Kommentar
15:47 Uhr, 12.12.2012

Deflation durch Amazon

Vor einigen Tagen betrat ich ein ortsansässiges Musikhaus, um ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen. Jemand aus dem Verwandten-/Freundeskreis hatte sich eine so genannte "Loop Station" gewünscht. Damit ist es möglich, per Gitarre oder Stimme Musik in einem Live-Auftritt aufzunehmen und wiederholt abzuspielen.

Der junge Inhaber gab mir ein entsprechendes Gerät in die Hand. Das Preisschild verkündete 307 Euro. Er sagte, "da könne man noch was machen". Er entschuldigte sich und ging ins Hinterzimmer, um seinen Verhandlungsspielraum zu abzugleichen. Dies tat er offenbar, indem er auf die Internetseite eines Online-Versandhauses den dortigen Preis überprüfte.

Etwas bleich kam er zurück und schlug eine Reduzierung auf 260 Euro vor. Der Preis im Internet sei jenseits von Gut und Böse. Also gut, Nachlass auf 240 Euro, aber dann verdiene er praktisch nichts mehr. Ich sagte ihm, ich sei gern bereit, einen Aufschlag zu bezahlen, um einen Service vor Ort zu haben. Ob 250 Euro ok wären? Dankend willigte er ein. An der Kasse stehend vertraute er mir an, dass die "Loop Station" im Internet 199 Euro kosten würde, er diese aber für 210 Euro eingekauft habe. "Kleinzeug" wie Bleistifte mit Musikmotiven oder Adapterkabel würden preislich noch funktionieren, aber größere Instrumente verkaufe er kaum noch. Da sei er wegen der geringen Bestellmengen nicht konkurrenzfähig.

Eine solche Geschichte zeigt konsequent die Problematik auf. Online-Händler wie Amazon.com können ganz andere Abnahmemengen garantieren. Doch das ist nicht alles. Fast genauso wichtig erscheint die Steuerstrategie.

Angesichts knapper Staatskassen tauchen Unternehmen wie Starbucks, Google und Amazon als Negativbeispiele in den Medien auf. Der nachfolgend verlinkte Bloomberg-Bericht beschreibt detailliert die Steuervermeidungsstrategie von Google.

http://tinyurl.com/bbd7y6c

Schaltet man beispielsweise eine Google-Adwords-Anzeige, so fließt das Geld direkt nach Irland. Von dort wird es an eine irische Tochter mit Steuersitz in Bermuda überwiesen. Um die sowieso schon niedrige irische Steuer zu vermeiden, erfolgt die Überweisung nach Bermuda über eine niederländische Google-Tochter. Google zahlte in 2011 nur 3,2% an Einkommensteuer auf Erträge aus dem internationalen Geschäft.

In anderen europäischen Staaten sind die Menschen deutlich stärker für dieses Thema sensibilisiert als in Deutschland. Speziell in Großbritannien gab Demonstrationen vor Starbucks-Filialen. In Deutschland ist diese Diskussion noch nicht hochgekocht, wohl wegen vergleichsweise hoher Steuereinnahmen.

Die EU-Kommission ist allerdings alarmiert. Die dürfte an dieser Stelle etwas tun. Das richtige Prinzip: Die Steuern sollten da bezahlt werden, wo die Gewinne tatsächlich generiert werden. Selbst wenn die EU-Mühlen langsam mahlen: Für international operierende Unternehmen dürften die Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.

Dies könnte deshalb ein Börsenthema für 2013/14 werden, weil Unternehmen wie Google, Amazon oder Starbucks in einem solchen Fall zu hoch bewertet wären.

Dies führt uns zur Frage, ob Inflation oder Deflation mittelfristig eine höhere Gefahr darstellt. Ohne Zweifel erhöht ein Anbieter wie Amazon.com oder auch - um ein weiteres Beispiel zu nennen - Ikea - den Deflationsdruck. Kleinere Anbieter haben keine Chance, den üblichen Steuersätzen zu entgehen. Amazon und Ikea aber schon.

Sollte die EU dafür sorgen, dass Steuervermeidungsstrategien schlechter funktionieren, dann würde dies möglicherweise am Endverbraucher hängen bleiben. Überhaupt dürfte der Trend der Staatengemeinschaft, stärker auf ihre Einnahmeseite zu achten, sich weiter fortsetzen. Dieser Trend begann Mitte der vergangenen Dekade mit den Steuer-CDs und hört mit den multinationalen Unternehmen nicht auf. Die Gesellschaft fordert - wie aktuell in Großbritannien - den "Fair Share" der Unternehmen ein. Konnten sich früher Unternehmer freimütig mit ihren Steuersparstrategien brüsten, so fehlt dafür heute die gesellschaftliche Akzeptanz.

Die offiziellen Inflationsraten sind seit Beginn der Globalisierung deutlich gefallen. Als Beispiel sei nachfolgend der 10-Jahres-Durchschnitt der offiziellen US-Inflationsrate dargestellt.

Selbst wenn man annimmt, dass die tatsächlichen Inflationsraten höher liegen: Der starke Anstieg der Rohstoffpreise in den vergangenen 10 Jahren hätte deutlich höhere Inflationsraten mit sich gebracht, wenn der globalisierte Internet-Vertrieb nicht deflationär dagegen gehalten hätte.

Doch jetzt stehen Veränderungen an. Während der Anstieg der Rohstoffpreise auszulaufen droht (man denke an die Produktionserhöhungen in den USA), dürfte sich die Internet-Handelsgiganten gezwungen sehen, ein steigendes Steueraufkommen an den Kunden weiter zu geben. Wie genau sich dies netto auf die Inflationsrate auswirken wird, ist kaum absehbar. Klar erscheint aber, dass sich die Inputfaktoren in den kommenden Jahren verändern werden: Fallende Rohstoffpreise könnten einem Preiserhöhungsdruck auf der Endverbraucherseite gegenüber stehen.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

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