Kommentar
16:45 Uhr, 18.03.2005

Deutschland: Reformdynamik bleibt erhalten

1. Die wirtschaftspolitischen Reformen in Deutschland gehen weiter. Das ist wohl das wichtigste Signal aus den gestrigen Verhandlungen im Kanzleramt. Das Überschreiten der Fünf-Millionen-Grenze bei den offiziellen Arbeitslosenzahlen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Der Druck auf die Politik, hiergegen endlich etwas Entscheidendes zu tun, steigt mehr und mehr an. Mit den nun beschlossenen Maßnahmen ist zwar nicht zu erwarten, dass sich die Probleme am Arbeitsmarkt in kurzer Zeit in Luft auflösen. Die Beschlüsse stellen jedoch weitere wichtige Reformschritte dar und werden die bereits angelegte Tendenz zu mehr Investitionen und sinkender Arbeitslosigkeit in diesem Jahr verstärken. Allerdings hätte man nach den vollmundigen Ankündigungen mehr Maßnahmen erwartet. So fehlten beispielsweise komplett Überlegungen zur Senkung der Lohnnebenkosten. Ferner wurden die strittigen – und möglicherweise für den Wahlkampf aufgesparten Themen – wie eine grundlegende Reform der Kranken- und Pflegeversicherung oder weitere Ansätze zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes überhaupt nicht angegangen. Insgesamt wurde so aus einem möglichen Maßnahmenpaket dann doch eher ein Reform-Päckchen. Unsere konjunkturelle Vorausschau für Deutschland (0,8 % Wachstum in diesem Jahr) belassen wir unverändert. Positive Wirkungen auf Arbeitslosigkeit und Wachstum werden sich mittelfristig einstellen, wir blicken relativ optimistisch in das Jahr 2006 (BIP-Zuwachs: 1,9 %).

2. Was eigentlich beim gestrigen Jobgipfel beschlossen worden ist, wird nicht ganz deutlich. Zu sehr verschwimmen die vielen vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers mit den Gesprächsinhalten des Jobgipfels und den noch zu führenden Detailverhandlungen. Einige wichtige Punkte sind:
• Die Körperschaftsteuer soll von 25 Prozent auf 19 Prozent gesenkt werden. Dies wird durch verringerte Gestaltungsmöglichkeiten vollständig gegenfinanziert. Die Möglichkeiten der Steuergestaltung und damit die allokativen Verzerrungen des Steuersystems nehmen dadurch ab. Die Senkung der nominalen Steuersätze wird dazu führen, dass der Standort Deutschland für ausländische Unternehmen wieder interessanter wird. Zwar ist nicht zu erwarten, dass die tatsächlich gezahlten Steuern insgesamt verringert werden – da die Reform ja aufkommensneutral gestaltet werden soll. Für internationale Unternehmen ist jedoch allen Umfrageergebnissen zufolge insbesondere der auf dem Gesetzespapier stehende Steuersatz maßgeblich für die Investitionsentscheidung, weniger die Steuergestaltungsmöglichkeiten. Hier ist es der Regierung gelungen, Zeichen zu setzen, insbesondere in Richtung Ausland. Dass diese erkannt werden, zeigt die heutige Reaktion der internationalen Presse auf die gestrigen Beschlüsse, in der die Steuersenkungen in Deutschland groß und positiv herausgestellt werden. Im Inland allerdings sind solche Zeichen Mangelware: Personengesellschaften, also ein breiter Teil des Mittelstandes, werden von den steuerlichen Entlastungen erst einmal wenig profitieren. Die Erhöhung der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer ist hier ein kleiner und wenig öffentlichkeitswirksamer Ausgleich.
• Für viele Personengesellschaften ist die Unternehmensnachfolge ein zentrales Problem. Mit dem Vorschlag die Erbschaftsteuer pro Jahr, in dem der Betrieb weiter geführt wird, 10% der Erbschaftssteuer zu erlassen, wird dieses Problem deutlich entschärft.
• Das Investitionsprogramm in Höhe von 2 Mrd. Euro verteilt auf die kommenden vier Jahre ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Mehr war aber angesichts der klammen Finanzlage nicht zu machen, denn es besteht derzeit immer noch nicht der Wille, aufkommensneutral konsumtive Ausgaben zugunsten investiver Ausgaben zurückzufahren.
• Die Zuverdienstgrenzen bei Arbeitslosengeld-II-Beziehern sollen erhöht werden. Hierdurch werden, der Grundphilosophie von Hartz IV folgend, weitere Anreize geschaffen, aus der Arbeitslosigkeit heraus Jobs anzunehmen. Die Schaffung von neuen Jobs unterstützt dies jedoch nicht.
• Hilfreich ist auch die Möglichkeit, befristete Arbeitsverhältnisse zu verlängern, ohne dass daraus sofort ein Anspruch auf einen unbefristeten Arbeitsplatz entsteht. Damit wird Arbeit flexibler einsetzbar und die Hemmschwelle abgesenkt, neue Arbeitskräfte einzustellen.

