Kommentar
14:15 Uhr, 15.09.2021

Deutsche Bank löscht explosive Studie über Nacht

Die Deutsche Bank hat über Nacht eine äußerst kritische Studie zum Finanzstandort Deutschland nur wenige Stunden nach ihrem Erscheinen gelöscht. Was stand in dem brisanten Dokument?

Der Finanzstandort Deutschland hat u.a. mit dem Wirecard-Skandal und den Cum-Ex-Geschäften in den vergangenen Jahren etliche handfeste Skandale hinter sich. Im Vergleich dazu ist eine Studie der Deutschen Bank, die in der Nacht zu Mittwoch nur wenige Stunden nach ihrem Erscheinen wieder gelöscht wurde, natürlich kein echter Skandal, sondern bestenfalls eine Kuriosität. Und doch zeigt der Umgang mit der Studie, mehr noch als die Studie selbst, wo die Probleme am Finanzstandort Deutschland vielleicht liegen könnten.

GodmodeTrader hatte Einblick in die Studie mit dem Titel "Reformagenda für den Finanzplatz Deutschland – Viel Luft nach oben, dringender Handlungsbedarf". Obwohl die Deutsche Bank in der Nacht zu Mittwoch offenbar alles daran setzte, die Spuren zu dem Dokument zu beseitigen, hatten findige Internet-User sie längst abgespeichert.

In der später zurückgezogenen Studie ging Deutsche-Bank-Analyst Jan Schildbach hart ins Gericht mit dem Finanzplatz Deutschland, der in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich deutlich zurückgefallen sei. Auch wenn die Studie kaum neue Informationen enthält und vor allem seit langem bekannte Kritikpunkte zusammenfasst und artikuliert, so ist sie doch schon allein deshalb interessant, weil sie dies in einem äußerst kritischen Tonfall tut.

Es gebe weltweit in den Industrieländern wohl kaum eine Finanzaufsicht, "unter deren Augen in den letzten 15 Jahren derart viele Finanzskandale stattgefunden haben und bei denen die Finanzaufsicht insgesamt ein so schlechtes, ja teilweise dysfunktionales Bild abgegeben hat, wie die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)", heißt es in der Studie. Schlimmer noch: Die BaFin und die Bundesbank hätten bei der Aufdeckung der Skandale kaum eine Rolle gespielt, vielmehr seien bekannte Fakten von den Behörden beharrlich ignoriert worden.

Die Liste der Skandale sei lang, angefangen mit einer "Vielzahl gescheiterter Banken in der Finanzkrise", über "Cum-Ex-Geschäfte, die den deutschen Steuerzahler im Wesentlichen zwischen 2007 und 2012 mehrere Milliarden Euro gekostet haben dürften", "verschiedene Vorwürfe gegen deutsche Banken mit Blick auf Geldwäsche", "den Wirecard-Skandal, die erste Insolvenz eines Dax-Konzerns, die Anleger viele Milliarden Euro kostete" und "die Greensill-Insolvenz, die allein hierzulande bei einer Reihe von Kommunen, anderen Anlegern und über den Einlagensicherungsfonds auch bei den Banken zu Verlusten in Höhe von mehreren Milliarden Euro geführt haben dürfte".

Die offensichtliche Ahnungslosigkeit der deutschen Aufsichtsbehörden führt die Studie unter anderem auf Mentalitätsprobleme und mangelnde Qualifikation der Mitarbeiter zurück. "Offensichtlich fehlt es der BaFin an einem Selbstverständnis, das auch kriminalistischen Spürsinn und echte Prüferqualitäten umfasst („mehr Biss“), um mögliche Verstöße aufzudecken und rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zu sehr hat die BaFin in den letzten Jahren den Eindruck
erweckt, sich vor allem an Paragraphen und Formalitäten zu orientieren, statt mit einem gesunden Misstrauen Auffälligkeiten nachzugehen und insgesamt eine aktivere Rolle bei der Kontrolle der Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen zu spielen."

Unter anderem beim "ökonomischen Sachverstand", bei der "praktischen Erfahrung in Banken und an den Finanzmärkten" und bei der Auslandserfahrung sieht der Studienautor Schildbach "erhebliche Defizite" bei den Mitarbeitern der deutschen Finanzaufsicht. Die Führungsebene der BaFin sei von Juristen dominiert, die überwiegend keine Auslandserfahrung hätten, obwohl die Finanzbranche eine der internationalsten Branchen überhaupt sei. Die Hälfte der BaFin-Direktoriumsmitglieder stamme sogar aus dem Bundesland, in dem die BaFin ihren Hauptsitz (Bonn in Nordrhein-Westfalen) hat.

