Kommentar
23:00 Uhr, 17.02.2009

Die aktuellen Konjunkturprogramme reichen nicht aus

Am 28. Januar 2009 hat der internationale Währungsfonds (IMF) eine Neuauflage zu den geschätzten Verlusten des US-Bankensystems veröffentlicht. Darin schätzt er, dass die gesamten Verluste von bisher angenommenen 1400 Milliarden US-Dollar auf 2200 Milliarden US-Dollar steigen werden. Von diesem Betrag sind rund 800 Milliarden durch die Banken abgeschrieben. Hat der Währungsfonds recht mit seinen Schätzungen, so kämen noch rund 1400 Milliarden auf das US-Bankensystem zu. In diesem Betrag sind sowohl die zu erwartenden Abschreiber auf "toxischen" Wertpapieren als auch die zu erwartenden Verluste auf ausstehenden Krediten wie Kreditkartenschulden, Konsumkrediten oder Hypothekarkrediten berücksichtigt. Die höher erwarteten Verluste kommen daher, dass sich die Konjunktur seit Oktober 2008 deutlich schlechter als erwartet entwickelt hat und sich die Häuserpreise bis dato noch nicht stabilisiert haben. Vergleicht man diese Zahlen mit dem Umfang des aktuell diskutierten US-Konjunkturpaketes von rund 900 Milliarden, so wird ersichtlich, dass allein für die Finanzinstitute nochmals wesentlich mehr Mittel aufgewendet werden müssen. Denn die Rekapitalisierung der Banken, das heisst das Einschiessen von Kapital, hat bisher nicht die Wirkung gezeigt wie erhofft. Leider gibt es kaum Alternativen zum beschriebenen Vorgehen.

Allerdings gilt es, einen weiteren Aspekt im Auge zu behalten. Vielen Grossbanken, welche Staatsmittel erhalten oder gar verstaatlicht werden, wird die Auflage gemacht, günstig Kredite zu vergeben, auch im Hypothekarbereich, um Kapital in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Dies ist auf den ersten Blick verständlich, auf den zweiten hingegen werden hier wohl falsche Anreize gesetzt. Diese Praxis könnte dazu führen, dass erneut zu viele Kredite in die Wirtschaft fliessen. Dies war eine der Ursachen der aktuellen Krise, dass nämlich zuviel billiges Geld zu einer zu hohen Nachfrage nach Immobilien und in der Folge zu einer zu hohen Verschuldung führten. Mit der beschriebenen Politik wird zwar die Abwärtsspirale verlangsamt, die eigentliche Genesung wird allerdings verzögert.

Alles in allem zeichnen sich grössere als bisher angenommene Rettungspakete sowie vorderhand anhaltende Verluste für das Finanzsystem ab. Wir bleiben deshalb in unseren Portfolios vorerst noch defensiv ausgerichtet mit einem Untergewicht im Aktienbereich. Da das Thema "Deflation" noch im Vordergrund steht, bleiben wir weiterhin im Bereich der Obligationen im hochqualitativen Bereich der Staats- und ausgewählter Unternehmensanleihen engagiert.

Dr. Thomas Steinemann, Chefstratege der Vontobel-Gruppe

Hauptszenario und Anlagethemen für die Finanzmärkte 2009

Wie jedes Jahr zu diesem Zeitpunkt geben wir an dieser Stelle unsere Erwartungen für das gerade begonnene Finanzjahr bekannt. Aufgrund der aussergewöhnlichen Ereignisse des vergangenen Jahres ist ein kurzer Rückblick über unsere Erwartungen vor einem Jahr jedoch angezeigt. Wir gingen damals davon aus, dass wir ein schwieriges und volatiles Jahr an den Aktienmärkten erleben würden. Entsprechend hatten wir unsere Aktienquote zum Jahresanfang 2008 nach einer ersten Reduktion im Herbst 2007 ein zweites Mal reduziert. Allerdings erwarteten wir eine positive Rendite für das ganze Jahr, welche über jener von Obligationen liegen würde. Der Grund lag darin, dass die Gewinnerwartungen für Unternehmen ausserhalb der Finanzbranche attraktiv waren und Aktien keinesfalls überbewertet waren. Ausserhalb des Finanzsystems waren die Firmen gesund und wenig verschuldet. Diese Erwartungen hinsichtlich Aktien mussten spätestens mit dem unerwarteten und allgemein als Fehler bezeichneten Zulassen des Kollapses der Investmentbank Lehman im September begraben werden. Kurz nach diesem Zeitpunkt beschleunigte sich der Rückgang der globalen wirtschaftlichen Aktivitäten dramatisch und eine starke, vermutlich vier Quartale andauernde Rezession wird kaum mehr zu vermeiden sein. Bemerkenswert ist, dass seit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Daten die Aktienmärkte sich von den Tiefstständen im November leicht erholt haben. Dies bestätigt unsere These, wonach sehr viel an negativen Erwartungen bereits in den Preisen enthalten sein dürfte. Nebst Aktien wiesen 2008 alle Anlageklassen ausser Bargeld und Staatsobligationen eine negative Performance auf. Diese ungewöhnlich hohe Korrelation der Anlageklassen ist das Ergebnis eines äusserst seltenen Ereignisses, nämlich einer Entwicklung in Richtung deflationäre Rezession. In "normalen" Rezessionen erzielen oftmals Immobilien oder Rohwaren überdurchschnittliche Renditen.

