China und der globale "supply shock"
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Der Aufstieg der so genannten BRIC-Volkswirtschaften (Brasilien, Russland, Indien und China) und deren Einfluss auf den weltweiten Handel, die Warenströme und das Wirtschaftswachstum wird niemandem entgangen sein.
In den letzten zehn Jahren haben wir einen massiven Anstieg des Welthandels erlebt, der maßgeblich von der lebhafteren Wirtschaftstätigkeit in den BRIC-Ländern angetrieben wurde.
Die deutlichste Zunahme verzeichnete der Handel Chinas, der sich seit Anfang der 1990er Jahre vervielfacht hat. 1990 betrug Chinas Anteil am Welthandel noch 1,2 Prozent; 2004 war dieser Anteil bereits auf 7,0 Prozent angestiegen. Damit ist China nach Japan der größte Exporteur in Asien.
Diese Entwicklung macht sich am stärksten bei den Preisen bemerkbar, die erheblich gefallen sind, und dem Rückgang der Inflationsrate. Dies lässt sich vor allem an den Preisen für Bekleidung und Computer- Hardware ablesen, die in den USA seit 1998 um ca. 10 bzw. 80 Prozent gesunken sind.
Hinzu kommen die geringen Arbeitskosten in den Schwellenländern und insbesondere China, wo die Stundenlöhne im verarbeitenden Gewerbe einem Bruchteil (3 Prozent!) der in den USA gezahlten Löhne entsprechen. Für amerikanische und europäische Unternehmen besteht daher ein klarer Anreiz zur Produktionsverlagerung, der wiederum zu einem anhaltenden Druck auf die Arbeitskosten und Preise in den OECD-Ländern führt.
Wie lange wird diese Entwicklung anhalten?
Dieses Szenario gab es in der Vergangenheit schon häufiger. Es kommt nicht überraschend. Die entscheidende Frage zu diesem Zeitpunkt lautet aber: Wie lange wird dieser Trend noch anhalten?
Angesichts des Potenzials von rund einer Milliarde Arbeitskräften in den BRIC-Volkswirtschaften rechnen wir mit einem kontinuierlichen Anstieg des Angebots und einer Ausweitung der Kluft zwischen den großen Handelspartnern bei Produktions- und Lohnkosten.
Die gegenwärtige Situation ähnelt in gewisser Weise der weltwirtschaftlichen Lage in den 1950er Jahren. Zwar war die Situation insofern anders, als dass die Weltwirtschaft sich damals gerade von den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs erholte, aber die Nachkriegszeit war dennoch – wie auch heute – eine Periode der Globalisierung. Die Volkswirtschaften Europas und Japans, wo seinerzeit zu niedrigen Kosten produziert wurde, fungierten damals als Antriebsmotor für das rapide Wachstum der Weltwirtschaft.
Als prozentualer Anteil der US-Fertigungslöhne entsprachen die Lohnkosten in Europa 1950 in etwa den heutzutage in asiatischen Schwellenländern gezahlten Fertigungslöhnen. Dieser Kostenvorteil trug zu einer langen Periode des Wachstums in Europa und Japan bei. In Frankreich bezeichnet man diesen Zeitraum von 1945 bis 1975 immer noch als die „trente glorieuses“, die Boomjahre der Nachkriegszeit.
Das Ende dieses Konjunkturhochs war auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen. Einer der wichtigsten Gründe war jedoch, dass Europa und Japan ihren Kostenvorteil gegenüber den USA einbüssten. Ein wichtiger Faktor in einem konjunkturellen Szenario, das seine Dynamik vor allem aus dem von niedrigen Lohnkosten angetriebenen Welthandel bezog. Hier spiegelte sich der Anstieg des Lebensstandards und der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jahre wider, der wiederum zu einer Freigabe der Wechselkurse gegenüber dem Dollar führte. In der Folge zogen die Währungen Europas und Japans erheblich an.
Immerhin dauerte es 30 Jahre, bis die Fertigungslöhne und damit die Preise in Europa und Japan aufgeholt hatten. Daran zeigt sich, über welch lange Zeiträume sich diese makroökonomischen Entwicklungen abspielen können.
Dieses Szenario könnte sich jetzt auch in China wiederholen.
Die chinesischen Fertigungslöhne sind in den letzten fünf Jahren um 30 Prozent gestiegen und noch ist kein Ende des Aufwärtstrends abzusehen. Bisher hat sich diese Entwicklung jedoch noch nicht wesentlich auf den Unterschied zwischen den Produktionskosten in den USA und China ausgewirkt.