Die Studie benennt zahlreiche weitere Kritikpunkte, die im Rahmen dieses Artikels allerdings nur kurz angerissen werden sollen. So seien die Strukturreformen, die in anderen Ländern durchgeführt wurden, in Deutschland weitgehend verschlafen worden. "Am deutschen Bankensystem sind die Reformen, die viele westliche Länder in den vergangenen Jahrzehnten vorgenommen haben, völlig vorbeigegangen." Dies habe zu einem "beispiellosen Bedeutungsverlust" deutscher Banken geführt, so die Studie. Die Unternehmensbesteuerung in Deutschland sei seit über einem Jahrzehnt nicht modernisiert worden, obwohl "quasi im Rest der Welt die Steuern gesenkt wurden". Gewinne von Kapitalgesellschaften würden in Deutschland mit 30 Prozent besteuert, im internationalen Vergleich hingegen nur noch mit 22 Prozent. Dies belaste deutsche Unternehmen insgesamt und speziell auch den Finanzsektor. Durch den Brexit habe außerdem die Fragmentierung in Europa weiter zugenommen, weshalb der Kontinent gegenüber der globalen Konkurrenz den Anschluss verliere. Falsche Akzente und fehlende Aktivität werden in der Studie auch in Bezug auf die Förderung der privaten Altersvorsorge gesehen. "Statt (...) die staatliche Förderung der Kapitalanlage auszuweiten, haben die Bundesregierungen der letzten zwei Jahrzehnte Freibeträge massiv gekürzt und die Steuerfreiheit bei langfristigen Aktienanlagen abgeschafft", beklagt sich Studienautor Jan Schildbach. Eine nennenswerte Besserung erwartet der Autor der Studie auch für die Zeit nach der Bundestagswahl nicht.

Das eigentliche Problem an der Studie ist nicht (die in Teilen sicher überspitzte und rhetorisch aufgeladene) Kritik am Finanzplatz Deutschland und allem, was mit ihm zusammenhängt. Problematisch erscheint eher, dass die Studie über Nacht zurückgezogen wurde und dies von der Deutschen Bank auch noch mit "der in Inhalt und Form unangemessenen Kritik an Aufsichtsbehörden und politischen Entscheidungsträgern" begründet wird, wie finanz-szene.de unter Berufung auf eine Auskunft der Bank berichtet. Die vom Autor geäußerten Meinungen "werden weder von der Deutschen Bank geteilt noch wurden sie von der Führung von Deutsche Bank Research autorisiert", heißt es.

Mehr noch als der Inhalt der zurückgezogenen Studie zeigt der Umgang mit dem Schriftstück, wo die Schwierigkeiten des Finanzstandorts Deutschland vielleicht liegen könnten. Mangelt es vielleicht an Problembewusstsein, an einem souveränen und konstruktiven Umgang mit Kritik und an Bereitschaft zum Dissens? Ist vielleicht ein Mentalitätswandel nötig? Die Studie legt den Finger in die Wunde. Gerade deshalb, weil sie über Nacht gelöscht wurde.


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9 Kommentare

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  • Sascha Huber
    Sascha Huber Experte für Kryptowährungen

    Die SchnarchFin hat halt genug damit zu tun irgendwelche Börsenbriefe mit 20 Abonnenten zu belästigen. Da kann man Wirecard schon mal übersehen. Die Kritik trifft voll ins Schwarze, aber natürlich möchte Sparbuch-Olaf dies vor der Bundestagswahl nicht lesen. Weil die Deutschen den wohl wählen, hat die Deutsche Bank in vorauseilendem Gehorsam die Studie zurückgezogen, was aus ihrer Sicht richtig ist. Das ändert aber nichts an den Fakten. Der Trottel war halt nicht Trump, der Trottel ist Sparbuch-Olaf. Das muss man mal so klar sagen.

    09:39 Uhr, 16.09. 2021
  • TomCat
    TomCat

    Warum soll der Finanzplatz jetzt besser aussehen, als die anderen Plätze. Deutschland verkommt zum Schrotthaufen. Marode Infrastruktur, digitales Ödland, you name it.

    07:33 Uhr, 16.09. 2021
  • 928-AMG
    928-AMG

    Paßt zum gesamten Zustand der sozialen, staatlichen und technischen Infrastruktur in Deutschland. Auch die Bafin steckt noch im geistigen Zeitalter der 80er Jahre mit Faxgeräten.

    04:34 Uhr, 16.09. 2021
  • mkgeld
    mkgeld

    Die IT-Leiterin der DB hatte das richtig gesagt das sie sowas wie hier bei DB noch die erlebt hätte. Das Problem haben auch andere große Banken. Da laufen immer noch Cobolprogramme und keiner kann sagen warum und für was die Teile noch laufen. Keine Doku und die Programmierer sind schon lange auf dem Friedhof. Die Zahlen die an die BaFin gehen reden wir nicht über Qualität aber die BaFin ist selbst Schuld wer einmal Meldewesensoftware gebaut hat und sich fachlich damit auseinander setzen musste kommt zu dem Schluss Was wollen die mit dem Datensalat und die wirklich wichtigen Dinge sind da gar nicht enthalten. Alles nur Datenfriedhöfe um das Gewissen zu beruhigen. Deswegen erwarte ich weitere Überraschungen in dem Sektor.

    23:31 Uhr, 15.09. 2021
  • JainZhar
    JainZhar

    Ich kann mir vorstellen, was der Grund war. Vielleicht ist dem ein oder anderen aufgefallen, das die DB an vielen dieser Skandale selbst beteiligt war, dessen fehlende Aufklärung sie jetzt bemängeln.

    15:17 Uhr, 15.09. 2021
  • Trival
    Trival

    Autsch!
    Und uns wird doch immer die große Meinungsfreiheit suggeriert. Gilt wohl auch nur solange es nicht unbequem wird. Dank an den Autor an alle die so schnell reagiert haben um sowas auch mal zu kommunizieren.

    15:06 Uhr, 15.09. 2021
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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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