Kommentar
13:31 Uhr, 28.11.2014

Der „kastrierte“ Konjunkturzyklus

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Die Binnenkonjunktur bleibt ein stabilisierender Wachstumsfaktor für die deutsche Volkswirtschaft. So ist der GfK Konsumklimaindex das zweite Mal in Folge gestiegen. Offensichtlich haben die Befürchtungen bezüglich des geopolitischen Konflikts mit Russland an konsumhemmender Wirkung eingebüßt. Grundsätzlich führt die gute Beschäftigungslage zu einer ebenso steigenden Anschaffungsneigung. Sicherlich fungieren auch die immer geringer werdenden Sparzinsen als Konsumkatalysator. Dieser Effekt wird auch 2015 für eine stabile deutsche Binnenkonjunktur sorgen.

Stimmungswende in der deutschen Industrie eingeleitet?

Selbst das deutsche Verarbeitende Gewerbe blickt wieder positiver in die Zukunft. Der ifo Geschäftsklimaindex hat sich nach sechsmaligem Rückgang im November aufgehellt. Auch die Subindices „ifo Geschäftslage“ und „ifo Geschäftserwartungen“ zeigen sich erholt.

Noch ist es zu früh, von einer Trendwende zu sprechen. Dazu müsste der ifo Geschäftsklimaindex noch mindestens einmal, besser zweimal steigen. Die Voraussetzungen hierfür haben sich jedoch verbessert. Niedrige Energiepreise - Rohöl der Sorte Brent liegt mit ca. 72 US-Dollar pro Barrel auf dem niedrigsten Niveau seit vier Jahren - und ein sich seit Frühjahr abschwächender Euro sorgen für Margenverbesserungen in der deutschen (Export-)Industrie. Der Ukraine-Konflikt bleibt ein Handicap insbesondere für den deutschen Mittelstand. Doch sorgt die Weltwirtschaft mit Blick auf die robuste US-Wirtschaft und die nachhaltig stabilen Konjunkturperspektiven in Asien immerhin für Entspannung.

Ein ordentliches Wirtschaftswachstum sieht anders aus

Setzt man die vom ifo Institut ermittelte Geschäftslage und -erwartungen des deutschen Verarbeitenden Gewerbes für November 2014 zueinander in Beziehung, so befindet sich die deutsche Wirtschaft auf Stimmungsebene noch immer knapp in der Abschwung-Phase. Eine leichte Kehrtwende scheint sich jedoch abzuzeichnen. 2015 dürfte die deutsche Wirtschaft mit 1,4 gegenüber 1,1 Prozent in diesem Jahr wachsen. Eine Rezession ist damit zwar nicht zu erwarten. Dennoch kann man jedoch mit diesem Wirtschaftswachstum nicht zufrieden sein.

Kick-Start der Euro-Konjunktur, aber wie?

Das erklärte EU-Motto ist: Nie mehr Abschwung oder Rezession

Oberste Priorität hat daher für die EU, künstlich in die vier Phasen eines typischen Konjunkturzyklus - Abschwung, Rezession, Aufschwung, Boom - einzugreifen. Der Zyklus soll nicht mehr mustergültig der Reihe nach ablaufen, sondern „kastrierend“ die Phasen Abschwung oder sogar Rezession ausfallen lassen. Denn in der Eurozone würden diese Phasen die bestehenden Deflationstendenzen und auch sozialpolitischen Probleme potenzieren. Im schlimmsten Fall könnte ein erneutes Rezessionstrauma wie 2009 zu Zerfallserscheinungen in der Eurozone führen. Bewegt sich also die Euro-Konjunktur auf Abschwungs- oder Schrumpfungspfad, wird fiskalpolitisch mit schuldenfinanziertem Wirtschaftswachstum künstlich entgegengewirkt.

Ein Investitionsstandort ist erst dann attraktiv, wenn Unternehmen von sich aus, freiwillig, ohne Animation investieren

EU-Investitionsfonds oder Planwirtschaft ersetzen keine Marktwirtschaft

In diese Richtung zielt der von EU-Kommissionpräsident Juncker kürzlich vorgestellte EU-Investitionsplan, wonach 21 Mrd. Euro aus EU-Garantien und Mitteln der Europäischen Investitionsbank (EIB) bis 2017 einen 15-fachen Hebel an privaten Investitionen von 315 Mrd. nach sich ziehen sollen.

