Kommentar
12:40 Uhr, 06.11.2012

Deka-EZB-Kompass: Draghi muss vor allem Konfidenz schaffen

1. Der EZB-Kompass scheint seine Talsohle durchschritten zu haben. Seinen zwischenzeitlichen Tiefpunkt verzeichnete er im Juli, zeitgleich mit der letzten Leitzinssenkung der EZB, mit 23,5 Punkten. Seitdem legte er drei Monate in Folge zu und erreichte im Oktober 29,4 Punkte, nach leicht nach oben revidierten 27,7 Punkten im September. Das Ausmaß dieses Anstiegs war zwar überraschend. Dennoch gehen wir nicht davon aus, dass sich diese Aufwärtsbewegung im gleichen Tempo fortsetzen wird. Vielmehr dürfte der Kompass nun für einige Zeit auf diesem Niveau verharren und sich erst im Verlauf des kommenden Jahres etwas stärker nach oben bewegen. Denn erstens deuten die in den Kompass einfließenden Konjunkturdaten – trotz seines jüngsten Anstiegs – nicht auf eine rasche wirtschaftliche Belebung in der Eurozone hin. Zweitens haben sich in seiner Entwicklung in den vergangenen Monaten auch die starken Schwankungen des Ölpreises niedergeschlagen. Dieser Effekt sollte nun aber allmählich wieder in den Hintergrund treten. Insofern dürfte allenfalls auf längere Sicht ein Konflikt entstehen zwischen dem tendenziell ansteigenden EZB-Kompass und der voraussichtlich weiterhin sehr expansiven Geldpolitik der EZB.

2. Der jüngste Anstieg des EZB-Kompass steht auch im Widerspruch zu den herrschenden Markterwartungen. Denn sowohl die niedrigen Sätze am Geldmarkt als auch Umfragen unter Analysten spiegeln eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür wider, dass die EZB die Leitzinsen in den kommenden Monaten noch einmal senken wird. Den Hintergrund hierfür bildeten einige zuletzt enttäuschend ausgefallene Konjunkturdaten. An erster Stelle zu nennen sind hier Stimmungsindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes und das Economic Sentiment, die im Oktober beide weiter zurückgegangen sind. In der Vergangenheit hat EZB-Präsident Draghi diesen umfragebasierten Indikatoren stets eine hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Am aktuellen Rand dürfte er dies in besonderer Weise tun, denn sie sind die potenziell ersten Daten aus der realwirtschaftlichen Sphäre, in denen sich die Ankündigung des neuen Staatsanleiheankaufprogramms der EZB in positiver Weise bemerkbar machen könnte. Die Outright Monetary Transactions sollen nicht nur den hochverschuldeten Staaten der Eurozone einen finanziellen Rückhalt geben und damit die Anspannung im gesamten Finanzsystem verringern. Daneben sollen sie auch zu günstigeren Kreditbedingungen für private Schuldner beitragen sowie das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten in den Fortbestand der Währungsunion stärken. Dies alles müsste sich in verbesserten Stimmungsindikatoren niederschlagen, was bislang jedoch nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Einkaufsmanagerindizes und Economic Sentiment deuten darauf hin, dass sich die Rezession in der Eurozone zumindest bis zum Ende des Jahres fortsetzt und die konjunkturellen Abwärtsrisiken zuletzt eher noch etwas größer geworden sind.

3. Neben den Stimmungsindikatoren ist die Kreditvergabe der Banken der zweite Bereich, in dem die Ankündigung der Outright Monetary Transactions durch die EZB frühzeitig positive Auswirkungen hervorrufen könnte. Aber auch diese sind bislang ausgeblieben. Die Buchkredite der Banken verzeichneten im September ihren bislang stärksten Rückgang in diesem Jahr. Der anschließend von der EZB veröffentlichte Bank Lending Survey hilft, etwas Licht auf diese Zahlen zu werfen. Demnach ist insbesondere die erschreckend schwache Kreditvergabe an nichtfinanzielle Unternehmen auf eine Kombination aus restriktiven Kreditbedingungen und einer schwachen Kreditnachfrage zurückzuführen. Die Banken der Eurozone haben ihre Kreditvergabestandards in den vergangenen Monaten gestrafft, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie Ende letzten Jahres. Zudem geben sie andere Gründe für ihre restriktive Kreditvergabepraxis an. Im vergangenen Winter verwiesen sie unter anderem auf Schwierigkeiten bei der Refinanzierung. Insofern war es nicht verwunderlich, dass die beiden Längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte der EZB relativ schnell zu einer Lockerung der Kreditkonditionen beigetragen haben. Heute ist die Ausgangslage anders. Die befragten Banken begründen ihre Zurückhaltung bei der Kreditvergabe vor allem mit dem unsicheren wirtschaftlichen Ausblick und dem als hoch wahrgenommenen Risiko ihrer Geschäftskunden. Von daher dürften Maßnahmen der EZB, die über die Bilanzen der Banken wirken, nicht mehr so stark anschlagen wie in der ersten Hälfte dieses Jahres. In der derzeitigen Situation kommt es vielmehr darauf an, die wirtschaftlichen Erwartungen von Banken und Unternehmen positiv zu beeinflussen und damit sowohl das Kreditangebot als auch die Kreditnachfrage anzuregen. Die Outright Monetary Transactions der EZB könnten eine solche Wirkung haben, indem sie die Sorgen aller Beteiligten vor einem Auseinanderbrechen der Währungsunion zerstreuen. Soweit dies gelingt, sollten sich die Kreditkonditionen bessern und die Kreditvergabe in den kommenden Monaten wieder moderat zunehmen. Dies wären wichtige Voraussetzungen für eine breiter basierte wirtschaftliche Erholung.

