Kommentar
11:55 Uhr, 23.02.2012

Die Griechenumschuldung und das Gefangenendilemma

In wenigen Tagen wird die griechische Regierung ihren Anleihegläubigern ein Umtauschangebot vorlegen. Sie sollen auf 53,5% ihrer Forderungen komplett verzichten, der Rest wird in Anleihen getauscht. 15% EFSF-Anleihen, 31,5% griechische Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit. Weiter ins Detail zu gehen würde nur Bauchschmerzen verursachen. Die Frage, die man sich als Beobachter eigentlich stellen sollte lautet: Warum bitteschön sollte jemand einem solchen Deal zustimmen?

Die Problematik erinnert zumindest in Teilen an das berühmte Gefangenendilemma aus der Spieltheorie. Hier eine Variante davon: Zwei Gefangene, die sich nicht absprechen können, werden vor die Wahl gestellt, ein (unterstellt gemeinsam begangenes) Verbrechen entweder zuzugeben oder zu leugnen. Beide wissen: Wenn einer gesteht und der andere leugnet, dann bekommt der eine 10 Jahre Gefängnis und der andere wird freigesprochen. Wenn beide gestehen, müssen beide je drei Jahre sitzen. Wenn beide leugnen, müssen auch beide sitzen – aber je 5 Jahre.

Sie können sich schon per Definition nicht absprechen, und selbst wenn, könnten sie sich nicht vertrauen. Welches Verhalten ist rational? Kurz zusammengefasst: Unabhängig davon, was der andere aussagt, macht es Sinn zu leugnen. Das ergibt sich aus den Prämissen und den Strafen für das jeweilige Verhalten. Aus Sicht von Gefangenem B: Wenn A gesteht, kommt B frei, wenn er leugnet. Wenn A leugnet, kriegt B Höchststrafe, wenn er gesteht.

Dies führt am Ende dazu, dass beide leugnen werden und je 5 Jahre ins Gefängnis kommen. Hätten Sie sich verlässlich absprechen können, wären beide mit jeweils 3 Jahren davongekommen.

Verlassen wir das Gefängnis und gehen nach Griechenland. Welchen Anreiz gibt es, das Umtauschangebot anzunehmen? Dazu muss man wissen, dass die Griechen damit drohen, CAC (Collective Action Clauses) nachträglich in ihre Anleihebedingungen einzubauen. Das könnte passieren, wenn nicht mind. 90% freiwillig zustimmen (eine andere Grenze ist denkbar). Die CAC können nach den mir vorliegenden Informationen dann greifen, wenn mind. 50% dem freiwilligen Tausch zustimmen, denn damit überträgt man der griechischen Regierung sozusagen ein Stimmrecht für den CAC-Fall (somit erspart sich der Staat die Gläubigerversammlung. Details reiche ich Ihnen nach, sobald das offizielle Angebot vorliegt). Werden die CAC angewandt, so werden die oben genannten Forderungsverzichte für alle Gläubiger bindend.

Somit stellt sich, zumindest aus Privatanlegersicht, auf jeden Fall die Frage: Warum sollte ich mich kooperativ verhalten? Aus spieltheoretischer Sicht wird folgender Fehler begangen: Der Fall der Kooperation muss belohnt werden, was hier aber nicht der Fall ist. Es kann aufgrund der Bankenbeteiligung als gegeben angesehen werden, dass die 50% Quote auf jeden Fall erreicht werden. Es wird also zur Umschuldung kommen und nicht zur Staatspleite, jedenfalls jetzt noch nicht. Damit hat aber keiner der übrigen Gläubiger einen Anreiz, das Angebot anzunehmen. Wenn er es nicht annimmt, hat er theoretisch die Chance, 100% zu bekommen (nämlich dann, wenn über 90% freiwillig zustimmen). Auch wenn die CAC greifen, ist er aber als einer der Ablehner nicht schlechter gestellt, als wenn er das freiwillige Angebot annimmt. Damit ist es aus Sicht der kleineren Anleger, die nicht wie die Banken unter politischem Druck stehen, irrational, dem Tauschangebot zuzustimmen.

Wie hätte man vorgehen müssen? Ein Anreiz für den freiwilligen Tausch wäre sehr hilfreich gewesen. Da Griechenland seine Gläubiger im Rahmen der Anwendung der CAC nicht unterschiedlich behandeln darf (obwohl das im Fall der EZB offensichtlich geschehen ist), hätte dieser wahrscheinlich von extern kommen müssen, also z.B. von der Eurogruppe. Ein kleiner Bonus für alle freiwilligen Umtauscher, auf Kosten der Verweigerer, hätte womöglich schon Wunder gewirkt.

Vielleicht sollten die involvierten Politiker einfach mal ein paar Tage ins Gefängnis gehen, um darüber nachzudenken.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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