Kommentar
11:18 Uhr, 11.11.2022

Warum höhere Zinsen langsam wirken

Geldpolitik benötigt immer Zeit, um zu wirken. Derzeit kommt ein Faktor hinzu, der in der Geschichte einmalig ist und die Wirkung der Geldpolitik verzögert.

Es braucht Zeit, bis sich höhere Zinsen auf Wachstum und Beschäftigung auswirken. Werden die Zinsen heute erhöht, sollten sie in 12 bis 18 Monaten einen Effekt haben. Das war das Zeitfenster, welches früher einmal galt. Seitdem die Notenbank ankündigt, was sie vorhat, hat sich das Zeitfenster verkürzt. Früher war der Finanzmarkt auf den eigentlichen Zinsentscheid angewiesen, um zu verstehen, wohin der Leitzins tendiert. Heute kündigt die Notenbank mit viel Vorlauf an, was geschehen wird. Der Markt reagiert darauf sofort und wartet nicht erst, bis der Zins tatsächlich angehoben wurde. Die Wirkung höherer Zinsen sollte also schneller sichtbar sein. Das ist er nicht, denn etwas, das es früher nicht gab, macht der Notenbank einen Strich durch die Rechnung. Der Faktor ist auf die Pandemieprogramme der Regierung zurückzuführen. Durch höheres Arbeitslosengeld und Direktzahlungen kam es zu einem Sparüberhang. Zeitweise lag das Ersparte knapp 2,5 Billionen Dollar über dem, was unter normalen Umständen zu erwarten war...

Der Überhang wird nur langsam abgebaut. Im zweiten Quartal hatten US-Haushalte noch immer 1,7 Billionen mehr Erspartes (Grafik 2). Aufgrund der sehr niedrigen Sparquote lässt erahnen, dass der Betrag inzwischen nur noch bei 1,3 oder 1,4 Billionen liegt. Das ist aber immer noch viel Geld.

Möglich machte dies der Staat. Ausgabenkürzungen und Einkommensverlust glichen sich ungefähr aus. Alles, was der Staat ausgab, konnte mehr oder weniger direkt gespart werden (Grafik 2). Vor allem ohne die Direktzahlungen an Haushalte wäre die Wirtschaft heute in einer anderen Situation.

Dank der hohen Transfers konnten Schulden zurückgezahlt werden und weniger neue Schulden mussten aufgenommen werden. Das führte dazu, dass die Zinslast stark zurückging. Noch immer, trotz gestiegener Zinsen und höherer Einkommen, ist die Zinslast heute tiefer als vor Pandemiebeginn (Grafik 3). Zinsen wirken auf die Ausgaben der Haushalte weniger.


Im Normalfall hätten höhere Zinsen längst das Einkommen reduziert und die Nachfrage gedämpft. Das ist aufgrund des Sparüberhangs nicht der Fall. So können Haushalte weiterhin konsumieren. Der Realkonsum liegt immer noch leicht über dem Trend (Grafik 4).

Zinsen benötigen immer Zeit, um auf die Nachfrage zu wirken. Dieses Mal ist die Verzögerung besonders groß, da Haushalte weniger Schulden und viel Erspartes haben. Für die Notenbank ist es unter diesen Umständen schwierig abzuleiten, ob oder wie viel die Zinsen bereits gewirkt haben.

Derzeit hat man den Eindruck, dass sie kaum wirken. Fallen die Sonderfaktoren (Sparüberhang, geringere Zinszahlungen) erst weg, könnte der Effekt plötzlich viel größer sein als bisher angenommen. Aus augenscheinlich zu wenig geldpolitischer Straffung kann über Nacht plötzlich zu viel werden.

Clemens Schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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