4. Die in den EZB-Kompass einfließenden Inflationsindikatoren waren in den letzten Monaten mehrheitlich nach oben gerichtet. Es ist aber allmählich zu erkennen, dass der seit Mitte des Jahres stark gestiegene Ölpreis wieder an Einfluss verliert. So ist die Jahresrate der deutschen Importpreise im September von 3,2 % auf 1,8 % zurückgegangen. Auch die Preiserwartungen der Konsumenten haben sich etwas beruhigt, selbst wenn sie im historischen Vergleich nach wie vor stark erhöht sind. Von Consensus Economics befragte Volkswirte haben ihre Inflationsprognosen für das kommende Jahr im Durchschnitt erneut um einen Zehntelprozentpunkt angehoben. Neben dem wieder höheren Ölpreis dürften darin auch die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung in Spanien zum Ausdruck kommen. Mit 1,9 % befindet sich die für das kommende Jahr erwartete Teuerung aber weiterhin im Einklang mit den Zielsetzungen der EZB. Auch der geringe Anstieg sowohl der Lohnkosten als auch der Erzeugerpreise von Vorleistungsgütern unterstreicht, dass die mittelfristigen Inflationsrisiken eher begrenzt sind.

5. Man sollte sich vom unerwartet kräftigen Anstieg des EZB-Kompass in den vergangen drei Monaten nicht täuschen lassen. Fallende Stimmungsindikatoren und eine rückläufige Kreditvergabe werfen die Frage auf, ob die EZB ihre Geldpolitik noch weiter lockern sollte. Wir würden eine erneute Senkung der Leitzinsen nicht für abwegig halten, erwarten einen solchen Schritt jedoch eher nicht. Denn er würde nur dann größere Wirkungen versprechen, wenn die EZB nicht nur den Hauptrefinanzierungssatz, sondern vor allem auch den Einlagensatz verringert. Aufgrund der sehr hohen Zentralbankguthaben der Finanzinstitute besitzt der Einlagensatz einen wesentlich größeren Einfluss auf alle kurzfristigen Marktsätze und ist damit mittlerweile der eigentliche Leitzins. Aber zumindest einige Mitglieder des Zentralbankrates haben offensichtlich große Ressentiments, sich mit diesem unteren Eckzins in negatives Territorium zu bewegen, da sie Risiken für die Funktionsfähigkeit der Geldmärkte befürchten. Eine Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes allein hätte demgegenüber vermutlich nur begrenzte Effekte. Im Wesentlichen würden die Refinanzierungskosten für diejenigen Banken verringert, die sehr stark auf eine Mittelaufnahme bei der EZB angewiesen sind. Abgesehen von der damit verbundenen Symbolwirkung dürften von einer derartigen Maßnahme aber keine größeren Impulse auf das Verhalten der Banken ausgehen. Zudem könnte auch eine Einengung des Korridors zwischen Hauptrefinanzierungs- und Einlagensatz die Funktionsfähigkeit des Geldmarkts beeinträchtigen, indem sie eine Refinanzierung bei der EZB für viele Institute attraktiver macht. Aufgrund dieser Überlegungen erwarten wir von der EZB in den kommenden Monaten keine Bewegung an der Zinsfront.

6. Stattdessen wird die EZB ihr Hauptaugenmerk wahrscheinlich weiterhin auf die Outright Monetary Transactions legen. Ähnlich wie nach den beiden Längerfristigen Refinanzierungsgeschäften zu Jahresbeginn dürfte Präsident Draghi argumentieren, dass von dieser Maßnahme vielfältige und komplexe Wirkungen ausgehen, sodass ihr Erfolg erst nach einiger Zeit beurteilt werden kann. Auf der Pressekonferenz könnte sich Draghi mit dem Einwand konfrontiert sehen, dass die Effektivität der Outright Monetary Transactions konterkariert wird durch das Zögern der spanischen und italienischen Regierung, die von der EZB geforderten Voraussetzungen für Staatsanleihekäufe zu schaffen. Dem dürfte Draghi entgegnen, dass allein die Existenz dieses Programms ein starkes Sicherheitsnetz für die Finanzierung der Staaten in der Eurozone darstellt und von daher eine beruhigende Wirkung auf alle Finanzmärkte hat. Dies zeigt sich nicht nur in den gesunkenen Renditen von Staatsanleihen, sondern auch im Bankensystem. So haben die Einlagen bei spanischen Banken im September zum ersten Mal seit sechs Monaten wieder zugenommen. Dies vermindert den Druck zum Bilanzabbau und schafft damit die Voraussetzungen für weniger restriktive Kreditbedingungen. Insofern unterscheiden sich die Outright Monetary Transactions von einer quantitativen Lockerung, wie sie z.B. die US-amerikanische Fed betreibt. Es kommt am Ende des Tages nicht so sehr darauf an, wie viele Staatsanleihen die
EZB tatsächlich kauft, sondern wie viel Konfidenz sie bei Banken, Anlegern und Unternehmen erzeugt. Diese Wirkungen sind in der Tat sehr komplex und zeigen sich unter anderem in Stimmungsindikatoren sowie Geldmengen- und Kreditaggregaten. Es ist daher naheliegend, dass die EZB sich nun einiges an Zeit nehmen wird, um diese Effekte zu beobachten und einzuschätzen, ehe sie über weitere Schritte nachdenkt.

Quelle: DekaBank

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen