Kommentar
13:46 Uhr, 22.05.2015

Die Aktienanleger sind satt und warten auf die nächste Leckerei

Die Weltwirtschaft schwächelt. In China bleibt die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe gemäß HSBC Bank zum dritten Mal in Folge unterhalb der Expansion anzeigenden Schwelle. In den USA haben die Konjunkturdaten zuletzt reihenweise enttäuscht. Und auch die Eurozone hat sich bislang nur Basiseffekt bedingt erholt. Dagegen konnte Japan aufgrund seiner ergriffenen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen konjunkturellen Boden gutmachen.

Spiegelbilder dieser wirtschaftlichen Entwicklung sind die von der Citigroup veröffentlichten ökonomischen Überraschungs-Indices für Länder und Regionen. Sie messen positive bzw. negative Abweichungen der tatsächlichen Wirtschaftsdaten von den Analystenerwartungen. Bis auf eine sehr deutliche Aufwärtsentwicklung in Japan sind diese in den USA, in der Region Asien/Pazifik und in der Eurozone - wenn auch weniger stark - abwärtsgerichtet.

GRAFIK DER WOCHE
Ökonomische Überraschungs-Indices USA, Eurozone, Japan und Asien/Pazifik

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Deutsche Wirtschaft mit vorübergehender Ladehemmung
Auch die grundsätzlich robuste deutsche Wirtschaft trübt sich ein. Die zuletzt deutliche Euro-Aufwertung kam als mentales Handicap für exportsensitive deutsche Unternehmen hinzu. Sowohl die ZEW Konjunkturerwartungen als auch die ifo Geschäftserwartungen für das deutsche Verarbeitende Gewerbe zeugen von einer zwischenzeitlichen Wachstumsverlangsamung. Insgesamt halten sich die Stimmungsindikatoren jedoch auf hohem Niveau.

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US-Konjunktur schreit nicht gerade nach Zinserhöhungen
In den USA besitzt der Aufschwung am Arbeitsmarkt bislang offenbar noch nicht die Qualität, um den Konsum nachhaltig zu unterstützen. Der Stellenaufbau im Privatsektor ist im Vorjahresvergleich quantitativ zwar als robust zu bezeichnen. Doch beruht dieser Effekt vor allem auf der Dienstleistungsbranche, die durch einen großen Niedriglohnsektor geprägt ist. Dagegen zeichnet sich das Verarbeitende Gewerbe durch einen schwachen Beschäftigungsaufbau aus. Und auch die enttäuschende Beschäftigungsplanung in der US-Industrie verspricht für die Zukunft keine zügige Abhilfe. Grundsätzlich zeichnet sich die US-Industrie durch im Durchschnitt höhere Löhne als im Dienstleistungsbereich aus.

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U.a. aufgrund dieser fehlenden qualitativen Lohnkomponente nehmen die US-Einzelhandelsumsätze im Vorjahresvergleich seit 2011 im Trend ab.

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Erstaunlich wenig robust zeigt sich bislang ebenso der US-Immobiliensektor als klassische Stütze der Volkswirtschaft. Sicherlich ist seit dem Tiefpunkt im Frühjahr 2009 eine klare Gegenbewegung festzustellen, die den Schwung früherer Erholungsphasen jedoch vermissen lässt, obwohl die für die Bauzinsen relevanten Renditen von US-Staatsanleihen und auch Leitzinsen auf äußerst niedrigem Niveau liegen. Scheinbar haben günstige Zinsen mittlerweile deutlich an konjunktureller Wirkung eingebüßt.

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Hintergrund dieser zinspolitischen Ladehemmung ist der hohe Verschuldungsgrad der USA. Die Verschuldung der privaten Haushalte ist trotz Entspannung mit rund 100 Prozent des Verfügbaren Einkommens immer noch zu hoch, um über zinspolitische Impulse eine ähnliche Hebelwirkung wie noch im letzten Jahrhundert zu erreichen. Da befällt selbst die allmächtige Fed zinspolitische Ohnmacht. Amerikaner nutzen die günstigen Zinsen eher zur Umschuldung der bestehenden Kreditverbindlichkeiten mit höherer Tilgung. Heutzutage sind deutlich längere US-Niedrigleitzinsphasen nötig als früher.

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Die US-Leitzinswende - Eine Phantomdebatte
Die US-Notenbank wird die Zinswende ab September zwar einleiten. Allerdings tut sie das mehr im Sinne einer vertrauensbildenden Maßnahme als aus konjunkturellen Gründen. Nachdem die Zinswende von der Fed seit über einem Jahr immer wieder thematisiert wurde, kann man sie nicht einfach ignorieren. Jedoch kann sich die US-Notenbank nach einer ersten Zinserhöhung auf die Position zurückziehen, erst bei wirklich guter Konjunkturlage weitere Zinsschritte zu tätigen. Im aktuellen „Low-Flation“-Umfeld besteht dafür aber keine Veranlassung. Desinflationierende Elemente aufgrund u.a. einer weltweit wachsenden arbeitsfähigen Bevölkerung bei geringen Lohnzuwächsen und grundsätzlich günstigen Energiepreisen, die sich in schwachen und zuletzt sogar wieder gefallenen US-Inflationserwartungen widerspiegeln, verleihen der US-Notenbank großen Bewegungsspielraum in punkto zinspolitischer Immobilität.

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Auch weltweit bleibt das „Monetary Easing“ ein Phänomen. Zur konjunkturellen und reflationierenden Unterstützung werden neben Schweden, Australien, Norwegen und Japan auch alle BRIC-Staaten und Südkorea ihre Leitzinsen weiter senken.

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Wenn Rendite-Wende, dann Finanzmarkt-Ende
Die weltweiten Notenbanken haben keine Exit-Möglichkeiten. Eine noch verhaltene Weltkonjunktur und ein schwaches Preisumfeld vertragen keine zinspolitischen Restriktionen. Selbst das robust wachsende Großbritannien sieht sich das erste Mal seit über 50 Jahren mit Deflation konfrontiert.

Geldpolitisch gilt es ohnehin, eine klare Wende der Anleiherenditen nach oben zu verhindern. Denn zunächst muss das „Sorglos-Kreditumfeld“ zur Finanzierung überschuldeter Länder unbedingt erhalten bleiben. Und noch wichtiger: Ein Renten-Crash wäre das Ende unserer real existierenden Finanzwelt. Das Platzen der Immobilienblase hatte unser Finanzsystem bereits an den Rand des Ruins gebracht und konnte nur mit unkonventionellen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen stabilisiert werden. Gegen das Bersten der größten Anlageblase aller Zeiten - die Anleiheblase - wären aber alle vorhandenen Instrumente nutzlos.

Vor dem Hintergrund dieser erforderlichen „Rettungs-Doktrin“ demonstrierte die EZB zuletzt, wer Herr an den Euro-Anleihemärkten ist. So kündigte die EZB vorgezogene Aufkäufe von Staatsanleihen vor der vermeintlichen volumenschwachen Sommerflaute am Rentenmarkt an. Das ist der technische, der vorgeschobene Grund.

Tatsächlich reagiert die EZB mit diesem „Trick“ jedoch auf den „Mini-Euro-Renten-Crash“ der letzten vier Wochen, der wegen steigender Anleiherenditen auch den Euro aufwerten ließ. Es ist eine unverhohlene Drohung an Spekulanten, nicht auf steigende Anleiherenditen zu wetten, die bei Nachhaltigkeit die „Euro-Staatsschuldenkrise“ wiederbeleben würden. Zur Glaubwürdigkeit der EZB und auch zur Verhinderung von Erwartungsenttäuschungen am Finanzmarkt gehört auch, dass die EZB jede Mutmaßung über ein „Early Tapering“ ausschließt. Sie hat sich öffentlich mehrfach zur Fortsetzung des Anleiheaufkaufprogramms bis September 2016 bekannt. Im Notfall sind sogar eine Verlängerung des Aufkaufprogramms und/oder eine Volumenanhebung möglich, um das Glaubensbekenntnis in ihre Rettungsmission zu bekräftigen.

Nicht zuletzt will die EZB verhindern, dass die Anleiherenditen der Euro-Länder oberhalb des Niveaus von US-Renditen ansteigen. So will man dem Euro - aus Gründen der Exportunterstützung - keinen Aufwertungsgrund gegenüber dem US-Dollar geben.

Die Staatsanleihemärkte der Eurozone reagieren auf diese „Machtdemonstration“ der EZB mit einer Beendigung des Renditeanstiegs und der Euro mit einer Wiederabwertung zum US-Dollar.