Junckers Idee, Unternehmen und Finanzdienstleister zu Investitionen auch in den prekären Euro-Staaten zu animieren, indem man ihnen die Verlustrisiken durch den EU-Investitionsfonds teilweise abnimmt, geht am eigentlichen Problem völlig vorbei. Diese planwirtschaftliche Entwicklungshilfe wäre gar nicht nötig, wenn die Strukturprobleme in den Euro-Ländern in den letzten Jahren konsequent behoben worden wären. Neben der schwierigen, höchst bürokratischen Umsetzung ist das der Grund, warum diese Maßnahmen keine großen Früchte tragen werden. Die Standortqualitäten bieten dafür nicht den nachhaltig fruchtbaren Nährboden. Nicht zuletzt ist dieser Investitionsfonds ein weiteres Alibi für eine reformfaule Wirtschaftspolitik.

Das Ende vom Lied wird sein, dass die EU-Länder nicht um die Aufnahme direkter neuer Schulden zur direkten staatlichen Konjunkturförderung herum kommen werden. Aber auch hier hat Juncker bereits den Boden bereitet: Er hat beschlossen, die EU-Mitgliedsländer mit anhaltend hohen Haushaltsdefiziten nicht mit Sanktionen zu belegen. Länder wie Frankreich oder Italien haben also vorerst für das Überschreiten ihrer Schuldengrenzen nichts zu befürchten.

QEE (Quantitative Easing Europe)

Immer mehr wandelt sich die ehemalige Stabilitätsunion zu einer Schuldenunion von EZB’s Gnaden

Tatsächlich stimmen die neuesten, deutlich revidierten Konjunkturprognosen der OECD wenig optimistisch. Danach wächst die Eurozone 2015 nur noch mit 1,1 statt zuvor geschätzten 1,7 Prozent und stellt laut OECD sogar ein Risiko für die Weltwirtschaft dar. Diese Prognosen werden natürlich als willkommenes Alibi für schuldenfinanzierte staatliche Konjunkturprogramme betrachtet.

Rückgrat dieser Schuldenfinanzierung ist die EZB. Ihr Präsident Draghi entspricht diesen Erwartungen immer mehr. Regelmäßig betont er seine Bereitschaft, die schwache Inflations- und Konjunkturentwicklung in der Eurozone „ohne unnötige Verzögerungen“ auch über den Aufkauf von Euro-Staatsanleihen zu beheben. An den Staatsanleihemärkten der Eurozone findet dieser geldpolitische Blankoscheck seinen Niederschlag in Form neuer Allzeittiefs bei 10-jährigen Renditen.

Energiepreisverfall macht Deflationsbekämpfung schwierig

Bei der Deflationsbekämpfung bereitet der EZB der stark fallende Ölpreis große Sorgen. Er hat einen grundsätzlich hohen deutlichen Einfluss auf die Preissteigerung. Die großflächige Schieferölförderung z.B. in den USA hemmt die früher große Preissetzungsmacht der OPEC dramatisch. Amerika ist auf dem Weg, der größte Ölproduzent der Welt zu werden. In den USA belaufen sich die Kosten der Förderung auf bis zu etwa 70 gegenüber denen der OPEC-Staaten von durchschnittlich 100 US-Dollar pro Barrel. Die OPEC scheint resigniert zu haben, denn auf Produktionskürzungen konnte sie sich bislang nicht einigen, wohl wissend dass eine alternative Ölversorgung möglich ist.

Die Ölpreisentwicklung verleiht der EZB eine weitere Rechtfertigung, mit ihrer ultralockeren Geldpolitik inflationierend gegenzuhalten.

GRAFIK DER WOCHE: Preisentwicklung Rohöl (Brent) und Verbraucherpreisinflation der Eurozone, jeweils in Prozent zum Vorjahr

Auch China setzt die Geldpolitik ein

Mit der ersten Zinssenkung der People’s Bank of China seit 2012 von sechs auf 5,4 Prozent und dem Aussetzen ihrer Liquiditätsrückführung macht auch Peking geldpolitisch deutlich, dass man bei der Transformation der Volkswirtschaft zu einer nachhaltig wachsenden Binnenwirtschaft keine konjunkturellen Reibungsverluste riskieren will.

Die geldpolitische Stabilisierung des chinesischen Verarbeitenden Gewerbes zur Vermeidung eines hard landing mit unkalkulierbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen unterstützt nicht zuletzt die gesamte Weltwirtschaft.

