Kommentar
10:10 Uhr, 03.03.2022

Crashprophet Nouriel Roubini schlägt wieder zu

Nouriel Roubini ist nicht für seine sonnigen Prognosen bekannt. Jetzt sieht er schwarz und gar eine stagflationäre Rezession heraufziehen.

Der Aktienmarkt bleibt hochvolatil. Hohe Volatilität sorgt für Angst. In diesem Umfeld haben Crashansagen Hochkonjunktur, die Nerven liegen blank und auch die düstersten Prognosen werden für wahrscheinlich gehalten. Das führt dazu, dass in volatilen Zeiten die Risiken überschätzt werden. Das Gegenteil gilt übrigens auch. Sind alle euphorisch und in Kaufpanik, werden Risiken unterschätzt.

Man gewinnt derzeit gar den Eindruck, dass die Weisheit „Politische Börsen haben kurze Beine“ keinen Bezug zur Realität hat. Das Gegenteil scheint der Wahrheit zu entsprechen. Tatsächlich aber sind politische und geopolitische Risiken für Aktienmärkte kurzweilige Schocks. Auf einen rasanten Anstieg des Risikos reagiert die Börse häufig mit einer kurzen und heftigen Korrektur (Grafik 1). Wenn man mittendrin steckt, fühlt es sich natürlich nicht wie ein vorübergehender Schock an.

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Auch bei der nüchternen Betrachtung des Langfristcharts, der zwei Weltkriege abdeckt und eigentlich beruhigen sollte, bleibt ein mulmiges Gefühl. Alle hoffen, dass die wildesten Drohungen (Atomwaffen) nicht Realität werden. Krieg ist immer unvorhersehbar und den Konfliktparteien ist alles zuzutrauen. Es lassen sich wahrlich schlimme Szenarien erdenken. Unmöglich sind sie nicht. Die Wahrscheinlichkeit wird unter Angst allerdings überschätzt.

US-Börsen sind in Zeiten wie den jetzigen tendenziell etwas weniger stark betroffen als z.B. die deutsche Börse (Grafik 2). Der DAX reagiert meist mit größeren Abschlägen als etwa der S&P 500. Die Erholung nach dem Schock ist jedoch nicht weniger schnell. Auch für den DAX gilt, dass geopolitische Schocks in der Vergangenheit schnell überwunden werden konnten. Damit eine nachhaltige Erholung beginnen kann, muss aber die Unsicherheit abebben. Noch kann sich der Krieg in jede erdenkliche Richtung entwickeln.

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Die historischen Präzedenzfälle haben eine klare Aussage für Anleger: Es kommt meist weniger schlimm als man befürchtet. Roubini denkt jedoch, dass es dieses Mal anders ist. Er formt dafür sogar einen neuen Begriff. Zumindest mir persönlich ist der Begriff „stagflationäre Rezession“ noch nicht untergekommen. Es mag daran liegen, dass diese Kreation widersprüchlich ist.

Per Definition stagniert die Wirtschaft bei hoher Inflation, wenn Stagflation herrscht und per Definition schrumpft die Wirtschaft, wenn es zur Rezession kommt. Wie eine Wirtschaft gleichzeitig in einer Stagnation und Rezession sein kann, erschließt sich mir nicht. Von diesen Definitionsschwierigkeiten abgesehen, ist an der These eines Inflationsschocks durchaus etwas dran.

Der Ölpreis ist zwar bisher nicht wie von einigen befürchtet auf 140 Dollar gestiegen, doch Öl ist heute deutlich teurer als zu Jahresbeginn. Das gilt auch für viele andere essenzielle Rohstoffe. Der Inflationsdruck wird nicht abnehmen, sondern hoch bleiben. Im Gegensatz zu Konflikten der letzten Jahrzehnte ist Russland ein Schwergewicht bei vielen essenziellen Rohstoffen.

Allein mit der EU beläuft sich der Handel auf über 300 Mrd. USD pro Jahr (Grafik 3). Der Handel ist stark im Rohstoffbereich konzentriert. Russland deckt dabei je nach Sektor bis zu 20 % der europäischen Nachfrage (Grafik 4).

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Selbst US-Unternehmen bleiben nicht verschont. Der Zigarettenhersteller Philip Morris macht fast 10 % seines Umsatzes in Russland. Bei Pepsi und McDonald’s entfallen auf Russland und die Ukraine immerhin noch zwischen 4-5 %. Der Konflikt wird die Wirtschaft ausbremsen. In Europa wird der Effekt größer sein als in den USA, doch das Wachstum wird überall leiden.

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Die ganz große Gefahr sind jedoch nicht westliche Sanktionen gegen Russland, sondern russische Exportstopps. Russland kann in einem fragilen Ölmarkt die Ölexporte z.B. um 20 % reduzieren. Dadurch kann Russland asymmetrisch Schaden verursachen. Eine Reduktion der Exporte führt zu höheren Preisen. Russland verliert also nicht unbedingt Einnahmen, wenn es weniger exportiert. Alle anderen Länder hingegen müssen deutlich höhere Preise bezahlen und leiden unter Knappheit.

Wenn alles schiefgeht, was schiefgehen kann, ist ein weiterer Inflationsschock nicht auszuschließen. Wenn die Geschichte jedoch eines lehrt: Der Worst Case tritt seltener ein als man denkt. Das wird aller Wahrscheinlichkeit auch dieses Mal wieder so sein. Wenn sich Russland nämlich eines nicht leisten kann, dann ist es China zu verlieren. China hat kein Interesse an einem Rohstoffkrieg, geschweige denn an einem Konflikt, in dem Atomwaffen eingesetzt werden.

Wirtschaftlich hat der Krieg Folgen, die uns lange begleiten werden. Roubinis Kreation einer stagflationären Rezession gehört nicht dazu.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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