Kommentar
16:49 Uhr, 09.05.2014

Die EZB wird zur Fed 2.0

Erwähnte Instrumente

  • DAX
    ISIN: DE0008469008Kopiert
    Kursstand: 9.574,62 Punkte (XETRA) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • EUR/USD
    ISIN: EU0009652759Kopiert
    Kursstand: 1,3763 $ (FOREX) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Die Konjunkturstimmung in Euroland erholt sich weiter. Die EU-Kommission prognostiziert der Eurozone ein Wachstum von 1,2 in diesem Jahr und 1,7 Prozent 2015. Neben der Prognose für Deutschland (1,8 und zwei Prozent) stimmt insbesondere die für Spanien (1,1 Prozent und 2,1 Prozent) zuversichtlich. Dagegen sinkt Frankreich 2015 mit 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum unter den Euro-Durchschnitt.

Auch das ifo Institut ermittelt eine optimistische Wirtschaftsstimmung in Euroland. Setzt man die Geschäftslage euroländischer Unternehmen zu den Geschäftserwartungen in Beziehung, bewegt sich die Wirtschaft der Eurozone im II. Quartal 2014 in eine Boom-Phase hinein. Allerdings bedeuten gute Stimmungen noch keine verbesserten Konjunkturdaten. Abseits von Deutschland fällt die Diskrepanz zwischen Stimmung und Realität deutlich auf.

Was ist eigentlich mit…Japan?

Japans Wirtschaft zeigt sich noch sehr verhalten. Der von der Citigroup veröffentlichte ökonomische Überraschungsindex für Japan - der positive und negative Abweichungen der tatsächlichen Konjunkturdaten von den Schätzungen der Volkswirte misst - liegt seit Anfang Februar wieder im Enttäuschungs-Bereich. Die japanische Exportwirtschaft bekommt die Konjunkturschwäche in den südostasiatischen Schwellenländern und die japanische Industrie insgesamt die Kosten der Energiewende zu spüren. Der japanische Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe hat sich von 56,6 im Januar auf aktuell 49,4 eingetrübt und liegt knapp unter der Expansion anzeigenden Schwelle von 50.

Ohne neue Schulden geht es nicht

Aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung im April von fünf auf acht Prozent hat sich der japanische Konsumklimaindex auf den niedrigsten Wert seit August 2011 eingetrübt. Angesichts der Strukturprobleme Japans - schleppende Binnennachfrage, Exportprobleme, Überalterung der Bevölkerung - bleibt Neuverschuldung die einzig mögliche Stütze der japanischen Volkswirtschaft. Dabei hat sich die japanische Staatsverschuldung seit 1990 bereits fast verfünffacht, ohne einen wirklichen konjunkturellen Niederschlag zu finden: Die Wirtschaftsleistung stagnierte in diesem Zeitraum.

Neuverschuldung von Geldpolitiks Gnaden

Vor diesem Hintergrund ist Japans Geldpolitik gezwungen, extrem freizügig zu bleiben, um die Renditen auf japanische Staatspapiere zu drücken. Ansonsten ist die überbordende Staatsverschuldung nicht mehr zu beherrschen. Ironischerweise führte die Zinsdrückung dazu, dass Japan trotz Vervielfachung seiner Staatsschulden bis 2016 nur noch unter zwei Prozent seines Staatshaushalts für Zinszahlungen aufwenden muss. 1990 waren es noch 16 Prozent. Aus dieser geldpolitischen Rettungsnummer kommt Japan nicht mehr heraus, zumal die angepeilte Inflationsrate von zwei Prozent - aktuell 1,5 Prozent - noch nicht erreicht ist.

Nächste Liquiditätsflutung voraus!

Nicht zuletzt geht es der japanischen Geldpolitik um die konsequente Schwächung des Yen zur exportseitigen Konjunkturstützung. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die japanische Liquiditätsflutung in die nächste Runde geht. Dann dürfte der Nikkei 225 aus seinem aktuellen Seitwärtstrend zwischen 14.000 und 15.000 Punkten nach oben ausbrechen.