Deutschland könnte deutlich mehr für seine Wirtschaft tun

Es kann nicht sein, dass sich der ein oder andere deutsche Politiker mit einer schwarzen Null im Bundeshaushalt 2015 ein Denkmal setzen will. Perspektivisch muss es darum gehen, die alte, teilweise marode infrastrukturelle Basis in Deutschland großflächig auf Weltniveau zu heben. Stolz darauf zu sein, der wirtschaftlich Einäugige unter den Blinden in der Eurozone zu sein, ist angesichts der Globalisierung mehr als einfältig. Es geht um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber unseren wirklichen Konkurrenten in China, Südkorea oder den USA. Das geplante deutsche Investitionsprogramm über 10 Mrd. Euro zwischen 2016 und 2018 greift vor diesem Hintergrund viel zu kurz. Wir brauchen Infrastrukturinvestitionen für Brücken, Straßen, Netze, für die konsequente Energiewende aber ebenso für Forschung, Entwicklung und Bildung im hohen dreistelligen Milliardenbereich. Politiker sollten sich erinnern: Die solide deutsche Infrastruktur war immer die entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung Deutschlands seit dem II. Weltkrieg.

Im Augenblick lassen sich neue Staatsschulden zu den günstigsten Zinsen aller Zeiten aufnehmen. Aktuell ist sogar die offizielle Inflation höher als die an der Umlaufrendite gemessene durchschnittliche Verzinsung deutscher Staatsanleihen. Der Bundesfinanzminister erhält das Geld real also für mindestens umsonst. Bedingung für diese Staatsverschuldung muss natürlich sein, dass die Maastricht-Neuverschuldungskriterien eingehalten und die öffentlichen Mittel nicht für Staatskonsum ausgegeben werden.

Das volkswirtschaftlich kleinkarierte Kaputtsparen nimmt der deutschen Volkswirtschaft über Multiplikatoreffekte wie Arbeitsplätze, Einkommenszuwächse und Konsum viel Wachstumspotenzial, das es aber erst ermöglicht, über auch steigende Steuereinnahmen eine nachhaltig solide Haushaltsführung - und nicht nur vorübergehend - zu betreiben.

Übrigens könnte man an Infrastrukturprojekten auch private Investoren - wie dies bereits in anderen Ländern der Fall ist - beteiligen. Was ist denn als Anlageprojekt plausibler als die finanzielle Beteiligung an z.B. Autobahnen oder Brücken, die der Anleger selbst befährt? So ließe sich sogar die Maut attraktiver gestalten.

Konjunkturzyklische Aktien wieder gefragt

An den Aktienmärkten ist die konjunkturelle Stimmung gut. Niederschlag findet diese Einschätzung in einer relativen Stärke des MDAX - der deutsche Aktienindex mit schwerpunktmäßig konjunktursensitiven Mittelstandswerten - gegenüber dem Leitindex DAX. Diese Entwicklung kann man sogar als validen Frühindikator für die Weltwirtschaft interpretieren. Hierin kommt zum Ausdruck, dass sich diese mit den USA und Asien sowie schuldengetrieben in der Eurozone stabil entwickelt. Immerhin schätzt der IWF das Weltwirtschaftswachstum für 2015 auf 3,8 nach 3,3 Prozent in diesem Jahr ein.

Grundsätzlich haben konjunkturförderliche Phasen niedriger Leitzinsen einen positiven Effekt auf die Wertentwicklung konjunkturzyklischer Aktien. An eine Zinswende in der Eurozone ist nicht zu denken. Insofern ist im nächsten Jahr mit einer Fortsetzung der Outperformance von zyklischen Aktien auszugehen.

Aktuelle Marktlage

Die allgemeinen Krisenfaktoren IS-Terror und Ukraine-Russland-Konflikt spielen an den Finanzmärkten derzeit keine dominierenden Rollen.

Die Aktienmärkte der Eurozone haben die Kraft der drei Herzen. Erstens bleibt die europäische Geldpolitik nicht nur ultralocker, sie wird über den wahrscheinlichen Aufkauf von Staatsanleihen sogar noch offensiver und macht damit Alternativanlagen im Zinsbereich noch unattraktiver. Zweitens wird diese freizügige Geldpolitik immer mehr Mittel zum Zweck der Euro-Wirtschaftsstimulierung in Form schuldenfinanzierter Konjunkturprogramme eingesetzt. Drittens erhöhen sich die Margen der Unternehmen über die fortgesetzte Euro-Abwertung und günstige Energiepreise.

Damit kommen insbesondere deutsche konjunktursensitive und exportorientierte Aktien über verbesserte Umsatz- und Gewinnperspektiven zunehmend in den Genuss auch von fundamentalen und nicht nur geldpolitischen Argumenten.

