder nach den regulären Handelszeiten durch. Seit 2020 ist er zudem vermehrt in den sozialen Medien aktiv und teilt täglich aufregende Neuigkeiten und Entwicklungen im Bereich Börse. Zusätzlich dazu verwaltet er auf der Plattform Goldesel.de mehrere Echtgelddepots und vermittelt dort auch die Prinzipien eines nachhaltigen Aktienhandels.

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