Kommentar
21:03 Uhr, 13.10.2009

Da ist doch was faul an dieser Rally, oder?

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, der typische amerikanische Widerwille gegen jegliche „political correctness“ spiegelt sich auch im Hang zu Spitznamen für ehemalige und heutige Präsidenten wider. Bill „I didn‘t inhale“ Clinton für seine Aussage, dass er einst Marihuana geraucht, aber nicht inhaliert habe, George „mission accomplished“ Bush für seinen Hollywood-reife Auftritt auf einem Flugzeugträger im Jahr 2004, als er den Irakkrieg für erfolgreich beendet erklärte, und nun auch Barack „backtrack“ Obama, für seine 180-Grad-Wendungen in zentralen Wahlversprechen.

Dazu zählt der Rückzug aus Afghanistan und Irak, aus dem dann eine Stärkung der Truppenkontingente wurde. Dazu zählen auch Versprechen über umfassende Hilfen für Arme, woraus die größte Übertragung von Steuergeldern zu den reichsten der Reichen wurde, während die ärmsten der Armen ihr Dach über dem Kopf verloren. NAFTA, das Freihandelsabkommen, das Obama abschaffen wollte, um heimische Jobs zu schützen, wurde nicht gekippt.

Dennoch ist Obama der stärkste charismatische Führer der westlichen Welt, dem große Veränderungen auf der Weltbühne zugetraut werden. Daher auch der Friedensnobelpreises: Er soll Obamas politisches Momentum bekräftigen und stärken. Und das wird er brauchen, denn die konjunkturellen Probleme sind - auch wenn uns die Medien und Politiker anderes glauben machen wollen - nicht vorüber.

Die Rohstoffpreisanstiege, die oft als Frühindikator für eine anstehende Wirtschaftserholung genannt werden, hängen vorwiegend mit der Dollarabwertung und Käufen zusammen, die durch Lagerauffüllungen, strategisches staatliches Kalkül und durch Konjunkturpakete ausgelöst werden.

Reale industrielle Nachfrage ist nicht der Auslöser.

Die Aktienmärkte sind liquiditätsgetrieben angestiegen und heute so hoch bewertet, wie Anfang des Jahres 2007, als die Konjunkturerholung schon fünf Jahre alt war. Heute ist das statistische Ende der Rezession in den USA gerade mal wenige Wochen her.

Wo soll das hinführen? Wie soll die Rally an den Aktienmärkten gerechtfertigt werden? Mit fast 3 Millionen Arbeitsplätzen, die allein in den USA gleichzeitig verloren gingen? Mit der größten Geister-Frachtschiff-Kolonne der Geschichte, die vor Singapur vor Anker liegt und gegen Algen und Rost kämpft?

Nein, an der aktuellen Situation ist definitiv etwas faul. Mich beschäftigt in diesem Zusammenhang die Tatsache sehr, wie es möglich ist, dass Anfang April eine Änderung der Bilanzierungsvorschriften des FASB so wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Das FASB ist das Financial Accounting Standards Board und in den USA zuständig für die Festlegung der Bilanzvorschriften. Das FASB hat auf Druck des Kongresses Anfang April Finanzinstituten erlaubt, Zitat „signifikantes Ermessen“ bei der Bewertung ihrer toxischen Aktiva walten zu lassen. Das bis dato gültige „mark-to-market“-Verfahren, das Aktiva wie CDS, CDOs und andere „Investmentvehikel“ mit dem Preis, der am Markt von einem Käufer gezahlt werden würde, bewertet, wurde abgeschafft.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der es Banken ermöglicht wird, zu behaupten, dass ihre Verluste aus faulen Krediten einfach nicht existieren. Und, was noch haarsträubender ist, einigen dieser Banken würde es erlaubt, schwer havarierte Kredite an ihre Zentralbank zu einem Preis zu verkaufen, der fast dem ursprünglichen Wert entspricht.

Das ist die Welt, in der wir heute leben. Billionen in möglichen und bewiesenen Verlusten existieren still außer Reichweite in den Bilanzen der Federal Reserve oder anderer Finanzinstitutionen. Und genau das ist faul an der aktuellen Situation.

Schöne Grüße
Ihr Jochen Stanzl
Chefredakteur Rohstoff-Report.de

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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