Seit Anfang 2014 sind Aktien aus Spanien und Italien mit Kursgewinnen von gut 10 und 6 Prozent die Top-Performer. Immerhin konnten deutsche Aktien ihre zwischenzeitlichen Jahresverluste wieder ausgleichen. Eine Fortsetzung dieses Trends ist auch im Jahr 2015 zu erwarten.

Charttechnik

Aus charttechnischer Sicht wartet beim DAX auf dem Weg nach oben der nächste Widerstand am bisherigen Allzeithoch bei 10.050 Punkten. Im Falle einer Korrektur findet der DAX Unterstützungen bei 9.891, 9.800 und danach am seit Juni bestehenden Abwärtstrend bei rund 9.785 Punkten. Knapp darunter liegt eine weitere Haltelinie am 200-Tages-Durchschnitt bei aktuell 9.517 Punkten. Darunter müssen weitere Abgaben bis 9.400 und im Extremfall bis zum Auffangbereich zwischen 9.200 und 9.150 Punkten einkalkuliert werden.

Und was passiert in der KW 49?

In den USA verdeutlicht ein komfortabel in expansivem Terrain liegender ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe die robuste Verfassung der US-Wirtschaft. Diese gesunde Wirtschaftslage spiegeln auch die verbesserte Lage am US-Arbeitsmarkt und der Konjunkturbericht der US-Notenbank (Beige Book) wider.

In der Eurozone liegt der Anlegerfokus auf der letzten Zinssitzung der EZB in diesem Jahr. Es dürfte bei der offensiven Rhetorik von Mario Draghi bleiben, bevor die Notenbank im nächsten Jahr wohl den Aufkauf von Euro-Staatsanleihen beschließt.

In Deutschland weisen erneut freundlichere Auftragseingänge in der Industrie auf eine konjunkturelle Stabilisierung hin.

HALVERS WOCHE: Die Abschaffung des Bargelds - Illusion oder Perspektive?

Die Staatsschuldenkrise hat die internationale Geldpolitik durch dirigistische Zinsdrückungen, Liquiditätsschwemmen, Übernahmen von Ausfallrisiken und Aufkäufen von Staatsanleihen - demnächst auch in der Eurozone - vermeintlich gelöst. Und auch die Konjunkturprobleme versucht man durch kräftige staatliche Neuverschuldung, deren Zeche die Notenbanken bezahlen, in den Griff zu bekommen. Denn da sich die Wirtschaftspolitiker der Euro-Länder bei Reformen zur Standortverbesserung und Wettbewerbssteigerung vornehm zurückhalten und insofern Unternehmensinvestitionen, Exporte und Konsum nur mäßig plätschern, aber nicht ordentlich sprudeln, ist Vater Staat gezwungen, bei der Konjunkturstützung kräftig nachzuhelfen.

Geldpolitik, die früher noch Inflation bekämpfte, kämpft heute tatkräftig dafür

Hier haben wir es mit einem bilderbuchartigen Zirkelbezug zu tun: Mit neuen Staatsschulden soll für Wirtschaftswachstum gesorgt werden, das dann über Steuereinnahmen wiederum die Staatsschulden bedienen soll. Und damit die Staatshaushalte nicht wie Kartenhäuser zusammenbrechen, sorgt die EZB mit ultraniedrigen Zinsen und damit einem tragbaren Zinseszinseffekt für lächelnde Gesichter von Euro-Finanzministern. Nicht zuletzt geht es der EZB zinspolitisch um die unbedingte Verhinderung von Deflation und die ultimative Schaffung von Inflation. Denn während Deflation Schuldzinsen zu einer untragbaren Belastung macht, frisst Inflation, am liebsten solche, die oberhalb der Schuldverzinsung liegt, Staatsverschuldung auf.

Daher wundert es nicht, wenn EZB-Chef Draghi mittlerweile öfter als das Amen in der Kirche und mit viel Schmackes von Konjunktur- und Inflationsbelebungspolitik spricht. Er winkt nicht mit dem Zaunpfahl, er winkt mit dem ganzen Zaun. Nennen wir es Draghis Eurovision des üppigen und billigen Geldes. Auf der EZB mag noch Deutsche Bundesbank drauf stehen, es ist aber längst US-Notenbank drin. Ich sehe nicht, wie die EZB jemals wieder aus dieser schuldenfinanzierenden, niedrigzinssubventionierenden Geldpolitik entkommen will, ohne dem Euro-Finanzsystem den Todesstoß zu versetzen.