Welches sind unsere Anlagethemen 2009?

1. Aktien schlagen Obligationen

In unserem Hauptszenario gehen wir davon aus, dass wir trotz des scharfen konjunkturellen Einbruchs in der ersten Jahreshälfte eine allmähliche Beruhigung der Finanzkrise erleben werden. Das heisst, dass wir von keinen systemischen Risiken für das Finanzsystem, wie wir sie im Herbst erleben müssten, ausgehen. Dies würde sich unter anderem in rückläufigen Geldmarkt- und Kreditspreads äussern. Die Herausforderung für die Aktienmärkte wird der Umgang mit dem anhaltenden Abbau der Verschuldung des privaten Sektors (auch "Deleveraging" genannt) und zum Teil noch von Banken und Hedge Funds sowie den rückläufigen Unternehmensgewinnen sein. Wir erwarten zunächst weiterhin volatile Aktienmärkte und starten das Jahr mit einer untergewichteten Aktienquote. Die Märkte erwarten wir angesichts der schwachen Gewinnentwicklung als knapp fair bewertet, das heisst, dass viel Negatives in den aktuellen Kursen enthalten ist.
Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass das Aufwärtspotential aus einer Bewertungssicht zurzeit noch limitiert sein dürfte. Die Aktienmärkte dürften in diesem Jahr insgesamt aber dennoch ansprechend performen, gehen wir doch davon aus, dass die Märkte zuversichtlicher werden, sobald sie überzeugt sind, dass all die getroffenen Massnahmen der Zentralbanken und die fiskalischen Konjunkturpaketen nachhaltig wirken und positivere Erwartungen für 2010 immer wichtiger werden. Entsprechend dürften Staatsanleihen zunächst noch ihre Rolle als sichere Häfen behalten. Im Jahresverlauf im Zuge eines steigenden Risikoappetits dürften sie aber zunehmend an Bedeutung verlieren.

Wie könnte der Zeitpunkt einer Trendwende zum Besseren charakterisiert sein? Im Wissen, dass dieser Punkt kaum exakt getroffen werden kann, sollten doch folgende Ereignisse eintreten: Die Häuserpreise stabilisieren sich, die Geld- und Kreditspreads verringern sich, Finanzaktien outperformen und die Investoren erwarten wieder höhere Gewinne.

2. Investments in Unternehmensanleihen guter Schuldnerqualität und Wandelanleihen

Unternehmensanleihen gehörten im abgelaufenen Jahr im Vergleich zu Staatsanleihen zu den Verlierern. Die Differenz von sicheren Staatsanleihen zu Unternehmensanleihen guter Schuldnerqualität weitete sich auf ein Rekordniveau von rund 6% aus. Seit der grossen Depression der dreissiger Jahre wurden solche Werte nicht mehrt erreicht. Kehrt im Verlauf des Jahres das Investorenvertrauen zurück - wovon wir ausgehen - bieten sich hier attraktive Renditechancen. Ähnlicher gilt für Wandelanleihen, die ebenfalls überdurchschnittlich an Wert einbüssten und zurzeit deutlich unterbewertet sind. Denn die in der Wandelanleihe enthaltene Optionskomponente (d.h. das Anrecht auf Bezug der zugrundeliegenden Aktien) ist teilweise kostenlos zu haben. Hieraus resultiert insgesamt für die Kategorie Wandelanleihen ein sehr attraktives Rendite/Risiko-Verhältnis.

3. Investments in Infrastruktur

Der Umfang der globalen Konjunkturpakete wächst beinahe täglich. So plant der künftige US-Präsident ein weiteres Stimulierungsprogramm im Umfang von 800 Mrd. US Dollar und die deutsche Kanzlerin hat soeben weitere 50 Mrd. Euro bereitgestellt. Der grösste Teil dieser Ausgaben soll in Infrastrukturprojekte fliessen. In den USA werden rund 50% aller Konjunkturstimulierungsausgaben in Infrastruktur investiert, in China rund 60% und in Spanien gar 70%. Besonders die Bereiche "Energie" und "Transport" sollen bedacht werden. Im Energiebereich geht es vor allem um die Förderung alternativer Energien, im Bereich Transport unter anderem um Investitionen in Eisenbahn- und Strasseninvestitionen. Firmen, die in Infrastrukturbereichen tätig sind, dürften zu den Gewinnern in diesem Jahr zählen.

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