Das Emittentenrisiko ist tot, es lebe das Emittentenrisiko
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So oder so ähnlich lässt sich derzeit die Situation am Zertifikatemarkt beschreiben. Auf der einen Seite der „Supergau“ im vergangenen September mit der Pleite des einst so stolzen Investmenthauses Lehman Brothers. Auf der anderen Seite der Versuch der Branche, das Inhaberschuldverschreibungen ungeachtet der tatsächlichen Basiswert-Entwicklung innewohnende Ausfallrisiko bei einer Insolvenz des Emittenten zu beseitigen.
Auch wenn es in der Rückschau wohl fast jeder als den größten Fehler der alten Bush-Regierung ansieht, die mit so weitreichenden Verflechtungen ausgestattete vormalig viertgrößte amerikanische Investmentbank nicht doch noch gerettet zu haben, so ist es dennoch geschehen und lässt sich nicht mehr korrigieren. Die Folge war ein „Tsunami“, der die Finanzwelt in ihren Grundfesten erschütterte und das Urvertrauen nicht nur der Anleger, sondern auch der Banken untereinander zerstörte. Wurde doch dadurch erstmals das seit dem Fall der bereits im März 2008 zusammengebrochenen und für ein „Butterbrot“ an JP Morgan gehenden US-Bank Bear Stearns zu geltende Gesetz „to big to fail“ gesprengt. So hat bekanntermaßen an den Finanzmärkten nach Lehman eine ganz neue Zeitrechnung begonnen.
Ein Sündenbock für die Misere war zumindest in den Boulevardmedien schnell gefunden: Zertifikate, „das undurchschaubare und gefährliche Teufelszeug, das sowieso niemand benötigt und das sogar verboten gehört“. Wer solche Falsch-Behauptungen allabendlich zur besten Sendezeit über den Flimmerkasten schickte, hatte sich damit aber nicht nur selbst als Finanzexperte disqualifiziert, sondern was viel schwerer wiegt, die tatsächliche Sachlage völlig ins Gegenteil verkehrt. Hatten doch die bis dahin so beliebten und nützlichen Anlageprodukte mit den heute gerne auch als „toxische Papiere“ bezeichneten mehrfach gehebelten und immer wieder neu verpackten Kreditderivaten auf den US-Subprimemarkt de facto nichts zu tun. Aber wie es leider häufig vorkommt, werden Dinge von denen man nichts versteht oder verstehen möchte, als erstes an den Pranger gestellt. Zu allem Unglück wurde das von Funk und Fernsehen angezettelte Kesseltreiben auch noch von der betroffenen Zertifikate-Industrie und seiner neu gegründeten Interessenvertretung ohne großes Dementi hingenommen und dem Anleger „auf der Straße“ damit wohl genau das falsche Signal vermittelt.
Selbst wenn die Branche wie schon ein Jahr zuvor als es um die Benachteiligung bei der Abgeltungssteuer ging, auch in dieser Hinsicht wenig Kampfgeist bewies und stattdessen auf Zeit spielte, zeigte sie in Sachen Emittentenrisiko umso mehr Aktionismus. So brachte als erster die mit ihrer ausgeklügelten „Compartment-Struktur“ per se schon auf Nummer Sicher gehende DWS GO, gefolgt von der Commerzbank einzelne Produkte auf den Markt, bei denen dieser Zertifikaten anhaftende „Makel“, der bis zu Lehman allerdings nur eine theoretische Gefahr darstellte, nunmehr vollkommen ausgeschaltet wurde.
