Kommentar
16:02 Uhr, 01.10.2004

Der Handel von Pivot-Punkten

Von Uwe Wagner

Futures-Händler kennen sie längst - die so genannten Pivot-Punkte. Ursprünglich fanden sie Anwendung an den Commodity-Märkten, mittlerweile erobern sie sich aber mehr und mehr ihren festen Platz bei den Financial Futures. Pivot Punkte basieren auf einem Preiszonenansatz, der von Dr. Bruce Gould entwickelt und im Laufe zunehmend verfeinert wurde. Während die Preiszonen ursprünglich auf die Kursverläufe der letzten zwei bis drei Jahre berechnet wurden, basiert das praktische Konzept der Pivot-Punkte auf der Errechnung von Preiszonen im Tageschart auf der Grundlage der Vortageskurse. Ziel ist es hierbei, Kursniveaus zu definieren, die intraday als potenzielle Widerstandsbereiche genutzt werden können, sowie Kursniveaus als Unterstützungsbereiche zu bestimmen.

Im Folgenden wollen wir das Konzept des Handels nach Pivot-Punkten im FDAX genauer analysieren und auf seinen praktischen Nutzen hin abklopfen. Die Frage die sich stellt ist: "Was ist dran an den klassischen Regeln des Pivot-Tradings?"

1. Berechnung der Pivot-Punkte

Die Berechnung des Pivot-Punktes (PP) und der sich daraus ableitenden Widerstands- und Unterstützungspunkte basiert auf folgender Formel:

PP = (Hoch gestern + Tief gestern + Schlusskurs) / 3
(es gibt auch eine Version, in die der Eröffnungskurs mit einfließt)

Widerst. 1 = ((2 * Pivot-Punkt) - Tief gestern)
Widerst. 2 = (Pivot-Punkt + Hoch gestern - Tief gestern)
Unterst. 1 = ((2 * Pivot-Punkt) - Hoch gestern)
Unterst. 2 = (Pivot-Punkt - Hoch gestern + Tief gestern)

Klassischerweise bevorzugen Day-Trader Kurse oberhalb der Widerstände 1 und 2 zu verkaufen (z.B. dem Aufbau von Short-Positionen), bzw. bei Unterschreiten der Unterstützungen 1 und 2 taktisch long zu gehen. Wir wollen nachfolgend diese gängige und oft zitierte Regel testen.

2. Beschreibung des Handelsregelwerkes

Zwischen Theorie und Praxis liegt jedoch immer das Problem der tatsächlichen Handelbarkeit. Das bedeutet konkret, das die Aussage "Wir gehen short bei Überschreiten der ersten Widerstandsebene" uns so erst einmal gar nichts nützt, da sie nichts über das zu händelnde Risiko ausdrückt. Wir müssen uns dazu etwas konkreter fassen und definieren demnach folgende zu testende Regel:

- Wir berechnen jeweils täglich den jeweiligen Pivot-Punkt und die sich daraus ergebenden Pivot-Extrempunkte (Widerstände/Unterstützungen) auf der Grundlage der Kurse des Dax-Futures;

- Im Anschluss daran eröffnen wir jeweils eine Short-Position, wenn der Dax-Future seinen ersten berechneten Widerstand überschreitet, bzw. gehen long, wenn der FDAX seine erste Unterstützung unterschreitet;

- Wir unterstellen, dass der Kurs nach dem Über- bzw. Unterschreiten des jeweiligen Kursniveaus wieder in Richtung des Ausgangs-Pivot-Punktes zurückkehrt; somit werden wir eine eventuell eingegangene Position zum jeweiligen Schlusskurs wieder auflösen.

Da wir gegen den Trend handeln, stellt sich die Frage nach einem Stopp-Kurs. Wir wollen diese Testreihe jedoch ohne Stopp durchführen.