3. Rein (salden-)mechanisch gedacht wird durch diese Beschlüsse kein einziger Cent Nachfrage geschaffen, da alle Abgabensenkungen exakt gegenfinanziert sind. Dies geschieht deswegen, weil vor dem Hintergrund der bereits hohen Staatsverschuldung und nicht zuletzt der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts eine Schuldenfinanzierung nicht in Betracht kommt. Zwar ist es richtig, dass durch eine kurzzeitige kräftige staatliche Nachfrageausweitung – etwa für die mehr und mehr notleidende öffentliche Infrastruktur (also ein großes defizitfinanziertes Konjunkturprogramm) – angebotsseitige Reformen unterstützt werden würden. In der gegenwärtigen Lage, die von Angstsparen geprägt ist und in der von den bisherigen Reformen noch keine positiven Wirkungen spürbar geworden sind, besteht jedoch die Gefahr, dass die Ausstrahlungswirkungen eines solchen Konjunkturprogramms verpuffen würden. Ein solches Programm kann nur durchstarten, wenn es die Erwartungen der Bürger erreicht; dies setzt voraus, dass es als Initialzündung in eine stimmige Reformstrategie eingebettet ist. Als isolierte Einzelmaßnahme dagegen wäre das Ergebnis wahrscheinlich weiterhin eine Nachfrageschwäche bei einem höherem Schuldenstand und noch stärkerer Strangulierung der staatlichen Handlungsmöglichkeiten durch höhere Zinszahlungen. Vielmehr besteht sogar das gegenteilige Risiko: Angesichts der bereits jetzt zu beobachtenden und noch zu erwartenden Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in Deutschland bestünde die Gefahr, dass ein großes Konjunkturprogramm, das wahrscheinlich ins kommende Jahr hineinreichte, dann sogar prozyklisch wirken würde. Ein solches Programm hätte bereits früher kommen müssen. Bundeskanzler Schröder hat in seiner Regierungserklärung denn auch von einem solchen Programm Abstand gehalten: Die von ihm angekündigten 2 Mrd Euro Verkehrsinfrastruktur-Ausgaben über vier Jahre stellen kein Ausgabenprogramm mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung dar.

4. Wie kann man sich bei diesem Verschiebebahnhof von staatlichen Finanzströmen positive Wachstumswirkungen versprechen? Dies ist schon möglich, wenn etwa staatliche Eingriffe ins Wirtschaftsleben durch eine Rücknahme von Subventionen und Abgaben verringert würden. Die Staatsquote würde durch solch ein Maßnahmenpaket tendenziell sinken. Leider fällt hier das Job-Gipfel-Paket zu klein aus.

