Coronavirus: DWS passt Prognosen an
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Die Verbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2), welches den Infekt Covid-19 verursacht, hat sich seit unserer regulären vierteljährlichen Strategiesitzung am 20. Februar außerhalb Chinas deutlich beschleunigt. Zudem haben Russland und Saudi Arabien mit einem offen ausgetragenen Preiskampf einen Ölpreissturz herbeigeführt. Beides entsprach nicht unserem Kernszenario, weshalb wir in einer außerordentlichen Strategiesitzung sowohl unsere volkswirtschaftlichen Prognosen wie auch unsere Kursziele für die einzelnen Anlageklassen überarbeitet haben.
Im Wesentlichen haben wir die Wachstumsprognosen für die USA und Eurozone reduziert, die Renditeniveaus der Anleihen nach unten angepasst, sowie die Unternehmensgewinnschätzungen revidiert. Da wir jedoch vorsichtig optimistisch davon ausgehen, dass das Virus ein temporärer Schock bleiben wird, der im März 2021 Wirtschaft und Märkte kaum noch tangieren dürfte, haben wir die Indexziele weniger stark angepasst. Den Ölpreis sehen wir in zwölf Monaten jetzt bei mindestens 40 Dollar je Fass. Bevor wir diese Änderungen im Detail kommentieren, wollen wir kurz darlegen, welche Geschehnisse seit unserer letzten Strategiesitzung die Änderungen notwendig gemacht haben.
DAS VIRUS ENTDECKT DIE WELT, DIE WELT ENTDECKT DAS VIRUS
Mit der sprunghaften Verbreitung des Virus außerhalb Chinas haben sich die Sorgen über eine Wachstumsverlangsamung von Asien, insbesondere China, nach Europa und die USA verlagert. Für diese Regionen werden von verschiedenen Instituten die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr bereits nach unten revidiert. Ein Wachstumsrückgang könnte wiederum Rückkoppelungseffekte auf die Wirtschaft Asiens haben. Immer mehr börsennotierte Unternehmen nehmen ebenfalls ihre Umsatz- und Gewinnprognosen für 2020 zurück. Von einer Beschränkung der Wachstumsdelle auf Asien und auf das erste Quartal kann schon länger nicht mehr ausgegangen werden. Wir erwarten mittlerweile auch nicht mehr, dass eine Rückkehr zur Normalität im zweiten Quartal erfolgen wird.
Entscheidend für den weiteren Verlauf der Wirtschaft und der Märkte bleiben die Einhegung des Virus und der deutliche Rückgang der Neuansteckungen. Seit Anfang März übersteigen die Neuansteckungen außerhalb Chinas die von China. Fast ein Drittel aller Fälle (von 114.600 am 10. März) wurden mittlerweile außerhalb Chinas gemeldet. Die Neuansteckungen nehmen in vielen Ländern absolut noch zu. Am stärksten in Italien, wo fast 10.000 Infizierte und beinah 500 Tote gezählt wurden, was die Regierung zum Wochenbeginn dazu veranlasste, das gesamte Land de facto unter Quarantäne zu stellen. Andererseits sind im ebenfalls stark betroffenen Süd Korea (7.500 Fälle) die Neuansteckungen klar rückläufig. Die Epidemie entwickelte sich damit ähnlich wie in der chinesischen Provinz Hubei, wo die Epidemie ihren Lauf nahm.
Mit Dauer und Verbreitung des Virus, und insbesondere der damit einhergehenden Maßnahmen von Staaten, Unternehmen und Bevölkerung, steigt das Ausmaß der Wirtschaftseinbußen. Mindestens so problematisch ist die damit steigende Wahrscheinlichkeit, dass aus Umsatzproblemen Solvenzprobleme heranwachsen. Die Entwicklungen am Kredit - und Hochzinsanleihenmarkt müssen daher genau beobachtet werden. Die Risikoprämien schossen am Montag weltweit in die Höhe, insbesondere im Hochzinssegment. Die Zentralbanken dürften um diese Problematik wissen und notfalls mit Liquiditätsspritzen und Überbrückungskrediten bereitstehen.
Zu den wirtschaftlichen Folgen der Epidemie gibt es aufgrund der zeitlich verzögerten Ausbreitung derzeit nur vereinzelt Datenpunkte. Die Einkaufsmanagerindizes in China für Februar brachen auf Rekordtiefs ein, in einzelnen Segmenten (Auto- oder Handyverkäufe, Restaurantbesuche) brach im Februar die Geschäftstätigkeit um mehr als die Hälfte ein. Für Europa und die USA gibt es noch keine aggregierten Zahlen, die nach dem sprunghaften Ausbruch erfasst wurden. Einzelne Fluggesellschaften in Europa haben ihre Kapazitäten zur Hälfte stillgelegt.
