China, Zinsen, Energie: Struktureller Wandel wird die Märkte auf Jahre hinaus prägen
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„Wir sehen eine deutliche Abkopplung Chinas von den Vereinigten Staaten und Europa, die ihrerseits immer mehr zu einer gemeinsamen Front oder einem Block werden“, erläutert Russo. Diese Abkopplung werde viele Jahre dauern und im Wesentlichen eine Abkehr von der Globalisierung bedeuten. Dies werfe für alle Anleger zwei wichtige Fragen auf. Erstens: Wie werden sich die Auswirkungen auf das globale Wachstum gestalten? Denn obwohl sich die chinesische Wirtschaft in den letzten Jahren sukzessive verlangsamt hat, trug sie jahrzehntelang wesentlich zum weltweiten BIP-Wachstum bei. Und zweitens: Was wird mit den Lieferketten geschehen? „Wenn sich die Volkswirtschaften stärker lokalisieren, könnten sie als Reaktion auf den Rückzug Chinas ändern, was sie produzieren und welche Geschäfte sie betreiben. Einige Länder könnten davon profitieren – man denke nur an Mexiko und eine Reihe weiterer Länder, die geopolitisch und wirtschaftlich zwischen China und dem Westen angesiedelt sind, wie Indien und Vietnam“, sagt Russo.
Auf dem Weg in die alte Zins-Normalität
Doch nicht nur die geopolitischen Umwälzungen wirken sich aus: Auch die höheren Zinssätze haben dramatische Auswirkungen auf das Finanzsystem. Russo weist auf die wesentlich höheren Kreditkosten hin. So sei der 3-Monats-LIBOR-Satz in den USA zum Beispiel allein in diesem Jahr von nahezu Null auf über vier Prozent gestiegen. „Nach mehr als einem Jahrzehnt historisch niedriger Zinssätze könnte die eigentliche Erkenntnis sein, dass das Kapital nicht mehr kostenlos ist“, erklärt Russo. „Auf der anderen Seite bedeuten höhere Zinssätze höhere Renditen für die Anleger. In Zukunft wird es wahrscheinlich attraktive Alternativen zu Aktien und anderen Risikoassets geben – eine willkommene Nachricht für viele Investoren.“
Die große Frage bleibt jedoch seiner Meinung nach bestehen: Werden höhere Zinsen die neue Normalität sein oder handelt es sich um eine vorübergehende Erscheinung? „Unserer Ansicht nach deuten die Zahlen auf Ersteres hin. Wenn die US-Inflation, die derzeit bei etwa acht Prozent liegt, zu sinken beginnt und im Laufe des Zyklus zwei bis vier Prozent erreicht, was eine vernünftige Annahme zu sein scheint, und wenn die US-Notenbank den Leitzins bis 2023 anhebt, könnten Zinssätze von fünf Prozent oder mehr zur Norm werden.“ Dies sei zwar ein erheblicher Sprung gegenüber dem Vorjahr, aber vor der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 seien die Zinssätze in der Regel auf diesem oder einem höheren Niveau gelegen. Also eine Rückkehrt zur Normalität? Es bestehe allerdings die Gefahr, dass der Übergang zu höheren Zinsen holprig werde. Die jüngsten Verwerfungen auf dem britischen Anleihemarkt seien dafür ein Paradebeispiel gewesen. „Weitere Störungen sind möglich und wir beobachten genau, ob es zu Veränderungen kommt, insbesondere im Hinblick auf die Liquidität“, erläutert Russo.
Energie-Alternativen noch unterentwickelt
Als dritten zentralen Gamechanger in der Investmentwelt sei schließlich die Energiewende anzusehen. „Obwohl bei den Technologien in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht wurden, sind erneuerbare Energien aus Wind, Sonne, Wasserstoff und anderen Quellen noch nicht weit genug verbreitet, um die Energielücke zu schließen, die durch den Verlust der russischen fossilen Brennstoffe in Europa und im Westen entsteht“, befindet Russo. Eine Kombination aus Erdöl, Erdgas, Kernkraft und Kohle werde länger als erwartet benötigt werden, was den Übergang zu sauberer Energie neu definiere und verlängere. Für Anleger habe dies unmittelbare Auswirkungen – egal ob sie direkt in diese Unternehmen investieren wollten oder nicht.
Insgesamt lasse sich feststellen, dass der Wandel auch Chancen mit sich bringe. „Kurzfristiges Momentum hat die Märkte eine Zeit lang angetrieben, aber wir glauben, dass aktives Investieren in den kommenden Jahren entscheidend sein wird, um den zunehmend komplexen Markt zu navigieren“, resümiert Russo.
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