Kommentar
14:56 Uhr, 08.05.2007

China: Mehr Volatilität in Sicht?

Chinesische Aktien waren in den ersten drei Monaten dieses Jahres äußerst volatil, sind aber Ende März wieder auf neue Allzeithochs gestiegen. Geht die Kursrallye, die vor einem Jahr begonnen hat, jetzt weiter oder ist mehr Volatilität in Sicht?

2006 war ein außergewöhnliches Jahr für chinesische Aktien: Der MSCI China Index stieg (umgerechnet in US-Dollar) um 82,9%, der Hang Seng erreichte im Dezember ein Allzeithoch, und der FTSE China Xinhua A200 Index, der die Wertentwicklung der an den Inlandsbörsen notierten A-Shares misst, legte 131,5% zu. Die Marktkapitalisierung des A-Share-Segments stieg aufgrund von Kursgewinnen und der Börsengänge einiger großer Staatsunternehmen von umgerechnet 400 Mrd. auf 1 Bill. US-Dollar.

Als aber am 30. Januar 2007 Volkskongress-Vize Cheng Siwei öffentlich vor einer Bubble warnte, brachen die Aktienkurse ein, und am 26. Februar verlor der Aktienmarkt von Shanghai erneut – nahezu 9% an einem einzigen Tag, der höchste Tagesverlust aller Zeiten, für den sich zudem kaum triftige Gründe finden ließen. Zwar erholte sich der Markt rasch und stieg Ende März auf ein neues Allzeithoch, doch steht eines fest: Die Anleger sind nervös geworden. Bestärkt durch Cheng Siweis Äußerungen glaubten einige Marktteilnehmer sogar, bereits erste Anzeichen für eine Spekulationsblase am A-Share-Markt zu sehen: Index und Handelsvolumen befinden sich auf Rekordhoch (das tägliche Handelsvolumen beträgt 8,9 Mrd. Dollar, und jeden Monat werden 17% der gesamten Marktkapitalisierung umgesetzt); die Kurse von IPOs stiegen in den Tagen nach ihrer Erstnotiz deutlich; 2006 wurden für 41 Mrd. Dollar Anteile an Publikumsaktienfonds gezeichnet (der überwiegende Teil davon im 4. Quartal); nach Schätzungen sind 2006 20 Mrd. Dollar von Sparkonten in Publikumsfonds umgeschichtet worden; immer mehr Privatanleger eröffnen Depotkonten, etc.

Das B-Wort …

Man muss jedoch bedenken, dass chinesische A-Shares Anfang 2006 fünf Jahre Baisse hinter sich hatten. Der Shanghai A Composite Index war von seinem Höchststand im Jahr 2001 bis zu seinem Tiefststand 2005 um 50% gefallen. Im gleichen Zeitraum sind BIP und Volkseinkommen im Durchschnitt über 10% p.a. gestiegen. Umsatzund Gewinnwachstum der Unternehmen haben sich stark beschleunigt und die Erwartungen deutlich übertroffen. Von all diesen positiven Entwicklungen nahmen die Anleger, und insbesondere die am A-Share-Markt aktiven inländischen Investoren, keine Notiz – zumindest bis 2005, als die Regierung im April die nicht handelbaren Aktien reformierte und im Juli den festen Wechselkurs des Renminbi gegenüber dem US-Dollar durch eine weniger feste Bindung an einen Währungskorb ersetzte. Tatsächlich war die deutliche Markterholung im Jahr 2006 fundamental begründet.

Und die Fundamentaldaten bleiben gut: Chinas beeindruckende Konjunkturentwicklung dürfte von Dauer sein, die Wachstumsqualität verbessert sich, und wir erwarten in nächster Zeit keinen nennenswerten Rückgang. Das chinesische BIP ist in den letzten fünf Jahren jeweils in zweistelliger Höhe gewachsen, und 2006 hat das reale BIP mit einem Zuwachs von 10,7% erneut die Erwartungen übertroffen. Auch für dieses und für das nächste Jahr erwarten wir in China ein stabiles Wachstum von etwa 10%. Die Inflation ist noch immer niedrig, auch wenn sie leicht von 1,2% im letzten auf 1,4% in diesem Jahr steigen dürfte. Doch haben die Jahre 2001 bis 2005 gezeigt, dass eine gute Konjunktur nicht gleichbedeutend mit steigenden Aktienkursen ist. Ein anhaltend hohes Wachstum macht große Kursverluste zwar unwahrscheinlicher, aber nicht unmöglich. Deshalb sollte man sich zwei andere Faktoren ansehen: Bewertungen und Politik.