Bislang ist es noch nicht zu einer wesentlichen Beschleunigung des Lohnwachstums gekommen, da das Angebot an Arbeitskräften im produzierenden Gewerbe weiterhin zunimmt. Obwohl China seine ländliche Bevölkerung stetig in die gewerbliche Wirtschaft absorbiert, ist die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung laut Schätzungen immer noch im landwirtschaftlichen Sektor beschäftigt.
Es ist durchaus möglich, dass der chinesische Agrarsektor auch mit 230 Millionen Arbeitern weniger noch den gleichen Output erzielen kann. Wenn dem so ist, würde die Wiederbeschäftigung dieser Arbeiter in der Industrie ausreichen, um die gegenwärtige Migrationsrate vom Land in die Stadt noch für weitere 14 Jahre aufrechtzuerhalten.
Dieser Trend würde die Struktur der globalen Fertigung weiter verändern. Während Chinas Anteil an der globalen Fertigung heute bei 8 Prozent liegt, könnte dieser Anteil bis 2030 auf 20 Prozent steigen. Desgleichen würde der Verfall der Preise für Industriewaren diejenigen Volkswirtschaften unter Druck setzen, auf deren industrielle Produktion gegenwärtig ein erheblicher Anteil ihres BIP entfällt. Sowohl die USA als auch die Eurozone müssen sich auf einen Rückgang ihrer Marktanteile gefasst machen, die derzeit noch den Löwenanteil ausmachen.
Folgen für die Märkte
Was bedeutet dies für die globalen Märkte? Wahrscheinliche Folgen sind ein anhaltender Druck auf Löhne und Preise in den OECD-Ländern sowie eine starke Nachfrage nach Rohstoffen und Investitionsgütern, da der industrielle Ausstoß in den BRIC-Volkswirtschaften steigt. Diese Faktoren sind einem Umfeld förderlich, das von niedriger Inflation, niedrigen Zinsen und hoher Liquidität gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu früheren Phasen mit niedriger Inflation wird das Wachstum jedoch wohl anhalten, da die wachsende Bevölkerung der BRIC-Länder für neue Nachfrage nach Waren sorgt.
Vor allem Energie- und Rohstoffunternehmen werden von der gestiegenen Nachfrage nach Rohwaren profitieren, aber auch Unternehmen des Rüstungssektors und im Bereich Infrastruktur sollten gut abschneiden, wenn die aufstrebenden Volkswirtschaften an wirtschaftlicher Leistungskraft zulegen und verstärkt in ihre weitere Entwicklung investieren.
Die demografischen Daten Chinas sollten sich für Unternehmen in den Bereichen Gesundheitswesen, Tourismus und Finanzdienstleistungen als günstig erweisen. Die Altersgruppe der 40- bis 59-Jährigen wird bald die größte Altersgruppe innerhalb der enormen Bevölkerung Chinas stellen (im Gegensatz zu Indien ist die Bevölkerungsentwicklung in China aufgrund der Einkindpolitik relativ stabil und sollte nicht wesentlich zulegen). Daher wird das Potenzial an frei verfügbarem Einkommen wohl für Gesundheits- und Altersvorsorge sowie Reisen aufgewendet werden.
Dabei sollte man jedoch beachten, dass trotz zunehmender wirtschaftlicher Macht und wachsendem Anteil an der Weltproduktion chinesische Aktien aufgrund geringer Gewinnspannen und der bescheidenen Ertragslage der Unternehmen nicht unbedingt besonders gut abschneiden werden.
Die Unternehmen, die am ehesten von der Wachstumsentwicklung in Schwellenländern profitieren werden, sind die so genannten Plattformunternehmen. Unternehmen wie Dell oder Apple in den USA erhöhen den Wert ihrer Produkte in den USA oder Europa durch professionelles Design und/oder Forschungs- und Entwicklungskompetenzen und lassen diese Produkte dann in BRIC-Niedriglohnländern fertigen.
Auch wenn der Economist der chinesischen Boom-Wirtschaft eine Titelgeschichte gewidmet hat, heißt das nicht, dass sich die Märkte der Folgen vollständig bewusst sind. Der globale supply shock ist beileibe noch nicht ausgestanden, und unserer Auffassung nach hat der Markt die Entwicklung noch nicht voll eingepreist.
Quelle: Schroders
Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2005 rund 158,2 Mrd. Euro.
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