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Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung: Auf der Suche nach neuen Impulsen
Die Korrektur am Aktienmarkt in den vergangenen Wochen hat die massive Überkauft-Situation bereinigt. Aktien haben ihre Stabilität, ihre Balance wiedergefunden. Es droht ihnen kein Crash aus Gründen der Zinswende bzw. einer deutlichen Euro-Aufwertung.

Allerdings fehlt es noch an konjunktureller Überzeugungskraft, um Aktien neben dem Liquiditätsargument auch fundamental Auftrieb zu verleihen. Die internationale Geldpolitik - auch die in den Schwellenländern - bemüht sich jedoch tatkräftig um wirtschaftspolitische Stimulanz. In China werden zinspolitische Lockerungsschritte und eine Liquiditätsoffensive der westlichen Machart die konjunkturelle Entwicklung stabilisieren. Für die US-Wirtschaft ist im Sommer mit deutlichen Nachholeffekten zu rechnen, die die jahresanfängliche Konjunkturdelle ausgleichen werden.

Nach der Dividendensaison - der „Fütterungssaison“ - und einem fulminanten I. Aktienquartal steht so mancher auch große institutionelle Anleger an den Seitenlinien und wartet auf neue Impulse. Vorerst ist mit einer seitwärtsorientierten Aktienentwicklung zu rechnen.

Ein Impuls ist die anstehende Beantwortung der offenen griechischen Frage. Der Euro-politische Wille deutet darauf hin, dass im Juni die „frohe“ Botschaft gegeben wird, dass Griechenland Mitglied der Eurozone bleibt. Die wirtschafts- und finanzpolitische Vernunft spricht zwar einstimmig dagegen und längerfristig tut sich die Euro-Politik mit der Beibehaltung des Status Quo auch keinen Gefallen. Denn er wird Signalcharakter auch für die Behandlung anderer angeschlagener Euro-Länder haben, denen kein Anreiz für wirtschaftsstimulierende Reformen gegeben wird. Dieses Problem wird uns später noch auf die Füße fallen.

Aber einstweilen ist die Aufrechterhaltung der großen Euro-Familie eine kurstreibende Friedensmission für die europäischen Aktienmärkte, die sich keine Gedanken um die Konsequenzen eines Grexit machen müssen.

Um den DAX muss uns grundsätzlich nicht bange sein. Bis Jahresende werden weitere, auch größere Anlegergruppen verstärkt in die Risikoklasse Aktien investieren. Das Warten auf die Renaissance von Zinsanlagen entspricht dem Warten auf Godot.

Charttechnik
Aus charttechnischer Sicht verläuft im DAX im Falle einer weiteren Aufwärtsbewegung ein erster Widerstand bei 12.079 Punkten. Darüber warten weitere Hürden bei 12.219 und 12.390 Punkten. Auf mittlere Sicht ist Platz bis zur oberen Begrenzung des langfristigen Aufwärtstrendkanals bei derzeit 12.805 Punkten.

Im Falle einer Fortsetzung der Korrektur gibt der Bereich zwischen 11.751 und 11.805 Punkten ersten Halt. Darunter sollte der Bereich zwischen 11.542 und 11.400 Punkten Unterstützung bieten. Wird auch dieser durchbrochen, warten weitere Unterstützungen bei 11.167 und 11.000 Punkten.

Und was passiert in der KW 22?
In den USA deuten stabile Auftragseingänge für zivile Kapitalgüter, ein wieder freundlicherer Einkaufsmanagerindex für die Region Chicago sowie wöchentliche Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe auf niedrigem Niveau darauf hin, dass die US-Wirtschaft ihre Konjunkturdelle hinter sich lässt, die sich mit einer schrumpfenden Wirtschaft im I. Quartal offenbaren wird.

In der Eurozone dürften die Euro-Finanzminister auf ihrem Treffen allmählich zu einem faulen Kompromiss in punkto Griechenland kommen. Bei den Kommunalwahlen in Spanien als Frühindikator für die Parlamentswahlen im Dezember dürfte die Euro-kritische Podemos-Partei Wahlumfragen zufolge in der Wählergunst weiter verlieren. Die von der EU-Kommission veröffentlichten Economic Sentiment Indikatoren signalisieren eine sich stabilisierende Entwicklung der Euro-Konjunktur.

In Deutschland deuten ein stabiler GfK Konsumklimaindex und Einzelhandelsumsätze auf eine weiter stabile Binnenkonjunktur hin.

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