Bewertungen …

Die Bewertungen sind heute offensichtlich nicht mehr so attraktiv wie noch vor einem Jahr. Ein KGV von 24,5 beim Shanghai A-Share Index ist aber noch lange nicht zu hoch, zumal in diesem und im nächsten Jahr ein Unternehmensgewinnwachstum von mindestens 20% erwartet wird. Das gleiche gilt für die Börse in Hongkong. Auch hier sind die Bewertungen nicht mehr so niedrig wie Anfang 2006, doch halten wir ein KGV von 15,4 solange für nicht zu hoch, wie sich die Unternehmensgewinnerwartungen für dieses und nächstes Jahr erfüllen oder sie sogar übertroffen werden. Auf die Frage, ob es heute eine Bubble gibt, ist unsere Antwort ein klares Nein.

… und Politik

Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt. Der spektakuläre Aufschwung des A-Share-Markts in weniger als einem Jahr und das zunehmende Engagement unerfahrener Privatanleger ließ Befürchtungen über Spekulationen und Übertreibungen aufkommen. Tatsächlich gab es am A-Share-Markt Übertreibungen, die, wenn sie langfristig Bestand haben, zu einer Bubble und später auch zu einem Börsenkrach führen könnten.

Doch die Regierung ist offensichtlich entschlossen, mit Verwaltungsmaßnahmen, durch die Verringerung der Kapitalzuflüsse und nicht zuletzt durch warnende Worte den Aktienmarkt zu mäßigen. Cheng Siweis Kommentar war noch lange nicht alles. Kurz vor dem chinesischen Neujahrstag am 18. Februar erhöhte die People’s Bank of China (PBoC) zum fünften Mal innerhalb eines Jahres den Mindestreservesatz. Er wurde um 50 Basispunkte auf 10% angehoben – ein Zeichen dafür, dass die Wertpapierkurse bei geldpolitischen Entscheidungen jetzt nicht unberücksichtigt bleiben. Denn ganz offensichtlich hat die übermäßige Liquidität eine wichtige Rolle bei der jüngsten Aktien- und Immobilienmarktrallye gespielt.

Die anhaltend guten Konjunkturdaten und der steigende Inflationsdruck haben die PBoC auch veranlasst, im März die Zinsen um 27 Basispunkte anzuheben. Das gilt sowohl für die Guthabenzinsen (der Einjahreszins beträgt jetzt 2,79%) als auch für die Kreditzinsen (6,39% für ein Jahr). Das ist die dritte Zinserhöhung seit April 2006, so dass die Leitzinsen jetzt so hoch sind wie zuletzt vor acht Jahren. Diese restriktiven Maßnahmen könnten kurzfristig weitere Turbulenzen am Aktienmarkt nach sich ziehen.

Über die geldpolitische Straffung hinaus gibt es auch eine Reihe von Verwaltungsmaßnahmen: So kündigte die Regierung die Wiedereinführung der Wertzuwachssteuer für Grundvermögen (Land Appreciation Tax, LAT) an, um den Immobiliensektor zu beruhigen. Sie ist keine neue Steuer, war aber in der Vergangenheit nie konsequent durchgesetzt worden. Auch warnte die chinesische Bankenaufsicht (CBRC) Geschäftsbanken davor, an Privatpersonen Kredite für Aktieninvestitionen zu vergeben. Außerdem genehmigt die Börsenaufsicht (CSRC) keine neuen Publikumsfonds mehr, und schließlich sagte ein hoher Regierungsbeamter öffentlich, dass Staatsunternehmen nicht am Aktienmarkt spekulieren sollten.

Fest steht, dass die Regierung den Aktienmarkt unter Kontrolle halten möchte. Sie will aber keinen größeren Kursrückgang riskieren, nachdem sie jahrelang alles darangesetzt hatte, den Markt wieder anspringen zu lassen. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass der Staat versuchen wird, die Assetpreis-Inflation in Schach zu halten. Wir zweifeln aber am langfristigen Erfolg dieser Maßnahmen, wenn die Ursachen des Marktungleichgewichts nicht beseitigt werden.

