Kommentar
09:54 Uhr, 24.05.2012

„Das Beste kommt erst noch!“

Erwähnte Instrumente

  • Silber
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    Aktueller Kursstand:   (JFD Brokers)

Herr Schulte, Sie sind als der „Silberjunge“ bekannt. Wie kam es zu dieser Liebe zum Silber und vor allem zu diesem griffigen Titel?

2001 sagte ich noch hunderten Bankvorständen im Bereich der Volks- und Raiffeisenbanken historische Zinstiefs voraus. Damit bin ich damals gehörig gegen den Strom geschwommen. Allerdings sah ich damals als Investmentbanker bereits die Aufblähung einer gigantischen Anleihenblase und stellte mir 2001/02 die Frage, wie ich mein Vermögen gegen das Platzen dieser Blase schützen kann. Zunächst – muss auch ich ehrlicherweise sagen – kaufte ich Gold. Aber beim Gold entfallen 90 Prozent der jährlichen Nachfrage auf Investments und Schmuck. Es lebt damit vor allem vom ideellen Wert, den die Menschen ihm zumessen. Bei Silber entfallen rund 55 bis 70 Prozent in den letzten Jahren auf die Industrie, Tafelsilber und die Photographie. 2011 waren es fast 58 Prozent und etwas mehr als 42 Prozent entfielen auf Schmuck und Investments. Silber ist in der Realwirtschaft von großer Bedeutung, da es die höchste Leitfähigkeit von Wärme und Elektrizität hat, ein hervorragendes Reflexionsvermögen aufweist und noch dazu antibakteriell wirkt. In jedem Mobilfunktelefon stecken 250 Milligramm und in jedem Auto ungefähr eine Unze Silber. Hinzu kommt, dass die Menschen viel weniger in Silber investiert haben als in Gold. Ich spreche davon, dass die Investoren rund um den Globus bezogen auf das Wertverhältnis im Vergleich zu Gold unterinvestiert sind! Einer der größten Edelmetallhändler Deutschlands, die Bayern LB, berichtet mir monatlich. Danach lag der Wert der Silberkäufe der Kunden im April 2012 gerade einmal bei 14 Prozent der Goldkäufe. Dies ist ein weltweites Phänomen. Als Antizykliker möchte ich klar dagegenhalten.

Hat man als Silberjunge wegen der Underperformance von Silber relativ zu Gold derzeit nicht den Wunsch, lieber als Goldjunge zu fungieren?

Moment mal! Anfang Mai können wir sagen, dass die Jahresperformance in 2011 doppelt so hoch ist wie die des Goldes. Im Jahre 2003 begann die große Antideflationspolitik. Die Aktienmärkte sahen bekanntlich dann auch im März 2003 ihr Tief. Die Fed hielt die Zinsen niedrig, die Militärausgaben der USA stiegen durch den Irak-Krieg, die Steuern wurden nochmals gesenkt. Auf jede Krise wird doch mit immer neuer Liquidität reagiert. Wenn wir Silber, Gold und Öl Anfang 2003 mit 100 indexierten, hat sich Silber seitdem verfünffachen können und das Öl stieg auf das Zweieinhalbfache. Gold liegt ungefähr dazwischen. In der Spitze konnte sich Silber sogar auf das Siebenfache steigern. Auch im Inflationsjahrzehnt der 70er Jahre hatte Silber die Nase vorn. Natürlich gibt es immer wieder Phasen, wo Silber das Nachsehen hat. Aber es kommt darauf an, dass wir das große Bild vor Augen haben. Gegenwärtig kostet eine Unze Gold 54 mal so viel wie eine Unze Silber. Für die nächsten Jahre erwarte ich, dass dieses Gold/Silber-Ratio auf 14 zu 1 fallen wird.

Wenn man sich den indischen Markt anschaut: Dort wurden schon zu einem Zeitpunkt große Mengen Edelmetalle gekauft, als im Westen noch der Heilsbringer in der T-Aktie vermutet wurde. Nun tendieren im Westen immer mehr Menschen zum Kauf von Silber und stellen das relativ teure Gold hinten an. Ist eine solche Entwicklung nachhaltig – und gibt es preisbedingte Substitution von Gold durch Silber auch in anderen Bereichen?