Die Kapitalmärkte haben seit unserem regulären strategischen Meeting (CIO Day) starke Bewegungen vollzogen. Die großen westlichen Aktienmärkte haben zweistellig nachgegeben, die meisten von ihnen befinden sich mit Verlusten von über 20 Prozent seit ihren Höchstständen im Bärenmarkt. Die implizierte Volatilität (CBOE Volatility Index (Vix)) sowohl auf den S&P 500 und den Euro Stoxx 50 befand sich mit Werten von teilweise über 60 auf Niveaus, die seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr erreicht worden sind. Der Ölpreis hat sich allein seit dem CIO Day um ein weiteres Drittel verbilligt, während Gold weiter zulegte. Der Euro verteuerte sich gegenüber dem Dollar deutlich und stieg von 1,08 auf zeitweise 1,15 Euro je Dollar. Am dramatischsten waren jedoch die Bewegungen am Rentenmarkt, wo erstmals in der Geschichte alle Laufzeiten der USStaatsanleihen mit weniger als 1,0 Prozent rentierten. Die zehnjährige Rendite fiel kurzzeitig auf 0,32 Prozent, beim Bund waren es -0,91 Prozent. Die Inflationserwartungen der OECD-Länder bewegen sind wieder stark rückläufig.
Während viele Zentralbanken Asiens bereits im Februar mit Zinssenkungen und anderen Maßnahmen auf das Virus reagierten, folgte die US Federal Reserve (Fed) Anfang März mit einer überraschenden Zinssenkung um 50 Basispunkte. Im Markt sind weitere Zinssenkungen für den 18. März bereits eingepreist. Die Europäische Zentralbank (EZB) hielt sich bisher bedeckt, doch erwarten wir umfangreiche Maßnahmen von ihr.
PROGNOSEÄNDERUNGEN
Aufgrund dieser veränderten Rahmenbedingungen haben wir untenstehende Prognoseanpassungen vorgenommen. Wir betonen dabei jedoch, dass das Coronavirus sowohl in Europa als auch in den USA noch eine Dynamik entfalten kann, die in wenigen Wochen eine erneute Anpassung erfordern kann. Alleine eine sehr vorsichtige Gangart amerikanischer Firmen gegenüber ihren Mitarbeitern könnte noch stärker auf die Gewinnmargen der Unternehmen drücken, als vom Markt bisher angenommen. Im Wesentlichen basiert unser Kernszenario aber auf der Annahme, dass die Anzahl der Neuansteckungen sowohl in den USA wie auch Europa im zweiten Quartal ihren Höhepunkt überschritten haben wird. Auch sollte es zu keiner zweiten großen Ansteckungswelle in Asien aufgrund der weitflächigen Wiederaufnahme der Arbeit in China oder durch Neuansteckungen von Außerhalb kommen. Ein negativer Dominoeffekt in diesen Regionen als Folge der Vorsorgemaßnahme dürfte kein größeres Ausmaß erreichen. Im März 2021, unserem Prognosehorizont, sollte das Virus aus wirtschaftlicher Sicht nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
Wirtschaftswachstum: Wir haben unsere Wachstumsprognosen für die kommenden zwölf Monate deutlich runtergenommen. Wir lassen die 2021er Bruttoinlandsprodukt- (BIP-) Wachstumsraten vorerst unverändert. Für die USA erwarten wir für 2020 nun 1,0 statt 1,6 Prozent und für die Eurozone 0,0 statt 0,6 Prozent.. Japan und China bleiben unverändert.
Zentralbanken: Wir erwarten in den kommenden zwei Monaten zwei weitere Zinsschritte der Fed. Im Falle einer deutlichen Verschlechterung der Lage wäre auch eine Wiederaufnahme der Anleihekäufe denkbar. Die EZB dürfte in Kürze den Einlagenzinssatz um 10 Basispunkte auf dann -0,6 Prozent senken. Darüber hinaus erwarten wir spezielle Maßnahmen um Liquiditätsengpässe im Mittelstand zu überbrücken, sowie eine temporäre Aufstockung des Anleihekaufprogramms mit Fokus auf Unternehmensanleihen.
Anleihen und Devisen: Die jüngste Renditerutsche in eine temporäre und eine strukturelle Komponente aufzuteilen ist nicht leicht. Auch bei der von uns erwarteten, insgesamt überschaubaren Entwicklung des Virus gehen wir davon aus, dass der jüngste Renditefall bei Staatsanleihen ein nachhaltiges Element enthält. Nicht zuletzt, da sich die Zentralbanken schwer tun werden, ihre derzeitigen Zinskürzungen wieder rückgängig zu machen. Zehnjährige US-Staatsanleihen sehen wir jetzt mit 0,9 Prozent rentieren, Bundesanleihen bei -0,5 Prozent. Auch wenn wir die Risikoaufschläge für US-, Euro- und Schwellenländeranleihen nach oben angepasst haben, erwarten gegenüber dem heutigen Stand eine Einengung. So angespannt die Lage hier aufgrund des Preiskriegs vorerst bleiben wird, gehen wir von einer Erholung des Ölpreis binnen zwölf Monaten auf 40 Dollar (bisherige Prognose: 54 Dollar) je Fass der Sorte West Texas Intermediate (WTI) aus. Bei Währungen spricht einerseits die weitgehend parallele Kürzung der Anleiherenditen und Wachstumsaussichten für wenig Bewegung. Andererseits könnte sich die Perzeption, welche Währung als sicherer Hafen oder als Finanzierungswährung fungiert, im Laufe der kommenden Monate noch ändern. Wir belassen Euro-Dollar bei 1,15 und die Dollar-Yen-Prognose bei 105.
Aktien: Mit Blick auf die Gewinnentwicklung dürfte unseres Erachtens das Jahr 2020 weitgehend gelaufen sein. Im ersten Halbjahr dürften die Gewinne stark rückläufig sein. Die Erholung im zweiten Halbjahr wird unseres Erachtens nicht ausreichen, um diesen Rückgang zu kompensieren, so dass wir für die kommenden zwölf Monate nunmehr mit Gewinnrückgängen von fünf bis zehn Prozent für die einzelnen Regionen rechnen. Zudem haben wir auch unsere 2021er Gewinnprognosen reduziert. Für den S&P 500 erwarten wir nunmehr einen Stand von 3.200 per Ende März 2021 (davor: 3.500), für den Euro Stoxx 50 von 3.500 (von 3.880) und für den Dax von 13.000 (14.300). Da wir mit keinem Gewinnwachstum rechnen, ergibt sich das zweistellige Kurspotential (in Prozent) aus einer Ausweitung der Bewertungsmultiplikatoren. Diese erwarten wir, da in unserem Szenario das Virus für die Anleger so gut wie keine Rolle mehr spielen wird.
Fazit: Das Virus, und die damit einhergehenden Präventionsmaßnahmen bleiben in den kommenden Wochen eine schwer kalkulierbarer Faktor, was insbesondere im Falle Europas und der USA erhebliche Auswirkung auf das globale Wachstum und die Stimmung an den Märkten haben würde. In unserem Kernszenario gehen wir insgesamt von einem ähnlichen Verlauf wie in Hubei oder Südkorea aus. Etwas Hoffnung dürfte zudem der Umstand machen, dass man auf der Lernkurve bezüglich des Virus voranschreitet und an medizinischen Lösungen gearbeitet wird. In unserem Kernszenario bleibt das Virus damit aus wirtschaftlicher Sicht ein temporärer Angebots- und Nachfrageschock. In zwölf Monaten dürften sich dann entsprechend viele wirtschaftliche Kennziffern ihrem Vorkrisenniveau annähern. Nachhaltiger, denken wir, dürften das noch niedrigere Zinsniveau, sowie das vertane Potenzial der Fiskalpakete sein. Statt in produktivitätssteigende Investitionen zu fließen, dürften die nun geschnürten Fiskalpakete in erster Linie darauf ausgerichtet sein, den Konsum zu fördern. Längerfristig ein klarer Malus.
Auch wenn wir insgesamt längerfristig (auf die nächsten zwölf Monate gesehen) unsere konstruktive Einschätzung insbesondere für Aktien beibehalten, rechnen wir kurzfristig weiter mit volatilen Märkten, die auch neue Tiefpunkte markieren könnten. Als wesentliches Risiko sei neben einem ungünstigeren Verlauf der Epidemie noch ein weiteres genannt: dass das Virus von den Anlegern als Anlass genommen wird, die strukturellen Ungleichgewichte, die sich unter anderem durch die extrem lockere Geldpolitik seit der Finanzkrise aufgebaut haben, neu zu bewerten.
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