Der E/L Code (für die Programmierung in Tradestation) für die Berechnung der Pivot-Punkte lautet wie folgt: Variables: WAvgPrice(0), Resistance1(0), Resistance2(0), Support1(0), Support2(0);

{Calculation of Variables}
WAvgPrice = (High + Low + (Close) / 3;
Resistance1 = (WAvgPrice * 2) - Low;
Resistance2 = (WAvgPrice + High - Low);
Support1 = (WAvgPrice * 2) - High;
Support2 = (WAvgPrice - High + Low);

Das beschriebene Regelwerk lautet wie folgt:
{Signal Entries}
Sell Next Bar at Resistance1 Limit;
exitshort on close;
Buy Next Bar at Support1 Limit;
exitlong on close;

3. Erste Auswertung

Das daraus resultierende Handelsergebnis ist eine Enttäuschung. Unterstellen wir, dass wir von 1991 an nach diesem Regelwerk verfahren wären, hätten wir insgesamt einen Verlust von 35.922 Euro ohne Gebühren auf eine Kapitalausgangsgröße von 100.000 Euro zu verschmerzen. Hinzu käme, dass die einzelnen Jahresergebnisse keinerlei Konsistenz zeigen. Hier steht einem Jahresertrag von 43 Prozent im Jahre 2001 ein Jahresminus von 53 Prozent im Jahre 2000 entgegen. Der bisher tiefste Drawdown beläuft sich auf minus 84 Prozent. Das es sich bei diesem niederschmetternden Ergebnis um eine statistisch signifikante Aussage handelt, zeigt die Anzahl der getätigten Geschäfte, die bei 3.041 liegt. (Tabelle 1).

Grundsätzlich können wir bei diesem Ergebnis jedoch festhalten, dass uns hier auch kein Stopp-Kurs retten würde. Es würde wohl das Gesamtergebnis weniger dramatisch ausfallen und die Volatilität der Ertragskurve käme etwas zurück, doch ein positives Ergebnis ist kaum zu erwarten.

4. Änderung des Regelwerkes und Folgeauswertung

Da es sich zeigt, dass der Aufbau einer konträren Position oberhalb des ersten errechneten Widerstandes bzw. unterhalb der ersten errechneten Unterstützung keinen Handelserfolg bewirkt, werden wir auf die jeweils zweiten Pivot-Marken bei gleichlautendem Regelwerk ausweichen.

Der E/L Code des Regelwerkes lautet nun:
{Signal Entries}
Sell Next Bar at Resistance2 Limit;
exitshort on close;
Buy Next Bar at Support2 Limit;
exitlong on close;

Das Ergebnis dieser Regelveränderung ist noch erschütternder. Gehen wir short bei Erreichen bzw. Überschreiten der zweiten errechneten Widerstandsebene bzw. investieren um die zweite Unterstützung herum auf der Long-Seite, erreichen wir einen Drawdown von minus 91 Prozent und verlieren 62.000 Euro von 100.000 Euro (siehe Tabelle 2).

In der Konsequenz stellen wir fest, dieser Ansatz in der Praxis nichts taugt, auch wenn er immer wieder gern zitiert wird. Selbst Stopp-Kurs-Modifizierungen werden kein stabiles Ertragsergebnis bringen.

5. Erneute Änderung des Regelwerkes

Versuchen wir jetzt den Wert des eigentlichen Pivot-Punktes zu untersuchen. Hierzu werden wir zwei verschiedene Regelwerke untersuchen:

1. Wir gehen long, wenn der Eröffnungskurs oberhalb des errechneten Pivot-Punktes liegt und halten die Position bis zum Tagesschluss und wir gehen short, wenn der Eröffnungskurs unterhalb des errechneten Pivot-Punktes liegt. Auch bleiben wir dann bis zum Handelsende des Tages short positioniert.

E/L Code:
if o next bar > WAvgPrice then Buy at open;
exitlong on close;
if o next bar exitshort on close;

Resultat: negatives Ergebnis von 10.505 Euro bei einer gewaltigen Volatilität der Ertragskurve. Der Drawdown läge in diesem Falle bei minus 100.86 Prozent. Das ganze Ergebnis errechnet sich aus 3.146 Trades in 13 Handelsjahren (siehe Tabelle 3).