Die Exporte sind noch immer der Wachstumsmotor, was zu einem enormen Außenhandelsüberschuss von 200 Mrd. US-Dollar geführt hat. In Prozent des BIP hat China den höchsten Leistungsbilanzüberschuss weltweit, und das Land verfügt über Währungsreserven von mehr als 1 Bill. US-Dollar. Die chinesische Währung, der Renminbi, steht unter erheblichem Aufwertungsdruck, doch erlauben die Behörden nur eine schrittweise Wechselkursanpassung. Ein Liquiditätsstau ist die Folge, der angesichts des Mangels an Anlageinstrumenten schließlich zu einem weiteren Anstieg der Aktienkurse führen wird – trotz aller Verwaltungsmaßnahmen und der regelmäßigen Versuche, den Markt schlecht zu reden.

Ausblick

Mittel- bis langfristig müssen sich die chinesischen Kapitalmärkte weiterentwickeln. Die privaten Haushalte halten einen unverhältnismäßig großen Anteil ihres Vermögens in Form von Kasse und Bankeinlagen und suchen nach Möglichkeiten zur Umschichtung in risikoreichere und ertragsstärkere Assetklassen. Wenn dies geordnet geschieht und mit einer Weiterentwicklung der Kapitalmärkte einhergeht, steigen Privatvermögen und privater Verbrauch. Wenn es aber zu Übertreibungen kommt, kann die Entwicklung auch ins Desaster führen. Genau das versucht die Regierung zu verhindern und muss dabei einen schwierigen Balanceakt vollziehen.

Trotz (oder vielleicht auch wegen) der jüngsten Höchststände könnten die Märkte erneut um 10 bis 15% fallen. Wir gehen davon aus, dass Mindestreservesätze und Zinsen 2007 möglicherweise weiter erhöht werden und/oder Maßnahmen ergriffen werden, um den Immobilienmarkt zu dämpfen. Ziel ist, das Geld- und Kreditmengenwachstum zu verringern und den Aktienkursanstieg unter Kontrolle zu halten. Das könnte zu Kursschwankungen führen. Dennoch sind wir nicht übermäßig besorgt, da die Banken nach wie vor über mehr als genug Liquidität verfügen und deshalb die geforderte Mindestreservequote übererfüllen. Unserer Meinung nach hat die Regierung kein Interesse daran, die Notbremse zu ziehen und einen deutlichen Konjunktureinbruch zu riskieren, zumal soziale Stabilität und die Schaffung von Arbeitsplätzen noch immer ganz oben auf der Tagesordnung stehen.

Für China bleiben wir deshalb langfristig optimistisch. Die Fiskalpolitik (u.a. die Vorschläge, die Steuern einheimischer und ausländischer Unternehmen zu harmonisieren, die ländlichen und weniger entwickelten Regionen Chinas zu fördern und umweltfreundlichen Branchen Steuererleichterungen zu gewähren) verspricht Gutes für das langfristige Wachstum Chinas. Auch sorgen Marktreformen, zu denen u. a. weitere Notierungen von H-Shares und Red Chips am A-Share- Markt und die Weiterentwicklung der Finanzmärkte gehören, für gute Aussichten. Es ist außerdem davon auszugehen, dass die Unternehmen aufgrund von Management-Anreizsystemen noch effizienter und rentabler werden.

Im Dezember 2006 lockerte China die Einschränkungen für Aktienanreizprogramme und erlaubte sie auch Staatsunternehmen. Laut JP Morgan haben bis heute 41 von insgesamt 1400 Unternehmen am A-Share-Markt Management-Anreizprogramme eingeführt. Wir gehen davon aus, dass Fusionen und Übernahmen, Konsolidierungen und Börsengänge in den kommenden Monaten ebenfalls ein wichtiges Thema bleiben und sich daraus interessante Einzelwertchancen ergeben. Die leichte Aufwertung des Renminbi wird sich fortsetzen und weitere Mittelzuflüsse aus dem Ausland zur Folge haben – sowohl in die Volksrepublik selbst als auch in Aktien mit Notierung in Hongkong, die von der Entwicklung in China profitieren. Hinzu kommt, dass umso mehr über China berichtet wird, je näher die olympischen Spiele in Peking rücken. Davon dürften Infrastrukturwerte und tourismusnahe Branchen profitieren. Insgesamt rechnen wir mittel- bis langfristig mit einer guten Wertentwicklung und erfreulichen Erträgen am chinesischen Aktienmarkt.

Quelle: INVESCO

INVESCO zählt als Teil der AMVESCAP Gruppe zu den führenden Asset Managern weltweit – mit über 380 Mrd. US-Dollar (per 30. September 2005) verwaltetem Vermögen. Über 5.900 Mitarbeiter, darunter rund 500 Investmentspezialisten, sind in 20 Ländern im Einsatz.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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