Negative Zinsen sind nötig, in unserem Papiergeldsystem aber nicht möglich

Die Euro-Privatwirtschaft zeigt sich von Draghis Zins-Sorgenpause aber offensichtlich nicht beeindruckt. Weiterhin sparen EU-Bürger massive Geldberge bei den Banken an, betreibt die Industrie eine investitionsschädliche Liquiditätshaltung.

Damit auch der Konsum und die Investitionen volkswirtschaftlich in die Gänge kommen, müsste die EZB ihre Leitzinsen noch weiter, auch kräftig unter null fallen lassen. Den Bürgern und Unternehmen der Eurozone sollte so die Lust am Sparen gründlich vermiest werden. In unserem Papiergeldsystem ist bei null aber Schluss mit zinspolitisch lustig. Ansonsten würden die Banken die unterirdischen EZB-Zinsen flächendeckend an die Sparer weitergeben. Und dann würde unser Bargeldsystem untergehen. Denn die Anleger würden ihre Spar-Euros nur noch als Bargeld im Keller oder unter der Matratze halten, da sie dort keinen Zinsnachteil zu befürchten hätten bzw. in den Genuss eines Zinsvorteils gegenüber einer Spareinlage bei der Bank kämen. Der Bank Run, der Ansturm auf die Banken, die Schlacht um das wenige Bargeld, das etwa nur noch fünf Prozent der gesamten Geldmenge des Euro-Währungsraums ausmacht, würde zur Insolvenz des Bankensystems führen.

Sind damit negative Zinsen für alle Zeit ausgeschlossen?

Der volkswirtschaftliche Charme von flächendeckend negativen Zinsen

Nicht so schnell! Es bleibt dabei, dass die Zinsen der EZB eigentlich weiter fallen müssten. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise hatte die US-Notenbank tatsächlich überlegt, Negativzinsen von vier oder fünf Prozent einzuführen, damit die Menschen ihr Geld ausgeben, um die Konjunktur anzukurbeln. Auf diese Weise könnte allein in Deutschland eine Billion Euro Sparguthaben sofort in den Konsum gelangen. Was man da für eine ökonomische Wohlfühlwelle lostreten könnte. Und selbst wenn die Bürger und Unternehmen konsum- und investitionsunwillig blieben, würden sie vermutlich in Staatspapiere umschichten, solange diese weniger negative Zinsen als Sparprodukte bieten würden. Dann gibt eben der Staat Geld anstelle der Bürger zur Konjunkturstützung aus. Das wird er gerne tun, denn er zahlt ja weniger zurück als er ausgegeben hat. Halleluja!

Was nicht passt, wird passend gemacht

Unser Papiergeldsystem ist also das entscheidende Hindernis, die Zinsen der Notenbanken auch unter die Nullmarke zu senken. Also brauchen wir den nächsten Strukturbruch der Geldpolitik: Das Bargeld muss abgeschafft werden. Dann lassen sich Negativzinsen auch ohne die Gefahr eines Bank Run durchsetzen.

Liebe Anlegerinnen und Anleger, denken sie doch bitte auch an die vielen Zusatznutzen. Steuerflucht, Drogenkriminalität und generell Schwarzarbeit wären mausetot. Man würde also viele Fliegen mit einer Klappe schlagen. Na, wenn das kein Mega-Alibi für Bargeldlosigkeit ist.

Sie halten das für utopisch? Hätten Sie vor 2008 gedacht, dass unser Finanzsystem schulden-, geld- oder stabilitätspolitisch dort steht, wo es heute steht? In der (Geld-)Politik ist es doch immer dasselbe: Zunächst sind die Dinge utopisch, unglaublich, unmöglich und am Ende alternativlos, logisch, selbstverständlich.

Jetzt erst recht: Den Zinseszinseffekt durch den Dividendendividendeneffekt ersetzen

Bargeldlosigkeit droht uns nicht heute, morgen oder übermorgen. Da die geldpolitische Rettung des Finanzsystems aber weiter gehen wird, weil sie weiter gehen muss, würde ich überübermorgen nicht ausschließen wollen.

Ich habe mein Zinsvermögen längst auf ein erträgliches Maß gestutzt. So erspare ich mir auch die zukünftig noch möglichen Streiche der Geldpolitik. Und an einem negativen Zinseszinseffekt bei Zinsanlagen, der mich nicht nur real, sondern auch nominal verarmen lässt, habe ich schon gar kein Interesse. Zum Glück gibt es ja Ersatzbefriedigungen. Alternativ nutze ich den positiven Dividendendividendeneffekt bei Aktien: Die hohen Ausschüttungen lege ich immer wieder an und an und an…

VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK

KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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