2. Wir drehen das Regelwerk um. Jetzt gehen wir short, wenn der Eröffnungskurs oberhalb des errechneten Pivot-Punktes liegt, bzw. gehen long, wenn der Eröffnungskurs unterhalb des Pivot-Punktes liegt. In beiden Fällen schließen wir die Position auf Basis des Schlusskurses.

E/L Code:
if o next bar > WAvgPrice then Sell at open;
exitshort on close;
if o next bar exitlong on close;

Resultat: hier wird uns jetzt ein positives Ergebnis ausgewiesen, jedoch zeigt ein Blick auf die Ertragskurve, dass auch dieses Ergebnis nicht handelbar ist. Auffallend ist, dass das Ergebnis fast spiegelbildlich zu unserer vorangegangenen Testreihe verläuft (siehe Tabelle 4).

Versuchen wir eine letzte Änderung der Arbeitsweise mit den errechneten Pivot-Punkten: Angelehnt an die errechneten Widerstände und Unterstützungen aus dem Pivot-Punkt und den Vortageskursen werden wir jetzt bei Überschreiten der ersten Widerstandsebene long gehen (und halten bis zum Schlusskurs), bei Unterschreiten der ersten Unterstützung gehen wir short (und halten auch hier bis zum Schlusskurs an der Position fest).

Der modifizierte E/L Code lautet demnach:
{Signal Entries}
Buy Next Bar at Resistance1 Stop;
exitlong on close;
Sell Next Bar at Support1 Stop;
exitshort on close;

Das Ergebnis dieses Ansatzes, der der klassischen Regel entgegensteht, ist zwar nicht der Renner, aber bei Weitem besser als sein offizielles Gegenstück. Mit einem Plus von 35.922 Euro wird ein Gesamtgewinn über 13 Handelsjahre ausgewiesen, der Drawdown liegt bei minus 33 Prozent und die noch sehr wechselhaften Jahresergebnisse haben eine weit geringere Volatilität. Einem höchsten Jahresgewinn von 31 Prozent (2000) steht ein Maximumverlust von minus 9.88 Prozent in 2003 gegenüber. (siehe Tabelle 5).

Dehnen wir auch hier der Vollständigkeit halber die Trigger auf die jeweils errechneten zweiten Widerstands- bzw. Unterstützungsmarken aus, verbessert sich das Ergebnis noch deutlicher. Der Profit steigt auf 62.040 Euro, der Profitfaktor liegt bei 1,34, die Trefferquote erreicht die 55 Prozent und der Drawdown fällt auf minus 17 Prozent.

Der dazugehörige E/L Code lautet jetzt:
{Signal Entries}
Buy Next Bar at Resistance2 Stop;
exitlong on close;
Sell Next Bar at Support2 Stop;
exitshort on close;

Die Details dieses Testlaifes können Sie in der Tabelle 6 finden.

Fazit
Als Fazit können wir festhalten: der klassische Pivot-Handelsansatz ist zumindest im Sinne der hier dargestellten Systematik nicht handelbar, dagegen lassen sich interessante Anhaltspunkte aus einer kompletten Drehung der Handelsrichtung herleiten. In der Konsequenz sollte deutlich werden: es lohnt sich, festgefahrene Pauschalaussagen immer erst in Frage zu stellen und dann mit experimentell nach interessanten Anhaltspunkte zu suchen.

UWE WAGNER

Uwe Wagner arbeitete nach seinem Studium an den Börsen Berlin, Madrid und Wien. Von 1991 bis 2003 war er bei der Deutschen Bank tätig und begleitete dort verschiedene Positionen. Anfang 2004 gründete er eine Vermögensverwaltungs-gesellschaft. Daneben hält er Seminare in den Bereichen Technische Analyse und Optionspreis-theorie. Im Rahmen dieser Tätigkeit bildete er Trader in Russland, Spanien, Luxemburg, Österreich und Deutschland aus.

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