Lassen Sie mich nochmals auf die monatlichen Auswertungen der Bayern LB zu sprechen kommen. Im April und Mai 2011 machten die Silberkäufe wertmäßig über 30 Prozent der Goldkäufe aus. Jetzt sind wir wie gesagt auf 14 Prozent zurückgefallen. Ich kann nicht erkennen, dass die Menschen in Scharen in Silber investieren. Viele glauben ohnehin, dass sich die Edelmetalle in einer Blase befinden. Dies ist Unsinn. In meinen beiden Büchern (Anmerkung der Redaktion: „Vermögen retten: In Silber investieren“ [2011] und „Silber – das bessere Gold: Der kommende Silberboom und wie Sie von der Krise profitieren können“ [2010]) zeige ich historische Vergleiche und die Relationen zu anderen Vermögensklassen auf. Aktuell gibt es Anleihen, also Schuldversprechen der Staaten, Banken und Unternehmen, für über 14.200 Dollar für jeden Erdenbürger. Der Marktwert der Aktien liegt bei über 7.200 Dollar, Gold kommt auf fast 1.300 Dollar und die oberirdischen Silberbestände von Münzen und Barren selbst bei großzügigen Schätzungen nur auf rund 11 Dollar. Gold und Silber waren Anfang 1980 in Prozent des Weltfinanzvermögens bei einem Vielfachen der heutigen Werte. Eine Blase sieht anders aus. Aber lassen Sie mich auf Ihre Frage zurückkommen. Substitution wird natürlich in den kommenden Jahren ein Thema. Nur ist die industrielle Nachfrage in den letzten Jahren trotz der starken Anstiege des Silberpreises nicht eingebrochen. Die Nachfrage ist eher preisunelastisch. Allerdings wird nach sehr starken Steigerungen wie 1974 und 1980 die Nachfrage einen Dämpfer bekommen und dann werden auch die Preise massiv zurückkommen. Es gibt also auch hier keine Einbahnstraßen.

Könnte der Verbrauch von Silber in der industriellen Fertigung zulegen?

Die Nachfrage der Industrie lag nach den jüngsten Daten des Silver Institute im Jahr 2011 mit 486,5 Millionen Unzen 2,5 Prozent unter der des Jahres 2010. Aber vorher lag sie nur im Jahr 2007 mit 491,1 und 2008 mit 492,7 Millionen Unzen geringfügig darüber. Im Jahre 2005 waren es 431,8 Millionen. Interessanterweise fand diese Entwicklung trotz eines starken Anstiegs des Jahresdurchschnittspreises des Silbers von 7,32 US-Dollar im Jahre 2005, 14,795 US-Dollar in 2007, und 27,84 US-Dollar im Jahre 2011 statt. Silber spielt in vielen Zukunftstechnologien eine wichtige Rolle. In einem Gutachten für die deutsche Bundesregierung aus dem Jahr 2009 wurden hier sehr starke Nachfragesteigerungen bis zum Jahre 2030 aufgezeigt. Nehmen Sie nur mal das Beispiel der Solarpanels. 2001 lag die Silbernachfrage hier nur bei 50 Tonnen und im Jahre 2011 waren es laut Barclays 1.820 Tonnen. Das Schöne bei Silber ist, dass es nicht abhängig ist von nur einer großen Nachfragekomponente in der Industrie. Bei Platin entfallen 40 Prozent der Nachfrage allein auf Autokatalysatoren. Bei Palladium sind es sogar 70 Prozent. Auch wenn ich persönlich Palladium für interessant halte, gefällt mir diese Mononachfragestruktur langfristig nicht.

Im Jahr 2009, als Millionen Menschen in Folge der Finanzkrise arbeitslos wurden, schossen Goldhändler wie Pilze aus dem Boden und die Leute können heute im Briefkuvert den geerbten Goldschmuck der Großeltern verhökern. Das hat zu einem massiven Anstieg des Gold-Recycling-Angebots geführt und unserer Meinung hätte das zu einem Einbruch des Goldpreises führen können, hätten die Zentralbanken nicht im Jahr 2009 damit begonnen, Gold zu kaufen. Schließen Sie sich dieser These an? Gibt es auch beim Silber ein sekundäres Angebot und welche Auswirkungen hat dieses für den aktuellen Silberpreis?