Dagegen zeigen die Lockerungen beim rigiden Anti-Diskriminierungsgesetz und die geplanten Erleichterungen von Firmengründungen in Deutschland einen Weg, wie Reformen fiskalisch kostengünstig durchgeführt werden können. Mit diesen Entbürokratisierungen wird der Kurs fortgesetzt, der durch die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten sowie die Lockerung der Handwerksordnung begonnen wurde. Ein gutes Zeichen ist auch die geplante Wiederaufnahme der Föderalismusverhandlungen.

Bei wirtschaftspolitischen Reformen ist genau so wichtig wie die erreichten Ergebnisse das psychologische Moment, das hierdurch bei Investoren und Konsumenten ausgelöst wird. In einer von Massenmedien dominierten Erwartungsbildung bei privaten Haushalten ist es für die ökonomische Befindlichkeit der Bürger wesentlich, wie politische Beschlüsse bewertet werden. Die Fortsetzung des Reformkurses mit dem Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist zwar die entscheidende Botschaft des Jobgipfels. Aber ein wirkliches Aufbruchssignal zu setzen ist der Regierung während der gesamten Agenda 2010-Bemühungen nie geglückt. Dort, wo Erwartungen in bare Münze umgesetzt werden, an den Finanzmärkten, konnte man die Signalwirkung der gestrigen Beschlüsse am besten verfolgen: Die Märkte haben nicht reagiert.

5. Das bereits Erreichte als erfolgreiche erste Reformschritte in die richtige Richtung zu loben, bedeutet nicht, dass dies schon ausreichte. Vielmehr hilft es, einzuordnen, bei welcher Etappe im Reformmarathon sich Deutschland befindet. Ein kleineres Stück des Weges liegt schon hinter uns: Steuersenkungen, eine umfassende Rentenreform, eine halbe Arbeitsmarktreform (die andere Hälfte besteht in weiteren Flexibilisierungen bei Löhnen und Bestimmungen), moderate Lohnabschlüsse sowie erste Schritte zu Deregulierung und Entbürokratisierung hat es bereits gegeben. Das ist nicht wenig. Was die bisherige Reformtaktik einen großen Teil ihrer Wirkung gekostet hat, ist ihre mangelnde Koordinierung. Die deutsche Wirtschaftsreformen wirken nicht wie ein methodisches Abarbeiten eines kohärenten Reformwerks, sondern eher wie ein planloses Herumwerkeln an eher zufällig im politischen Prozess sich auftuenden Reformchancen. Das wirkt wie eine aufgeregte Gruppe von Katastrophenhelfern, die durcheinanderlaufend das brennende Haus mit einzelnen Wassereimern zu löschen versuchen, anstatt gemeinsam den großen Wasserschlauch anzuschließen. Dieser Vergleich soll die bisherigen Anstrengungen nicht kleinreden, soll aber verdeutlichen, dass Kommunikation und Erwartungsbildung für den Erfolg von Reformen genau so wichtig sind wie die Reformmaßnahmen selbst.

6. Unmittelbare Auswirkungen auf unsere Konjunkturprognose hat dieses Reformpaket nicht. Erstens müssen die Vorhaben erst noch im politischen Prozess konkretisiert werden. Dass dies kein einfaches Unterfangen ist, zeigen die Reaktionen am heutigen Tag: Regierung und Oppositionen sehen jeweils den anderen in der Pflicht, konkrete Vorlagen zu erarbeiten. Sind die Maßnahmen umgesetzt, wird es eine Zeit dauern, bis sich positive Wirkungen entfalten. Schnelle Erfolge waren ohnehin nur über die psychologische Schiene zu erhoffen. Mit Sicherheit kam im Ausland das erwünschte Signal an, dass in Deutschland der Reformprozess weitergeht, dass Steuern gesenkt werden. Doch für die Bürger im Inland verhallt das Signal. Statt ein großes Paket zu schnüren und damit eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen, hat man sich wieder darauf beschränkt, einzelne, durchaus sinnvolle Reformbausteine herauszupicken, ohne sie in ein übergreifendes Gesamtkonzept einzubetten.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von rund 130 Mrd. Euro gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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