Kommentar
19:05 Uhr, 02.04.2007

„Die Bewertungen der Blue Chips sind nicht mehr niedrig“

In Rumänien gibt es etwa 60 bis 70 verschiedene Broker. Das heißt, der Markt ist sehr fragmentiert und in den kommenden Jahren ist nicht zuletzt wegen höher werdender rechtlicher Anforderungen mit einer Konsolidierung zu rechnen. Die Nummer eins in diesem Markt, mit einem Marktanteil von rund neun Prozent knapp vor der österreichischen Creditanstalt liegend ist die niederländisch stämmige ING Bank. In Bukarest sprachen wir mit Nicoleta Banica, der einzigen Rumänien-Analystin des Instituts.

Frau Banica, was steckt hinter den starken Kursgewinnen an der rumänischen Börse in diesem Jahr?

Durch die erfolgte EU-Aufnahme ist das Interesse ausländischer institutioneller Anleger stark gestiegen. In den ersten beiden Monaten des Jahres lag die Zahl der von Ausländern abgewickelten Transaktionen schon fast so hoch wie im Gesamtjahr 2006. Es ist somit frisches Kapital ins Land geflossen. Aber auch die Inländer zeigten ein größeres Interesse. Das hat auch mit Umschichtungen von Geldern aus dem Immobilienmarkt zu tun, weil in diesem Segment mit sinkenden Renditen gerechnet wird.

Wird sich der Kursaufschwung aus Ihrer Sicht fortsetzen?

Wir rechnen mit einer Fortsetzung des Aufwärtstrends. Dafür spricht auch die bald zu erwartende Einführung von Pensionsfonds, zu denen im September 2006 bereits ein entsprechendes Gesetz eingeführt wurde.

Sprechen nicht die hohen Bewertungen gegen weiter steigende Aktienkurse?

An der Budapest Stock Exchange sind die Bewertungen in der Tat nicht mehr niedrig. Das KGV bewegt sich hier im Schnitt zwischen 25 und 30. Am Rasdaq, wo viele kleine Unternehmen gelistet sind, die sich in interessanten Nischenmärkten bewegen, sieht es dagegen besser aus. Dieses Segment wurde noch nicht mit Kapital überflutet und das KGV liegt deutlich niedriger. Trotzdem konzentrieren sich bisher nur wenige Investoren auf die dort gelisteten Unternehmen.

Wie lauten konkret Ihre Erwartungen für das Börsenjahr 2007?

Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass sich die Korrektur noch etwas fortsetzen wird. Insgesamt rechne ich für das Gesamtjahr mit einem Indexanstieg von 25 bis 30 Prozent. Folglich erwarte ich mir vom derzeitigen Kursniveau aus nicht mehr allzu viel Kurspotenzial. Die Standardwerte sind fast alle wie Wachstumsaktien bewertet und man findet hier kaum noch günstig bewertete Titel. So sind viele Banken irrational hoch bewertet, aber das hat auch mit einem zu geringen Angebot an Aktien zu tun. Die Währung dürfte übrigens für Ausländer einen positiven Performancebeitrag liefern, weil mit einer weiteren Aufwertung zu rechnen ist.

Empfehlen Sie trotz durchschnittlicher hoher Bewertungen noch den einen oder anderen Blue Chip?

Wenn die Restrukturierung greift und wie geplant umgesetzt werden kann, dann kann der Ölkonzern Petrom auf Sicht von drei Jahren wieder zu einem werthaltigen Investment werden. Auch Rompetrol ist für mich ein Kauf. Das Unternehmen entwickelt sich operativ gut, ist gut gemanagt und diversifiziert und hat eine moderne Raffinerie. Interessant sich auch die Investmentfonds, denn die fünf SIFs werden mit einem Abschlag zum Nettoinventarwert von 30 bis 40 Prozent gehandelt. Die Banken BRD und Banka Transilvania sind für mich dagegen Verkäufe.

In den vergangenen Jahren gab es nur relativ wenige Neuemissionen. Wird sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern?

Noch ist in dieser Hinsicht kein echter Aufschwung in Sicht. Auch bei den Privatisierungen geht es nicht wirklich vorwärts. Derzeit zeichnen sich nur zwei Neuemissionen ab. Das eine Unternehmen ist Transgaz, die andere Gesellschaft ist der Romanian Property Fund. Beide Emissionen werden von der Raiffeisenbank an den Markt gebracht und könnten zu interessanten Bereicherungen des Kurszettels werden. Ansonsten hoffen die Marktteilnehmer auf die Einführung neuer Produkte wie Derivate, denn das ist praktisch die einzige Chance für die Börse zu wachsen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risiken für den rumänischen Aktienmarkt?

Ein Risiko sind mögliche politische Turbulenzen. Die jüngste Krise scheint mir jedenfalls noch nicht ausgestanden zu sein. Auch volkswirtschaftliche Ungleichgewichte bergen gewisse Risiken. Aber noch kann etwa das Leistungsbilanzdefizit über die ausländischen Direktinvestitionen finanziert werden.

Wie schätzen Sie die weiteren konjunkturellen Aussichten ein?

Die wirtschaftliche Dynamik wird auch in den kommenden Quartalen nicht nachlassen. Später muss abgewartet werden, wie sich die Schwachpunkte der rumänischen Volkswirtschaft bemerkbar machen.

Wenn Sie etwas im Börsenumfeld ändern könnten, was würden Sie sich wünschen?

Ich würde die auf maximal ein Prozent begrenzte Anteilsmöglichkeit an den SIFs aufheben. Und der Staat sollte bei dem ihm gehörenden Unternehmen aktiver werden und mehr privatisieren.

Quelle: www.ostboersen-report.de

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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