Die kanadische Ölsandindustrie kämpft weiterhin mit ungelösten ESG-Problemen
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Die anlässlich der jährlichen Konferenz der UN PRI-Unterzeichnerstaaten erfolgte Besichtigung der Ölsandanlagen in der Provinz Alberta, machte mir klar, dass die kanadische Ölsandindustrie einer durchgreifenderen Regulierung bedarf, um die ungelösten umweltpolitischen, sozialen und ethischen „ESG“- Probleme wirksam anzugehen.
Der Economist bezeichnete den Tagebau von Ölsand in den Wäldern der kanadischen Provinz Alberta als „One big scar on the landscape“ sowie „one of the bleakest scenes of man-made destruction“. Laut Global Forest Watch Canada (GFWC) hat Kanada mittlerweile den zweifelhaften Ruhm, Brasilien als die weltweite Nr. 1 der Waldflächenrodung, abgelöst zu haben.
Nach Venezuela und Saudi-Arabien verfügt Kanada über die drittgrößten Erdölreserven der Welt, wobei 97 Prozent der Vorkommen aus Ölsand bestehen. Ölsand ist ein natürliches Gemenge aus Sand, Wasser, Lehm und Bitumen. Die Ölsandindustrie ist im Hinblick auf Arbeitsplätze und zunehmender Wirtschaftsleistung ein bedeutender Wirtschaftsfaktor der kanadischen Wirtschaft. Doch dieses Wachstum bezahlt die Gesellschaft mit einem hohen Preis.
Ölsand weist eine bedeutend höhere Kohlenstoffintensität auf als herkömmliches Erdöl. Dementsprechend entfallen bereits 8,7 Prozent der Treibhausgasemissionen Kanadas auf diesen Industriezweig, Tendenz steigend. Doch damit nicht genug. Der Sektor ist auch mit anderen ESG-Problemen konfrontiert, wie beispielsweise Landschaftszerstörung, Umweltschäden, hoher Wasserverbrauch und negative Auswirkungen auf die Bevölkerung vor Ort.
Dabei konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Folgen des Abbaus für die Umwelt sowie für die Gesundheit der Bevölkerung sehr viel gravierender sind als zunächst angenommen. Bisher wurde nur ein Bruchteil der geschädigten Natur wiederaufbereitet. Es kann Jahrzehnte dauern, bis die genutzten Flächen wieder in ihren natürlichen Zustand versetzt sind. So dauert es beispielsweise rund 80 Jahre, bis ein Nadelbaum zur Reife gelangt. Zudem besteht ein erheblicher Teil des zerstörten Gebiets aus Mooren. Es ist praktisch unmöglich, diese komplexen Ökosysteme wiederherzustellen.
Hinzukommen die Gesundheitsrisiken für die (indigenen) lokalen Gemeinschaften. Die Bewohner vor Ort sind überzeugt, dass die Luft- und Wasserverschmutzung infolge der Ölsandgewinnung ihre Nahrungskette beeinträchtigt und die Behörden nicht genug tun, um sich mit nachweislichen Gesundheitsschäden ernsthaft auseinanderzusetzen.
Die Lage im ESG-Segment bessert sich nur langsam, da die Anreize für Unternehmen, hier mehr Engagement zu zeigen, nicht ausreichen. Zugegebenermaßen haben einige Ölsandproduzenten bereits Schritte unternommen, um ihre ESG-Glaubwürdigkeit zu verbessern. So wurden die Treibhausgasemissionen auf „Pro-Barrel“-Basis zwischen 1990 und 2012 um 28 Prozent reduziert. Das verbrauchte Wasser wird jetzt zu 80 bis 95 Prozent recycelt. Doch es gibt noch sehr viel mehr zu tun, um die negativen Folgen für Umwelt und Gesundheit wirksam anzugehen. Das gilt umso mehr, als dieser Sektor rapide wächst. Der Canadian Association of Petroleum Producers (CAPP) zufolge soll sich die Produktionsleistung der kanadischen Ölsandindustrie bis 2020 verdoppeln.
Positiv ist indes zu vermerken, dass Kanadas Oil Sands Innovation Alliance (COSIA) sich dafür einsetzt, die Entwicklung in die richtigen Bahnen zu lenken. In der Tat hat COSIA bereits Maßnahmen zur technologischen Verbesserung und zum Wissensaustausch in der Industrie angestoßen. Wir begrüßen diese Schritte natürlich, sind aber auch der Meinung, dass weitere Investitionen bei Energieeffizienz und erneuerbaren Energien zu tätigen sind. Hier stehen auch Regierung und Aufsichtsbehörden in der Verantwortung: Sie müssen dafür sorgen, dass durchsetzbare Regelungen bestehen. Aber auch wir als Investoren spielen eine wichtige Rolle: ING IM wird den Dialog mit Unternehmen in der Ölsandindustrie fortsetzen, um so auf eine Verbesserung der ESG-Faktoren hinzuwirken.
Autorin: Nina Hodzic, Senior ESG-Expertin bei ING Investment Management
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