Kommentar
18:00 Uhr, 19.12.2008

China: Wachstum bricht zusammen

Von Jan Amrit Poser, Chefvolkswirt beim Bankhaus Sarasin

Nachdem die makroökonomischen Daten nun kaum mehr einen Zweifel daran zulassen, dass sich die industrialisierte Welt in einer Rezession befindet, richten sich alle Wachstumshoffnungen auf die Schwellenländer. Diese Hoffnungen sind nicht unberechtigt: Aufgrund des geringeren Sophistizierungsgrades ihrer Bankensysteme, sind viele Schwellenländer von der Kreditkrise weitaus weniger betroffen als die Industrieländer. Zweitens ist das Potenzialwachstum in den Schwellenländern aufgrund des starken Bevölkerungswachstums weitaus höher. Drittens sind die Länder aufgrund der Jugendlichkeit ihrer Bevölkerungsstruktur konsumfreudiger.

Zudem beschert die rasche Übernahme bestehender Technologien den Schwellenländern ein höheres Produktivitätswachstum. Dieser Aufholprozess verhilft ihnen zusätzlich zu höheren Investitionen. Als das Paradebeispiel eines gelungenen Entwicklungsprozesses gilt China, das in den letzten fünfzehn Jahren um durchschnittlich zehn Prozent gewachsen ist. Wird China den weltwirtschaftlichen Karren aus dem Graben ziehen können?

Exportgertrieben Wachstumsstrategie

Diese Hoffnungen werden wahrscheinlich kurzfristig enttäuscht. Der Grund ist, dass China zu lange zu stark an einer merkantilistischen Entwicklungsstrategie mit dem Hauptaugenmerk auf Exportwachstum festgehalten hat. Der Konsumboom in Amerika, der sich aus der Immobilien- und Kreditblase heraus entwickelt hat, trieb auch die chinesischen Exporte in die Höhe. Das sich daraus ergebende Handelsdefizit der USA, finanzierten Schwellenländer wie China, indem sie den USA günstiges Kapital bereitstellten und somit den Kreditboom weiter anheizten.

Die Grafik China: Exportgetriebene Wachstumsstrategie widerspiegelt diese Strategie: Chinas Exportquote am Bruttoinlandsprodukt hat sich in den letzten 20 Jahren von rund zehn Prozent auf 40 Prozent erhöht. Der Leistungsbilanzüberschuss beträgt mittlerweile zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Eine künstlich unterbewertete Währung half dabei. Positiv für den Rest der Welt war, dass sich auch die Importquote stark erhöht hat. Der für die Produktion der für die Industrieländer bestimmten Exporte notwendige Ressourcenbedarf hat unter anderem die Rohstoffpreise explodieren lassen. Die Grafik Rohstoffpreisverfall deutet Importschwäche an zeigt, dass die chinesischen Rohwarenimporte stark mit dem Rohstoffpreisindex korreliert sind.

Alarmsignale aus China

Diese Korrelation verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Die Rohstoffpreise sind eingebrochen und sind inzwischen konsistent mit einem Rückgang der Rohwarenimporte, wie es ihn zuletzt in der Asienkrise 1998 gegeben hat. Der Rohstoffnachfragerückgang bedeutet, dass industriell hergestellte Güter ebenfalls unter Absatzschwäche leiden. Das ist wiederum kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sich die meisten Exportländer Chinas von den USA, bis Europa und Japan in der Rezession befinden. Insbesondere die Anpassung des aufgeblähten Konsums in Amerika und der damit einhergehende Rückgang des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits wird China überproportional hart treffen.

Der in der Grafik (Chinas Einkaufsmanagerindex fällt vom Kliff) dargestellte Einkaufsmanagerindex aus dem Verarbeitenden Gewerbe deutet daraufhin, dass die Industrieproduktion vom Kliff gefallen ist. Das Jahreswachstum der Industrieproduktion sollte sich gemäß diesem Indikator auf zwei Prozent verlangsamen und es ist unklar, wann der Abwärtstrend stoppt. Auch der erstmalige Rückgang der Elektrizitätsproduktion Chinas - ein verlässlicherer Ersatzindikator für das Bruttoinlandsprodukt - muss als Warnsignal aufgefasst werden (siehe Grafik).

Verzweifelte geldpolitische Maßnahmen

Die Behörden haben reagiert. Seit Mitte 2008 sind die Leitzinsen der People’s Bank of China um mehr als 200 Basispunkte gesenkt worden. Auch der Mindestreservesatz, den die Banken bei der Zentralbank halten müssen, ist gesenkt worden. Nachdem die chinesische Zentralbank in den letzten drei Jahren verzweifelt gegen das hohe Wachstum angekämpft hatte, hat die Geldpolitik noch rascher in den Rückwärtsgang geschaltet.

Allerdings sind diese geldpolitischen Maßnahmen wenig geeignet, das fundamentale Problem der chinesischen Wirtschaft zu lösen. Die Lockerung der Kreditbedingungen verpufft in Zeiten schwacher Aktienmärkte und fallender Immobilienpreise weitgehend als wirkungslos. Die chinesische Wirtschaft ist zudem zu wenig finanzsektorbasiert, als dass die Maßnahmen starke Wirkung zeigen können. Vor allem aber adressieren sie nicht die Exportschwäche oder schaffen keinen nennenswerten Ersatz.

Die Fiskalpolitik greift ein

Den Behörden sind diese Defizite offenbar sehr bewusst. In einem Befreiungsschlag hat das Finanzministerium vor einigen Wochen ein Fiskalpaket in der Höhe von 600 Mrd. Dollar zusammengestellt, das den folgenden Maßnahmenkatalog umfasst:

- Investitionen in erschwingliche Immobilien

- Ländliche Infrastruktur: Elektrizität und Strassen

- Transportnetzwerk: Bahnstrecken, Flughäfen

- Gesundheit und Erziehung

- Umwelt und Katastrophenschutz

- Industrie und Innovation

- Einkommenspolitik

- Mehrwertsteuerreform

- Finanzsektorreform

Das Paket wiegt immerhin 15 Prozent des BIP. Die meisten Maßnahmen zielen darauf ab, Chinas ungleichgewichtiges Wachstum auf solidere Beine zu stellen und die Inlandsnachfrage zu stärken. Jeder zweite Yuan wird in China bisher noch gespart. Damit hat China die höchste Sparquote der Welt. Wenn China einen nennenswerten Beitrag zur Linderung der Weltrezession leisten soll, muss der private Konsum angekurbelt werden.

Gedämpfter Ausblick für China

Ob dieses Unterfangen gelingt, ist fraglich. Das Gleichgewicht zwischen dem Wachstum von Exporten und Binnennachfrage ist weitaus schwieriger zu erreichen, wenn die Arbeitslosigkeit steigt. Die Maßnahmen scheinen ebenfalls nicht neu zu sein. Eine Vielzahl ist zuvor schon angekündigt worden und wird nun lediglich vorgezogen. Wir denken, dass den chinesischen Behörden bewusst ist, was auf dem Spiel steht. Die Anpassung des Konsumüberhangs der USA droht Chinas Wachstum unter sein Potenzial von acht Prozent zu drücken. Dies birgt das Risiko sozialer Unruhen in dem autoritär regierten Land und damit eine Bedrohung für das Regime. Falls die Maßnahmen nicht greifen, ist denkbar, dass weitere Ressourcen mobilisiert werden. China sitzt auf den größten Devisenreserven der Welt in der Höhe von knapp 1.800 Mrd. Dollar. Für die Welt und China wird ein beherztes Eingreifen der Behörden essenziell sein.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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