Also beim Silber haben offizielle Stellen im letzten Jahrzehnt stets verkauft, aber nach 44,8 Millionen Unzen in 2010 waren es 2011 nur noch 11,5 Millionen Unzen. Da die Silberlager der Regierungen nahezu leer sind, ist diese Größe im Silbermarkt zu nachlässigen. Aber mir ist ein anderer Punkt wichtig: In den gesamten 90er Jahren hatten die Goldminen Vorwärtsverkäufe von Gold getätigt. Man hatte also auf Termin Gold verkauft. Da der Goldpreis aber stieg, waren viele gezwungen, diese Positionen dann mit hohen Verlusten zurückzukaufen, was sie ab 2000 zunehmend taten. Beim Silber wurden 2010 61,1 Millionen und 2011 10,7 Millionen von den Silberproduzenten „vorwärts“ verkauft. Ohne diese Vorwärtsverkäufe wäre der Markt nicht ins Lot gekommen.

Für den informierten Betrachter wird der Silberpreis von wenigen Händlern gesteuert, die in der Lage sind, große Mengen Silber leerzuverkaufen oder die Margenanforderungen an wichtigen Terminbörsen zu ändern. Sollten Anleger trotz dieser wenig erfreulichen Umstände in Silber umschichten?

Es ist schon interessant, dass allein die vier größten Händler an der US-Warenterminbörse im Silber Ende April 2012 über 163 Millionen Unzen Silber netto leer verkauft hatten. Alle Commercials zusammengenommen, also die Gegenspieler der Spekulanten, kamen gerade einmal auf Netto-Leerverkäufe von weniger als 112 Millionen Unzen. Ich verfolge diese Daten wöchentlich und mit großer Aufmerksamkeit. Sollte Vergleiche sollten aufhorchen lassen. Wenige Händler versuchen großen Einfluss auf den Silbermarkt zu nehmen. Aber sie können den Silberpreis nicht permanent nach unten manipulieren. Vergleichen Sie den Silbermarkt einmal mit dem Wohnungsmarkt. Angenommen der Staat manipuliert per Gesetz die Wohnungsmieten nach unten. Folge: Es wird weniger gebaut, aber noch mehr wollen den preiswerten Wohnraum nachfragen. Der Versorgungsengpass auf dem Wohnungsmarkt wird so nur immer größer und größer. Dies erklärt auch, warum der Silberpreis von Zeit zu Zeit von der Leine gelassen werden muss und gewaltige Anstiege sieht. Dann gilt es, dabei zu sein.

Und jetzt die Königsfrage: Wo sehen Sie Silber in seiner finalen letzten Aufwärtswelle? Kurz gesagt: Welches Potenzial trauen Sie Silber im Idealumfeld zu und wie sähe dieses Umfeld aus?

Schauen Sie, die Menschen wollen auch beim DAX immer am Jahresanfang die Prognose hören, wo er genau am 31. Dezember des Jahres steht. Dies ist völliger Unsinn. Auch exakte Preisziele in Euro oder Dollar für Gold und Silber führen nicht weiter. Viel interessanter sind historische Beobachtungen. Erst wenn der Silberpreis sich am DAX-Kursindex gemessen verdreifacht haben sollte, dürften wir in eine Übertreibungsphase eintreten, aber sie noch nicht abschließen. Ich werde in den kommenden Monaten meinen Lesern dazu noch interessante Untersuchungsergebnisse vorlegen. Auch bei Immobilien müssen wir historische Maßstäbe anlegen. Bezogen auf mittlere Einfamilienhäuser in den USA sind auch hier noch Vervielfachungen möglich. Wie ich immer gerne zu sagen pflege: Das Beste kommt erst noch. Nur wenige können sich das derzeit vorstellen und genau dies stimmt mich als Antizykliker positiv. Rücksetzer sind daher für mich Kaufgelegenheiten. Der Investor braucht aber Ruhe und Gelassenheit sowie Zeit. Denn über Nacht wird man auch mit Silber nicht reich.

Die Fragen stellte Helge Rehbein

Den aktuellen Gold- & Rohstoff-Report kostenfrei zum Download. Dort bin ich ausführlich auf den aktuellen Rohstoffmarkt eingegangen. Außerdem gibt es ein Interview mit James Turk von Goldmoney und mit Thorsten Schulte, dem Silberjungen. Kostenfreie Anmeldung zum Gold- & Rohstoff-Report ist auf meinem Rohstoff-Blog möglich.

Mehr aktuelles zu den Rohstoffen gibt es im Rohstoff-Blog

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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