Das Zauberwort hieß dabei „Besicherung“. Anders als bei der bloßen Abtrennung der Forderungen aus einem einzelnen Zertifikat und Einbringung in ein wirtschaftlich und rechtlich unabhängiges Compartment, wird hier das sogenannte „Über Nacht“- bzw. Kontrahenten-Risiko ausgeschlossen, das darin besteht, dass trotz des erhöhten Sicherheitsstandards der „Gegenpart“ ohne einen vorangehenden Downgrade durch die Ratingagentur quasi „über Nacht“ zahlungsunfähig wird und seine Verpflichtung aus dem Swap nicht mehr erfüllen kann. Die noch kurz vor der Insolvenz mit einem A-Rating bewertete Lehman Brothers kann hier als mahnendes Beispiel dienen. Um auch diese „Overnight“-Gefahr auszuschließen, wird bei der von der DWS GO auch als „SAFE“-Konzept bezeichneten Variante ein weiterer Partner mit ins Boot genommen, bei dem das jeweils ausstehende Zertifikatevolumen auch noch mit einer leichten Übersicherung jederzeit mit entsprechend G10- bzw. EZB-fähigen Staatsanleihen hinterlegt werden muss. Durch dieses Pfandrecht sollte selbst beim Ausfall des Kontrahenten das hinterlegte Vermögen somit zu jedem Zeitpunkt gedeckt sein. Während sich die Zertifikate-Tochter der DWS bei der Treuhänderschaft auf die konzerneigene DB Luxembourg S.A. verlässt, greift die Commerzbank bei ihren „Besicherten“ auf die Dienste der Clearstream Banking AG, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Börse und „alten Bekannten“ in Sachen Sicherheitenverwaltung zurück. Just zu einem Zeitpunkt, wo nach den milliardenschweren Rettungsmaßnahmen und Beteiligungen der einzelnen Regierungen weitere Banken-Zusammenbrüche trotz der nach wie vor angespannten Lage wohl etwas unwahrscheinlicher geworden sind, hat mit Morgan Stanley in Analogie zum Internet „zweipunktnull“ unter der gleichen Bezeichnung ein weiterer Emittent mit der Besicherung von Zertifikaten begonnen.
Vor dem Hintergrund der Bestrebungen einiger Banken, das Emittentenrisiko für Einzel-Papiere ganz auszuschließen, verweisen andere Marktteilnehmer wie die WestLB als Vertreter der Landesbanken und Girozentralen gerne auf das angeschlossene Sicherungssystem innerhalb des eigenen Haftungsverbundes, der in letzter Konsequenz auch für Ausfälle anderer Mitglieder gerade stehen muss. Ähnliches gilt beispielsweise auch für die DZ-Bank als „Genosse“ im Bundesverband der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR).
So wichtig das schnelle Signal aus der Branche auch war, durch den neuen Sicherheitsschritt das noch junge und dynamische Anlageinstrument in das Zeitalter nach Lehman zu führen, so gering dürfte zumindest aus heutiger Sicht die Bedeutung der besicherten Zertifikate tatsächlich sein. Dafür sprechen neben der staatlich vermittelten Sicherheit die höheren Kosten, die sich aus der Bereitstellung der Wertpapiere sowie dem „Spread“ zwischen Staatsanleihen und LIBOR-Satz, dem Zinssatz im Interbankenhandel, ergeben. Die bislang geringe Zahl der entsprechenden Papiere stellt ein weiteres Indiz dar, dass es sich hier vor allem um eine Goodwill-Maßnahme der Industrie handelt, die damit auch dokumentiert, wozu sie in der Lage ist.
Für den Anleger bedeutet dies wiederum: Es bleibt (fast) alles beim Alten und das Emittentenrisiko wird wohl auch in der Folgezeit noch existieren, käme doch wohl kaum einer der großen Emittenten auf die ernsthafte Idee, all seine Produkte der aufwändigen Besicherungs-Prozedur zu unterziehen. So kommt man als verantwortungsbewusster Investor vor einer Kaufentscheidung kaum ohne eine zusätzliche Bonitäts-Analyse des jeweiligen Anbieters herum. Der Deutsche Derivate Verband (DDV) liefert dazu auf seiner Internetseite die notwendigen Informationsgrundlagen mit den aktuellen Einstufungen der einzelnen Emissionshäuser in Bezug auf deren Credit Ratings bei den einschlägigen Agenturen Moody´s, Standard & Poors und Fitch, sowie den noch aussagefähigeren weil marktnäheren Credit Spreads. Die Credit Default Swaps (CDS) geben auf täglicher Basis die Versicherungsprämie für einen Ausfall der Schuldverschreibungen des jeweiligen Emittenten wieder. Je höher dabei die einzelnen Spread-Werte ausfallen, desto schlechter und umgekehrt.
WKN | Name | Emittent | Fälligkeit | Briefkurs |
DWS0KM | BricX Protect 90 Zertifikat | DWS GO | 11.12.2013 | 102,50 € |
CB885A | DAX 2.800 Disc.-Zertifikat | COBA | 24.06.2010 | 27,21 € |
CB885K | ES50 1.500/3.400 Bonus-Zert. | COBA | 22.12.2011 | 27,09 € |
MS8FC5 | ES50 Express-Zertifikat 2.0 | MS | 27.04.2012 | 1042,05 € |
MS8FC7 | ES50 Defensiv Express-Zert. 2.0 | MS | 25.05.2012 | 1.010 € (in Zeichnung) |
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