Deutsche Berichtsaison im Schatten negativer Währungseffekte

Der Sportartikelhersteller adidas musste aufgrund negativer Währungseffekte und Problemen im US-Geschäft einen Gewinnrückgang um 34 Prozent zum Vorjahr hinnehmen. Aufgrund u.a. hoher Umsatzerwartungen im Zuge der Fußball-WM hält adidas jedoch an seinem Jahresziel fest. BMW startet dank guter Geschäfte in China mit einem Gewinnplus von gut 11 Prozent ins Jahr. Der Ausblick bleibt zuversichtlich. Der Gewinnzuwachs bei Linde wird von negativen Währungseffekten vollständig aufgezehrt. Trotzdem sieht sich Linde für 2014 weiterhin auf Kurs. Wegen negativer Währungseffekte verzeichnet auch das Auftragsvolumen bei Siemens einen Rückgang um gut 13 Prozent. Die zukünftig geplante verstärkte Ausrichtung auf Energietechnik und Effizienzsteigerung verspricht aber neue Ertragsdynamik. Der positive Jahresausblick bleibt bestehen. Beiersdorf konnte dank eines starken Geschäfts in Asien und den USA trotz Währungsproblemen ein Gewinnplus von sieben Prozent zum Vorjahr erzielen. Der Ausblick bleibt ebenfalls zuversichtlich.

Trotz der grundsätzlich gefestigten Ausblicke im Rahmen der Berichtsaison sowie optimistischer Frühindikatoren bleibt die Gewinnerholung deutscher Unternehmen im historischen Vergleich - grundsätzlich gibt es immer eine zeitliche Verzögerung - ungewöhnlich lang hinter der starken Kursentwicklung deutscher Aktien seit dem Euro-Rettungsversprechen der EZB im Juli 2012 zurück. Eine fundamentale Aktienstütze, wie sie in Form der Ertragssteigerung 2010 auf die 2009 vorausgegangene Aktienmarkthausse folgte, fehlt im aktuellen Szenario bisher.

DAX weltkonjunkturell besonders sensitiv

Neben Konjunkturirritationen in den Schwellenländern dürfte auch die Ukraine-Krise mit all ihren möglichen Kollateralschäden ein Handicap bleiben. Hier macht sich die besondere Abhängigkeit deutscher Unternehmen von der Weltkonjunktur bemerkbar. Wirtschaftliche Befürchtungen schlagen sich in einer deutlichen relativen Schwäche deutscher Aktien gegenüber den europäischen Konkurrenzindices nieder, vor allem seit Beginn der Ukraine-Krise.

EZB bereit zu handeln

Ein Ende der Aktienhausse - auch in Deutschland - ist geldpolitisch jedoch nicht zu befürchten. So macht zunächst die Fed keine Anstalten, die Zinsen zu erhöhen. Insbesondere aber ist von der EZB eine umfangreiche geldpolitische Offensive zur Stützung der Euro-Konjunktur zu erwarten. In punkto Bilanzsumme als Maß für die von den Notenbanken bereitgestellte Liquidität hat die EZB ihre Bilanzsumme im Vergleich zur Bank of Japan und Fed aufgrund der Rückzahlung der Ende 2011 vergebenen Langzeitkredite deutlich verkleinert. Quantitativ fährt die EZB also einen restriktiven Kurs.

GRAFIK DER WOCHE: Bilanzsumme der Fed, EZB und Bank of Japan im Vergleich, indexiert

Nach der Europawahl geht es geldpolitisch los

Jedoch betonte Mario Draghi zuletzt deutlich, dass sich die EZB auf ihrer nächsten Sitzung im Juni - vor dem Hintergrund dann aktualisierter Konjunktur- und Inflationsprognosen - durchaus „wohl dabei fühlt“ weitere, auch unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen. Neben erneuten Senkungen der Leitzinsen mit auch negativen Einlagezinsen könnte die EZB zunächst die Einziehung der von ihr 2011 zur Beruhigung der euroländischen Staatsanleihenmärkte limitiert aufgekauften Staatstitel einstellen. Aber das ganz scharfe geldpolitische Schwert zur Liquiditätsausweitung wäre der Aufkauf verbriefter Unternehmenskredite aus den Beständen der Euro-Geschäftsbanken.

Aktuelle Marktlage und Charttechnik

Die Ukraine-Krise hält den DAX zunächst in seinem Seitwärtstrend zwischen 9.200 und seinem Jahrshoch bei knapp 9.800 Punkten.

Konkret erhält der DAX aus charttechnischer Sicht eine erste, wenn auch nur schwache Unterstützung bei rund 9.475 Punkten. Darunter verlaufen die nächsten Auffanglinien im Bereich der 9.350 Punkte und am seit Juli 2013 bestehenden Aufwärtstrend bei derzeit 9.192 Punkten. Darunter liegt die nächste Unterstützung an der 200-Tage-Linie bei aktuell 9.070 Punkten. Auf dem Weg nach oben gilt es weiterhin, die Marke bei 9.600 Punkten überzeugend zu brechen. Darüber warten dann die nächsten Hürden bei 9.721 und am Jahreshoch bei 9.794 Punkten.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Auf Unternehmensebene kommt die deutsche Berichtssaison zum Abschluss. Die Zahlen von ThyssenKrupp dürften auf eine Besserung hinweisen, auch wenn der kalte Winter in den USA das Stahlgeschäft belastet haben dürfte. Allianz dürfte ein solides Ergebnis präsentieren. Im Ergebnis von K+S spiegelt sich das anhaltend schwierige Marktumfeld wider. Die Deutsche Post dürfte ebenso wie der Pharma-Hersteller Merck trotz jahresanfänglicher Turbulenzen in den Schwellenländern ein solides Ergebnis präsentieren. Grundsätzlich sind insbesondere die exportlastigen Unternehmen von negativen Währungseffekten betroffen.

Auf Makroebene in den USA legen die Einzelhandelsumsätze nach einem starken Vormonat eine Pause ein und auch das von der Universität von Michigan veröffentlichte Verbrauchervertrauen hält sich zunächst auf Vormonatsniveau. Ein ähnliches Bild zeichnet der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed und die Industrieproduktion. Die Daten vom US-Immobilienmarkt bleiben freundlich. Sowohl die Baubeginne als auch -genehmigungen dürften die Auswirkungen des harten US-Winters endgültig hinter sich lassen.

In Deutschland dürften die BIP-Zahlen für das zurückliegende I. Quartal 2014 einen soliden Jahresstart der deutschen Wirtschaft bestätigen. Die ZEW Konjunkturaussichten dürften hingegen im Gegensatz zur aktuellen Lage erneut schwächer ausgefallen sein.

HALVERS WOCHE: DAX im Seitwärtstrend - Brechen die Bullen aus oder die Bären ein?

Bislang zeigt der DAX kaum besondere Dynamik. Böse Zungen behaupten sogar, er sei langweilig. Im Vergleich zum Jahresanfang tritt er ungefähr auf der Stelle. Seine stabile Seitenlage zwischen 9.200 und dem Allzeithoch bei knapp 9.800 Punkten scheint der DAX nicht verlassen zu wollen. In diesem Seitwärtstrend kämpfen Bullen und Bären darum, ob der DAX nach oben oder unten ausbrechen wird. Ohne Zweifel haben die Bären gute Argumente:

1. Wie lang sind die Beine der politischen Börse?

Im Extremfall könnten bei einer Eskalation der Ukraine-Krise zwei Jahrzehnte erfolgreiche West-Ost-Entspannungspolitik das Zeitliche segnen. Der Westen, allen voran Industrie- und Aktien-Deutschland, würde dann den Konjunktur-Alptraum von 2009 erneut real erleben. Die Börse geht zwar davon aus, dass das diplomatische Glas noch halb voll ist. Aber wer vermag schon einzuschätzen, ob und wann der point of no return erreicht ist, ab dem die Diplomatie versagt.

2. Aktienkurse sind schneller gestiegen als Gewinne

Historisch betrachtet verteilen die Aktienmärkte regelmäßig Vorschusslorbeeren auf spätere Gewinnerholungen. So haben Kurssteigerungen schon im Frühjahr 2009 das robuste Ertragswachstum der Unternehmen ab 2010 vorweggenommen. Im jetzigen Szenario allerdings bleiben die Gewinnsteigerungen trotz positiver Frühindikatoren schon sehr lange sehr deutlich hinter der bereits seit Mitte 2012 laufenden Aktienhausse zurück.

Folglich hat neben der Substanz- vor allem die Ertragsbewertung gemäß Kurs-Gewinn-Verhältnis luftige Höhen erreicht. Lag das deutsche KGV 2012 bei knapp neun, liegen wir heute bei knapp 13.

3. M & A - Fluch oder Segen?

Das wieder angelaufene Übernahme- und Fusionsfieber ist ein besonders schmackhaftes Salz in der Börsen-Suppe. Erfahrene Börsen-Hasen verweisen jedoch darauf, dass in der Vergangenheit üppige M&A-Geschäfte gerne das Ende der Happy Hour an den Aktienmärkten eingeläutet haben. So wurde in der Endphase des Neuen Marktes noch einmal ein Höhenfeuerwerk gezündet und zu Höchstkursen aufgekauft oder sich unternehmensseitig verbandelt. Viele Hochzeiten jedoch, die zunächst mit viel Buhei auf Börsen-Wolke Sieben geschlossen wurden, endeten schließlich als schlimme Rosenkriege ohne jeglichen Lustgewinn.

4. Fed - Schluss mit geldpolitisch-lustig?

Ausgerechnet die Fed als ultimativer Retter der westlichen Finanzwelt wird verdächtigt, ihre geldpolitischen Krallen früher als erwartet auszufahren. Die US-Konjunktur, die einst Ähnlichkeiten mit meinem altersschwachen Kater Niko hatte, ist aktuell wieder so stark wie mein zweiter, junger und quietschfideler Kater Max. Unter normalen Umständen stünde wohl die Reduzierung des Kraftfutters, also die erste Zinserhöhung vor der Tür. Der Liquiditätshausse an den Aktienmärkten drohte dann das Wüstenklima.

Sell in May and go away, for a long time?

Insgesamt ist bei dem ein oder anderen Anleger also eine frevelhafte, bearische Aktienstimmung durchaus berechtigt. Vor diesem Hintergrund könnte der DAX durchaus aus seinem Seitwärtstrend ausbrechen, und zwar nach unten, oder?

US-Zinserhöhungen passen noch nicht in die Welt

Die Argumente der Bullen sind aber auch nicht zu verachten. In unserer globalisierten Finanzwelt hängt alles mit allem zusammen. Konsequenzen von Zinserhöhungen seitens der Notenbank-Urmutter Fed haben nicht nur Folgen für die USA, sondern suchen wie umfallende Dominosteine auch die Schwellenländer als konjunkturelle Sorgenpausen der westlichen Welt heim. Mutti Yellen weiß sehr genau, dass sie sich nicht nur um die eigenen Kinder, sondern weltweit auch um das Wohl fremder Kinder kümmern muss. Sie will zwar alles genau beobachten, handeln heißt das aber noch nicht. Zinspolitisch voreilig restriktiv zu werden, bedeutet, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Dann fallen nicht nur Aktien in Ungnade, sondern auch die Weltkonjunktur. Welche Mutter setzt ihre Kinder einem Risiko aus?

Der neue Name der Liquiditätshausse ist „Draghi“

In Euroland schürt Mario Draghi die geldpolitische Erwartungshaltung. Die real existierenden Probleme der Eurozone lassen ihm keine andere Wahl: Die Euro-Staatsschuldenkrise ist zwar technisch beendet, aber die Euro-Konjunktur fährt immer noch im Rollstuhl.

Überhaupt, betrachtet man die Liquiditätsversorgung der drei großen Notenbanken, so ist die EZB gegenüber der Fed und der Bank of Japan ein regelrechtes Waisenkind. Draghis Quelle hat in letzter Zeit nicht nur keine Liquidität gespendet, sondern sogar abgesaugt, so dass man fast von geldpolitischer Straffung sprechen könnte. Fast könnte man Herrn Draghi unterstellen, er tue zu wenig für die Konjunktur.

Aber nach der Europawahl, ab Juni wird Mario Draghi vermutlich die geldpolitischen Erwartungen mit unkonventionellen Wertpapieraufkäufen erfüllen. Dann steht die Rücksichtnahme auf an geldpolitischer Stabilität interessierten Wähler dem Sündenfall nicht mehr im Wege. Die EZB tritt in die Fußstapfen der Fed.

Wie lange dauert die Seitwärtsphase des DAX noch an?

Historisch gilt, dass hohe Aktienbewertungen und M&A-Geschäfte dann keine Chance mehr haben, wenn die üppige Geldpolitik beendet ist. Muss dann aber umgekehrt nicht ebenso gelten, dass wenn die Euro-Konjunktur geldpolitisch noch stärker auf Vordermann gebracht wird, auch die Liquiditäts-Rallye an den euroländischen Aktienmärkten weiter geht? Ja!

Dies mag zwar ein langweiliges Argument für Aktien sein, aber auch ein entscheidendes. Daher hat der DAX ganz klar das Potenzial, nach oben auszubrechen. Allerdings klebt die geopolitische Krise wie Kaugummi am Aktien-Schuh: Unser täglich Ukraine-Live-Ticker gib uns heute.

Mögen die Bullen schließlich gewinnen. Glück auf!

VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK

KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen